Mütter vor Gericht

In Istanbul hat der Prozess gegen 15 Frauen begonnen, die im Frühjahr zur Unterstützung des Hungerstreiks gegen die Isolation des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalans vor dem Frauengefängnis Bakirköy eine Mahnwache abgehalten haben.

In Istanbul hat der Prozess gegen 15 Frauen begonnen, die im Frühjahr zur Unterstützung des Hungerstreiks gegen die Isolation des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalans vor dem Frauengefängnis Bakirköy eine Mahnwache abgehalten haben. Die Frauen, die wegen ihres mutigen Auftretens in den Monaten des Hungerstreiks als „Mütter mit weißen Kopftüchern“ bekannt wurden, sind wegen „bewusster und gewollter Unterstützung“ einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Außerdem wird ihnen „Propaganda“, Verstoß gegen das Versammlungsrecht und Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen. Unter den Angeklagten befindet sich auch die Rechtsanwältin Arzu Kayaoğlu von der Freiheitlichen Juristenvereinigung ÖHD.

Der erste Prozesstag vor dem 23. Strafgericht in Çağlayan wurde von der Istanbuler HDP-Vorsitzenden Elif Bulut und vielen weiteren Parteimitgliedern beobachtet. Rechtsanwalt Firat Epözdemir machte in der Verhandlung geltend, dass es sich bei den Angeklagten um Mütter handelt, deren Kinder als politische Gefangene im Hungerstreik waren. Sie hätten lediglich ihr in der Verfassung verankertes Recht genutzt, um den Tod ihrer Kinder zu verhindern. Der Anwalt kritisierte auch die viertägige Ingewahrsamnahme seiner Mandantinnen, die bereits damals große Verblüffung ausgelöst habe, weil kein Straftatbestand zu erkennen gewesen sei.

Die Angeklagten äußerten sich über einen Dolmetscher auf Kurdisch zu den Tatvorwürfen. Als erste schilderte Behide Dağ ihre Sicht auf die Geschehnisse vom 9. Mai. Ihren Angaben nach sind die Frauen sofort festgenommen worden, als sie vor dem Gefängnis Bakirköy erschienen. Die Polizei habe dabei Gewalt angewendet. Auch im Gefangenentransporter seien die Mütter beschimpft und beleidigt worden. Auf dem Polizeirevier wurden sie dazu gezwungen, sich nackt durchsuchen zu lassen. An diesem Punkt intervenierte der vorsitzende Richter und erklärte: „Das ist nicht unser Thema.“ Die Angeklagte durfte ihre Ausführungen nicht fortsetzen.

Kumri Akgül, eine weitere angeklagte Mutter, sagte im Prozess: „Mir wurde das Kopftuch abgerissen und auf den Boden geworfen. Ich sagte zu den Polizisten, dass sie sich schämen sollten, aber sie beleidigten uns weiter. Bei der Polizei wurde ich einer Nacktuntersuchung unterzogen. Fünf Polizistinnen schleiften mich über den Boden und rissen mir mit Gewalt die Kleidung vom Leib. Sie wollten mich filmen. In meinem ganzen Leben habe ich so etwas noch nicht erlebt.“

Auch Kumri Akgül wurde vom Richter unterbrochen, woraufhin Unruhe im Gerichtssaal entstand. Die Verteidiger*innen forderten nachdrücklich die Aufnahme der Aussagen ihrer Mandantinnen über die erfahrenen Misshandlungen im Gerichtsprotokoll, woraufhin der Richter Sicherheitsbeamte in den Gerichtssaal beorderte.

Die Angeklagte Menekşe Demir erklärte zu den Vorfällen im Mai: „Ein Polizist warf mich auf den Boden und eine Polizistin riss an meinen Haaren. Ich wurde geschlagen, obwohl ich zig Male sagte, dass ich krank bin. Im Transporter bekam ich eine Zeitlang keine Luft mehr. Trotzdem hat mich ein Polizist geschlagen und mich mit Wörtern beschimpft, die man nicht in den Mund nimmt. Selbst in Filmen habe ich so etwas noch nicht gesehen. Obwohl meine Tochter und mein Bruder Anwälte sind, habe ich ihnen nicht erzählt, was uns angetan worden ist.“

Die Verteidiger*innen machten darauf aufmerksam, dass die Polizei unverhältnismäßige Gewalt angewendet hat und somit selbst auf die Anklagebank gehöre.

Das Gericht hob die gegen die Angeklagten verhängten Meldeauflagen auf und vertagte die Verhandlung auf den 19. Februar.