„Sakine Cansız hat die Frauenbefreiung angeführt“

Besê Erzincan (KJK) äußert sich zum Leben der PKK-Mitbegründerin Sakine Cansız, die vor sechs Jahren vom türkischen Geheimdienst ermordet wurde.

Sakine Cansız (Sara) ist die einzige Frau, die seit der Gründung der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) am 27. November 1978 bis zu ihrem Tod aktiv innerhalb der Organisation gekämpft hat. Sie wurde am 9. Januar 2013 zusammen mit Fidan Doğan (Rojbîn) und Leyla Şaylemez (Ronahî) bei einem Attentat in Paris ermordet.

Als Mitglied der KJK hat sich Besê Erzincan im ANF-Interview zum Leben und der Besonderheit von Sakine Cansız geäußert.

Wer war Sakine Cansız und in welcher Beziehung stand sie zu Abdullah Öcalan?

Heval Sara war eine Vorreiterin der Frauenbefreiungsbewegung. Sie gibt uns immer noch Kraft und Mut. Sie wurde vor sechs Jahren in Paris vom türkischen Staat ermordet, aber ich möchte betonen, dass der türkische Staat den Befreiungskampf des kurdischen Volkes und der Frauen niemals aufhalten kann.

Heval Sara hat in allen Beziehungen immer nach einem neuen und freien Leben gesucht. Ihre hervorstechendste Eigenschaft war ihr herzlicher, schlichter und natürlicher Umgang mit anderen Menschen. Außerdem war ihr Glauben an die Revolution und den Sozialismus sehr groß.

Ebenso groß waren ihr Vertrauen und ihre Liebe zu dem Vorsitzenden Abdullah Öcalan. Er selbst maß Heval Sara großen Wert bei, weil sie als Frau bereits an der Gründung der PKK teilnahm, sich mit hohen Ansprüchen am Kampf beteiligte und als eine Frau im Kerker von Diyarbakir (Amed) einen unerschütterlichen Widerstand gegen die Folterer des türkischen Staates leistete.

Heval Sara sagte vom Vorsitzenden, dass er die Frauen immer gestärkt, ihnen in schweren Zeiten beigestanden und ihnen die Gelegenheit gegeben hat, sich weiterzuentwickeln. Der Vorsitzende hat Heval Sara in Praxis kritisiert, aber das änderte nichts an ihrer Verbundenheit zu ihm. Sie betonte immer, wie sehr sie ihm vertraue. Die Beziehung der beiden steht sinnbildlich für den Umgang des Vorsitzenden mit Frauen. Es handelt sich um eine genossenschaftliche Beziehung, die eine befreiende, erhebende und verändernde Wirkung hat.

Was fällt Ihnen als erstes ein, wenn Sie an Heval Sara denken?

Sara hat sich im Leben immer sehr natürlich verhalten. Sie hat mit allen Menschen Kontakt aufgenommen und sie gefragt, wie es ihnen geht. Gab es ein Problem, hat sie Anteil genommen und sich um eine Lösung bemüht. Sie war eine natürliche Anführerin. Wo immer sie auch war, übernahm sie Verantwortung und kümmerte sich um alles und jeden.

Heval Sara hatte eine sehr aufgeschlossene Persönlichkeit und interessierte sich für alle Fragen des Kampfes. Sie beschäftigte sich mit der ideologischen, militärischen und organisatorischen Lage unserer Bewegung und brachte ihre Meinung offen und mutig zum Ausdruck. Sie war sorgfältig, hatte eine natürliche und schöne Ausstrahlung und achtete sehr auf Sauberkeit. Auch unter den schwierigsten Bedingungen legte sie Wert auf Haltung und Ordnung. Sie machte regelmäßig morgens Sport und liebte die Natur. Am wichtigsten war ihr, mit anderen zu teilen. Sie diskutierte auch gerne über Philosophie und das Leben. Mit den Menschen in ihrem Umfeld befand sie sich in einem ständigen Austausch.

Sie hatte ein gutes Gefühl für Menschen und konnte auch gut zuhören. Zwischen den Menschen machte sie keine Unterschiede. Vor allem um junge Menschen kümmerte sie sich sehr. Die größte Aufmerksamkeit widmete sie dem Frauenbefreiungskampf und einem entsprechenden Bewusstsein. Das war ihr sehr wichtig.

Am meisten störte sie die patriarchale Denkweise in unseren eigenen Reihen. Damit ging sie sehr kritisch um. Sie hinterfragte das bestehende Leben radikal. Wenn sie etwas nicht einsehen konnte, setzte sie sich zur Wehr. In dieser Hinsicht war ihr Leben wirklich immer ein Kampf.

Wie ist Sakine Cansız zur Revolutionärin geworden und welche Rolle spielte sie bei der Schaffung eines neuen Lebens?

Seit ihrer Ermordung am 9. Januar 2013 ist Sakine Cansız weltweit bekannt und gilt international als Vorreiterin der Frauenbefreiung. Ihr Leben ist für uns Frauen sehr lehrreich, das wird in ihrem Buch „Mein ganzes Leben war ein Kampf“ deutlich. Ihre Persönlichkeit und ihr Kampf zeigen, dass Frauen sich selbst unter schwierigsten Umständen befreien können, auch wenn sie dafür einen hohen Preis zahlen müssen. Ihr Buch erzählt von ihrer willensstarken Haltung und ihrer beharrlichen Suche nach Freiheit. Leider behandelt es nur die Zeit bis 1997, die 16 Jahre danach sind nicht aufgeschrieben worden. Insofern ist es eigentlich kein fertiges Buch. Trotzdem sind die Schilderungen bis zu ihrem 39. Lebensjahr höchst lehrreich. Heval Sara hat einen großen Kampf gegen den Mann, die Gesellschaft, die reaktionären und patriarchalen Seiten innerhalb der Organisation und gegen ihre eigenen Schwächen geführt. Sie ist in ihrem Befreiungskampf ständig weitergekommen.

Die Lebensmuster des patriarchalen Systems und die patriarchale Sichtweise auf Frauen als ein Besitz lehnte Heval Sara vehement ab. Im Leben legte sie immer Wert auf eine eigene Persönlichkeit, Haltung und Farbe. Als Frau hatte sie dadurch eine besondere Stellung. Sie wollte sie selbst sein. Ihr war sehr bewusst, dass Frauen innerhalb des Systems zu gewöhnlichen und gedankenlosen Sklavinnen gemacht werden. Dagegen kämpfte sie an.