Rojava: Kurdische Frauen rufen zur Einberufung eines Nationalkongresses auf

Mit einem eindringlichen Appell an alle kurdischen Kräfte, einen Nationalkongress einzuberufen, ist die 1. Kurdische Frauenkonferenz in Rojava zu Ende gegangen. Ein Zwölf-Punkte-Plan soll Kompass für eine gerechte und demokratische Zukunft Syriens sein.

Zwölf-Punkte-Erklärung für Syrien verabschiedet

Mit einem eindringlichen Appell an alle kurdischen politischen Kräfte ist die 1. Kurdische Frauenkonferenz in Rojava zu Ende gegangen. Im Zentrum der Abschlussbotschaft: die dringende Notwendigkeit, den lange geforderten kurdischen Nationalkongress endlich zu verwirklichen – als Hoffnung und Ausdruck des politischen Willens des kurdischen Volkes, insbesondere der Frauen.

Die Konferenz fand im Azadî-Park in Qamişlo statt und versammelte rund 300 Delegierte aus Rojava, sowie Vertreterinnen kurdischer Frauenorganisationen aus Aleppo und Damaskus. Unter dem Motto „Die kurdische Einheit verwirklicht sich unter der Führung der Frauen“ kamen politische Parteien, zivilgesellschaftliche Akteurinnen, Künstlerinnen, Aktivistinnen und Vertreterinnen der Demokratischen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) zusammen.

Gefahren für Frauen durch Übergangsverfassung

Im Fokus der Diskussionen standen die politischen Herausforderungen, mit denen kurdische Frauen konfrontiert sind – insbesondere in einem Umfeld, das von patriarchalen und autoritären Strukturen geprägt ist. Die Konferenz thematisierte auch die Gefahren, die von der Übergangsverfassung der islamistischen Regierung in Damaskus ausgehen. Diese enthalte keinerlei Schutzmechanismen für Frauenrechte und öffne im Gegenteil der Anwendung der Scharia und damit der weiteren Entrechtung von Frauen Tür und Tor, so die Teilnehmerinnen.


Mit Blick auf die aktuellen politischen Entwicklungen betonten die Konferenzteilnehmerinnen ihre Entschlossenheit, aktiv am Aufbau eines demokratischen, dezentralisierten Syriens mitzuwirken – Seite an Seite mit Frauen anderer Bevölkerungsgruppen in Syrien. Die Verteidigung der erkämpften Errungenschaften gegen Bedrohungen durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS), das Assad-Regime und die türkischen Besatzungstruppen bilde hierfür die Grundlage.

Zwölf-Punkte-Erklärung der kurdischen Frauenbewegung

In der Abschlusserklärung wurde die Rolle der Frauen im gesellschaftlichen Aufbau hervorgehoben. Die in Nord- und Ostsyrien gelebte Selbstverwaltung, in der Frauen in allen Bereichen – von der Bildung über die Wirtschaft bis zur Sicherheit – führend mitwirken, sei ein Vorbild für die künftige demokratische Ordnung in Syrien.

Zum Abschluss verabschiedeten die Teilnehmerinnen eine Zwölf-Punkte-Erklärung, die als Fahrplan für den weiteren politischen und gesellschaftlichen Einsatz der kurdischen Frauenbewegung dienen soll:

1. Die Konferenz ruft alle kurdischen Kräfte, Organisationen, Parteien und Persönlichkeiten dazu auf, den kurdischen Nationalkongress – als Hoffnung und Wille des kurdischen Volkes – unverzüglich einzuberufen.

2. Sie fordert die Frauenorganisationen in allen vier Teilen Kurdistans dazu auf, den 3. Nationalen Kurdischen Frauenkongress in Rojava durchzuführen und lädt sie herzlich dazu ein.

3. Die politische Einigkeit der Kurdinnen und Kurden in Syrien ist von historischer Bedeutung. Die Konferenz ruft alle politischen Kräfte auf, gemeinsam mit kurdischen Frauen aktiv an einem nationalen Kongress teilzunehmen.

4. Die Konferenz lehnt die Übergangsverfassung von Damaskus ab und fordert die dortige Regierung auf, sich an der UN-Resolution 2254 und den darin formulierten gesellschaftlichen und frauenpolitischen Forderungen zu orientieren.

5. Ein demokratisches, pluralistisches und dezentralisiertes Syrien ist sowohl Ziel aller Syrer:innen als auch Voraussetzung für die Gewährleistung von Frauenrechten. Das Modell der Demokratischen Autonomieverwaltung wird als geeignete Lösung für die Krisen Syriens betont.

6. Die Konferenz fordert, dass Frauen mit einer Quote von mindestens 50 Prozent an allen Dialog- und Entscheidungsprozessen zum Aufbau eines demokratischen Syriens beteiligt werden.

7. Die im Gesellschaftsvertrag von Nord- und Ostsyrien verankerten Rechte der Frauen müssen Grundlage für eine neue syrische Verfassung werden.

8. Es soll mit Frauen aus allen gesellschaftlichen Gruppen Syriens zusammengearbeitet werden, um demokratische Bündnisse zur Sicherung und Ausweitung von Frauenrechten in der neuen Verfassung zu schmieden.

9. Die Konferenz bekräftigt, dass legitime Selbstverteidigung für Frauen sowohl ein Recht als auch eine Verpflichtung ist.

10. Alle kurdischen Frauen und Organisationen sollen eine führende Rolle im Kampf gegen Gewalt und Feminizid übernehmen, Opfer von Gewalt unterstützen und Erfahrungen aus Nord- und Ostsyrien mit Frauen in anderen Regionen teilen.

11. Bildung und Entwicklung von Frauen in allen Bereichen – Politik, Wirtschaft, Verwaltung – müssen durch einen umfassenden Ansatz gefördert werden.

12. Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, damit Vertriebene aus Regionen wie Efrîn, Girê Spî, Serêkaniyê und Şehba sicher und freiwillig zurückkehren können. Für Betroffene von Besatzung und Menschenrechtsverletzungen wird gerechte Entschädigung gefordert.

Fahrplan als Kompass für eine gerechte und demokratische Zukunft

Diese zwölf Punkte sollen nicht nur die Grundlage für die politische Ausrichtung der kurdischen Frauenbewegung bilden, sondern auch als Kompass für eine gerechte und demokratische Zukunft Syriens dienen. Die Konferenz bekräftigte abschließend ihre Entschlossenheit, die nationale Einheit Kurdistans durch die Kraft der Frauen voranzutreiben und den Weg zu einer inklusiven, gerechten Gesellschaft weiterzugehen.