Eindrücke vom Prozess um Einbecker Femizid

In Göttingen wird weiterhin gegen Cemal A. verhandelt, der seine schlafende Ehefrau Besma A. erschossen hat. Eine feministische Beobachtungsgruppe begleitet den Prozess und kritisiert fehlendes Wissen über die Funktionsweisen von patriarchaler Gewalt.

Der Strafprozess gegen Cemal A., der seit Januar 2021 am Göttinger Landgericht stattfindet, wurde in drei weiteren Verhandlungstagen Anfang August fortgesetzt. Der 49-jährige Mann hatte Mitte April 2020 seine zweite Ehefrau Besma A. im Wohnzimmer des gemeinsamen Hauses erschossen. Eine feministische Prozessbeobachtungsgruppe begleitet die Verhandlungstage seit Mitte Mai, solidarisiert sich mit den Familienangehörigen von Besma A. und ordnet das Geschehene in den Verhandlungen politisch ein.

Die drei Verhandlungstage vom 2. bis 4. August waren geprägt von Zeug:innenvernehmungen und Diskussionen um die Auswertung von Handydaten des Angeklagten, von Besma A. sowie einer der Nebenklägerinnen. Vernommen wurden unter anderem eine Polizeikommissarin, die in der Tatnacht auf der zuständigen Wache Dienst hatte und bei der Entlassung von Cemal A. anwesend war, ein Polizist, der die Handyauswertung vorgenommen hatte, sowie eine Nachbarin des Ehepaares. In den vorherigen Verhandlungstagen wurden bereits Mutter und Schwester von Besma A. befragt, die im Prozess als Nebenklägerinnen auftreten.

Bei allen Befragungen oder Beweismitteln geht es darum, herauszufinden, ob Cemal A. seine Ehefrau Besma A. vorsätzlich umgebracht hat. Die Beweisführung der Verteidigung zielt vermutlich darauf ab, dass Cemal A. versehentlich beim Reinigen der Waffe in betrunkenem Zustand geschossen habe. Die Aussagen der Nebenklägerinnen sowie Nachrichten und Fotos von Besma A. deuten jedoch darauf hin, dass Cemal A. schon lange gegenüber Besma A. gewalttätig war.

Kein Wissen über Funktionsweisen von patriarchaler häuslicher Gewalt

„In den letzten Verhandlungstagen wurde immer wieder deutlich, dass den Prozessbeteiligten anscheinend das Wissen über die Funktionsweisen von patriarchaler häuslicher Gewalt fehlt“, so die Prozessbeobachtungsgruppe. Dies sei zum Beispiel bei der Befragung der Nachbarin am 2. August deutlich geworden. Diese hatte vor Gericht beteuert, wie freundlich und hilfsbereit Cemal A. ihr gegenüber immer gewesen sei. „Dass Täter wie Cemal A. und ihre Verteidigung alles daransetzen, nach Außen ein Bild der Normalität und des Familienfriedens zu erzeugen, ist bei Fällen patriarchaler, häuslicher Gewalt immer wieder zu beobachten. Dass er der Nachbarin hin und wieder im Garten geholfen hat, steht also keineswegs im Gegensatz dazu, dass geplant haben könnte, seine Frau umzubringen und das auch zu tun.“

Mördern wird Mitleid entgegengebracht

Bei der Befragung der Kommissarin, die in der Tatnacht auf der Wache Dienst hatte, in der Cemal A. kurzzeitig inhaftiert war, sprach diese davon, dass ihr der Angeklagte wie ein „Häufchen Elend“ vorgekommen sei, als er in der Zelle saß. Die Aussage suggeriert, dass sie Mitleid mit Cemal A. hatte. Dass ihr in diesem Moment nicht die Möglichkeit in den Sinn gekommen sei, dass der Inhaftierte seine Ehefrau gar nicht „aus Versehen“ erschossen haben könnte, zeige wiederum die fehlende Sensibilisierung für patriarchale Gewalt in Polizei und Justiz, wie sie die Prozessbeobachtungsgruppe feststellt. Es sei ein gesellschaftlich verbreitetes Muster, dass Männern, die ihre Partnerinnen oder Ex-Partnerinnen töten, letztendlich Mitleid entgegengebracht wird. Die Prozessbeobachtungsgruppe erklärt sich so auch, warum Cemal A. kurz nach der Tat wieder aus der U-Haft entlassen wurde. Erst im September, fünf Monate nach dem gewaltsamen Tod von Besma A. wurde Cemal A. erneut festgenommen und in Rosdorf in Untersuchungshaft gesteckt.

Strategie der Verteidigung: Zermürbende Befragungen

Zur Strategie der Verteidigung im gesamten Prozess gehört es anscheinend, den Zeug:innen – insbesondere der Mutter und Schwester von Besma A. - abzusprechen, die Wahrheit zu sagen und sie damit als unglaubwürdig darzustellen. Das äußert sich in den teils zermürbenden Befragungen der Frauen. In Verbindung mit der Tatsache, dass Opfer oder Hinterbliebene in Prozessen wegen häuslicher Gewalt oder Mord oft ohne räumliche Entfernung mit dem Täter konfrontiert seien, trage dies dazu bei, dass diese oft von einer Anzeige oder Nebenklage zurückschrecken würden, so die Prozessbeobachtungsgruppe. „Für den Wunsch nach Gerechtigkeit und das Bedürfnis, gehört zu werden und aktiv am Prozess teilzunehmen, bezahlen Betroffene und Angehörige häufig einen hohen Preis. Der Wunsch nach Gerechtigkeit wird hingegen selten eingelöst“, argumentiert die Gruppe. 

Nächster Prozesstermin am 31. August

Neben der Prozessbeobachtung organisiert die Gruppe unregelmäßig Mahnwachen vor dem Göttinger Landgericht. An der letzten Mahnwache am 3. August nahmen zwischenzeitlich 15 Personen teil und gedachten der verstorbenen Besma A. mit Kerzen, Blumen und ihren Portraits. Der nächste Prozesstermin findet am 31. August statt. Die Verhandlung ist öffentlich.

Titelfoto: Mahnwache im Gedenken an Besma A. am 29. Juni vor dem Landgericht Göttingen | Randnotiz