Nora Morales Cortiñas ist eine der Mütter der Plaza de Mayo, die ähnlich wie die „Samstagsmütter“ in Istanbul allwöchentlich nach dem Verbleib ihrer verschwundenen Angehörigen fragen und Aufklärung einfordern. Im Zuge des Hungerstreiks gegen die Isolation des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan besuchte Cortiñas die kurdische Politikerin Leyla Güven im März diesen Jahres in Amed (Diyarbakir). Wir sprachen mit ihr über ihren Besuch:
Was haben Sie gefühlt, als sie Leyla Güven besuchten? Welchen Eindruck hatten Sie nach dem Besuch bei ihr?
Seit dem Tag meines Besuchs bei Leyla bin ich voller Emotionen und Bewunderung, sowohl ihr gegenüber als auch gegenüber der kurdischen Bevölkerung. Ich kenne schon länger die Friedens- und die Samstagsmütter. Über ihren Kampf in der Türkei und in Kurdistan hatte ich bereits einen Dokumentarfilm gedreht und fühle mich deshalb ihnen sehr verbunden. Doch der Tag, an dem ich Leyla umarmt habe, war für mich sehr besonders. Das war eine andere Welt. Diese Welt kannte ich bisher nicht, aber es war eine wunderschöne Welt. Außerdem hat mir der Respekt und die Achtung vor dem politischen Repräsentanten Abdullah Öcalan gezeigt, dass es sich bei diesem Kampf um einen wahrhaften Kampf und Widerstand eines ganzen Volkes handelt. Ich empfinde große Wertschätzung für diese Menschen. Denn der Wille von Leyla und von tausenden Genoss*innen ist für ein Volk von großer Bedeutung und etwas Wunderschönes.
Der Widerstand hat dazu geführt, dass die Anwält*innen Öcalans nach acht Jahren zweimal ihren Mandanten sehen durften. Glauben Sie, dass die türkische Regierung ihr Wort hält und fortan die Anwaltsbesuche bei Öcalan gestattet?
Wenn wir bedenken, dass Erdoğan gegen die Kurd*innen und die Völker Syriens einen Krieg führt und sich verantwortlich für zahlreiche Massaker macht, kann ich verstehen, dass unsere kurdischen Freund*innen Zweifel an der Einhaltung des Wortes der türkischen Regierung haben. Aber wir sollten unseren Glauben nicht verlieren. Denn wir wissen auch, dass die kurdische Bevölkerung unter jeder Situation ihren legitimen Kampf fortsetzen und niemals die Fahne der Widerstands von der Hand legen wird. Ich denke, diese historische Wahrheit hat sich nochmals unter Beweis gestellt. Das bedeutet natürlich nicht, dass die türkische Regierung die Kurd*innen fortan in Frieden lassen wird. Doch die Kurd*innen haben mit diesem Kampf große Errungenschaften erzielt und werden ohne Zweifel auf diesem Weg voranschreiten.
Zeichnung: Zehra Doğan
Was für Eindrücke haben Sie auf ihrer Reise durch Nordkurdistan gesammelt?
Als ich das erste Mal für den Dokumentationsdreh mit Alejandro Haddad durch Nordkurdistan reiste, war das für mich eine ganz neue Situation. Denn ich kannte zwar die Region und die Traditionen der Menschen nicht, aber ich wusste, dass das Leid der Mütter hier dasselbe Leid ist, das ich spüre. Das konnte niemand voneinander trennen. Auch unser Kampf war und ist entsprechend derselbe.
Als ich jetzt im März nach Nordkurdistan reiste, um Leyla zu besuchen, hat mich der Wille dieser 56jährigen Frau sehr beeindruckt. Das hat in mir was ausgelöst. Ich habe angefangen, die kurdische Bevölkerung mit meiner gesamten Kraft zu lieben.
Möchten Sie eine Nachricht an Leyla richten?
Zunächst möchte ich ihr meine Liebe zukommen lassen. Dann wünsche ich mir, dass sie mit derselben Kraft ihre gesundheitliche Genesung voranbringt, mit der sie diesen Hungerstreik geführt hat. Ich wünsche ihr und allen, die am Hungerstreik teilgenommen haben, viel Erfolg. Und ich wünsche mir ein würdevolles Leben für dieses Volk.