„Frauenmorde sind weder Einzelfälle noch ein Versehen“

Mitte April wurde in Einbeck eine 27 Jahre alte Ezidin von ihrem Ehemann erschossen. In einem offenen Brief an die niedersächsische Landesregierung fordern zahlreiche Frauenorganisationen und Verbände die lückenlose Aufklärung der Tat.

Der gewaltsame Tod der 27-jährigen Besma A. in Einbeck im Landkreis Northeim (Niedersachsen) beschäftigt nach wie vor die Agenda von Frauenorganisationen. Die Mutter von drei Kindern (das älteste sechs Jahre alt) wurde am 14. April um kurz vor Mitternacht tödlich durch einen Kopfschutz verletzt. Der mutmaßliche Schütze ist der Ehemann C.A., der die Tatwaffe illegal erworben hatte. Unmittelbar nach der Tat teilte er über die Notrufleitung der Feuerwehr mit, dass er glaube, seine Ehefrau erschossen zu haben. Der Schuss habe sich versehentlich beim Reinigen der Waffe gelöst. Da der Mann unter massivem Alkoholeinfluss gestanden habe, erklärte ihn ein Arzt als haftunfähig, bevor er unter polizeilicher Bewachung in ein Krankenhaus gebracht wurde. Und weil kein dringender Tatverdacht wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts gegen den bislang unbestraften 48-Jährigen vorliege, wurde er auf Anordnung der Staatsanwaltschaft auf freien Fuß gesetzt.

In einem offenen Brief fordern zahlreiche Frauenorganisationen und Verbände, Frauenmorde nicht als Einzelfälle und Versehen abzutun. „Bekannterweise geht einem Mord an einer Frau durch ihren Ehemann oder Partner zumeist eine lange Geschichte von Gewalt in der Beziehung voraus“, mahnen die mehr als 150 Unterzeichnenden.  

„In Deutschland kommt es jeden Tag zur versuchten Tötung einer Frau durch Männer in ihrem engen sozialen Umfeld – meist durch den Partner oder Ex-Partner. Jeden zweiten bis dritten Tag stirbt eine Frau durch diese Gewalt. Aufgrund unserer langjährigen Erfahrung als Frauenberatungsstellen wissen wir, dass die Tötung der Ehefrau im eigenen Haushalt mit einer illegal erworbenen Waffe kein Versehen ist.“ Die Organisationen befürchten, dass die Verharmlosung von Gewalt gegen Frauen und Frauenmorden eben diese befördert und zu einer stärkeren Verbreitung von Gewalt führt.

Das Kurdische Frauenbüro für Frieden CENÎ e.V. weist in einer Pressemitteilung anlässlich der Veröffentlichung des offenen Briefs auf die Unterschiede zwischen der Gewalt gegen Frauen und der Gewalt gegen Männer hin. Frauen werden aufgrund dessen angegriffen, dass sie Frauen, Partnerin oder ehemalige Partnerin sind. Der geschlechtsspezifische Mord an Frauen ist der Femizid und wird derzeit statistisch nicht erfasst, medial werden sie als Familiendramen, psychologische Aussetzer von Männern dargestellt. Bei den Untersuchungen scheine es manchmal so, als würde schnell eine Entschuldigung gesucht werden, was die Frau vor ihrer Ermordung alles für Fehler begangen haben soll, statt zu untersuchen, dass der Mann selbst ein falsches Verständnis von Partnerschaft hat, kritisiert CENÎ e.V.

„Als Frauenorganisationen und Verbände wissen wir, wie schwierig eine Trennung und Scheidung für die betroffenen Frauen tatsächlich ist. Soziale, finanzielle und emotionale Abhängigkeiten stehen im Konflikt mit einem Entschluss für ein gewaltfreies Leben. Viele Frauen leben jahrelang mit der Gewalt, teilweise mit einem persönlichen Sicherheitsplan für Situationen, in denen die Konflikte unerträglich und lebensgefährlich werden.“

Entsprechend fordern die Unterzeichnerinnen von der Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD), der Familienministerin Franziska Giffey (SPD), dem Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der niedersächsischen Justizministerin Barbara Havliza (CDU), Niedersachsens Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD), dem niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (SPD) sowie der Staatsanwaltschaft Göttingen „in expliziter Berücksichtigung der Signalwirkung für alle Frauen und Männer in diesem Land eine lückenlose Aufklärung des Femizids an Besma A.“ sowie allen anderen Morden an Frauen, eine stärkere Finanzierung des Unterstützungsangebots für Frauen, Sensibilisierungsmaßnahmen für Behörden- und Gerichtsmitarbeiter*innen, eine Sichtbarmachung in den Statistiken, eine Anpassung der Gesetze und die sofortige Umsetzung der Istanbuler Konvention.

Die Initiatorinnen, der Dachverband des Ezidischen Frauenrats e.V. und die Frauenbegegnungsstätte UTAMARA e.V., konnten mit den neun Erstunterzeichnerinnen; Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe – Frauen gegen Gewalt (bff), Frauenhauskoordinierung, Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF), Deutsche Sektion der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF), Terre des Femmes, medica mondiale e.V., Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V., Solwodi und Deutscher Frauenring e.V.) und allen weiteren Unterzeichnenden ein breites Spektrum an Arbeitsfeldern für den offenen Brief gewinnen.

Diesen Brief haben auch zahlreiche Familienangehörige von ermordeten Frauen unterzeichnet. Teilweise sind die Verfahren gegen die Mörder noch nicht abgeschlossen. Umso mehr kritisieren die Opferangehörigen, dass es angesichts der Tat zwar eine große Aufmerksamkeit gebe, die Gesellschaft und Medien sich jedoch kaum dafür interessieren, inwieweit durch eine entsprechende Bestrafung der Täter den Ermordeten Gerechtigkeit widerfährt. Von vielen Frauenorganisationen und Beratungsstellen wird bereits seit langem ein anderer Umgang mit Femiziden und Gewalt gegen Frauen gefordert.