Hamburg: Plädoyers in Prozess um versuchten Femizid - UPDATE

Ein Jahr nach dem versuchtem Femizid an Meryem S. in Hamburg hat die Staatsanwaltschaft eine lebenslange Haftstrafe beantragt. Vor dem Gericht forderten Frauenorganisationen Femizid als Straftatbestand und bessere Schutzkonzepte für Frauen und Kinder.

Vor einem Jahr wurden Meryem S. und ihre beiden Kinder von ihrem Ex-Mann brutal mit einem Messer angegriffen und angezündet. Sie überlebten schwerverletzt. Am Mittwoch wurden nun die Plädoyers des Staatsanwaltes und der Verteidigung des Täters gehalten. Die Staatsanwaltschaft forderte mit Verweis auf die besondere Schwere der Schuld eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Der Frauenrat Rojbîn, die feministische Organisierung „Gemeinsam Kämpfen” und Yeni Kadın (Neue Frau) kamen während der Verhandlung vor dem Strafjustizgebäude in Hamburg zusammen, um ihre Solidarität mit Meryem S. und ihren Kindern zu zeigen.

Rückblick: Am 1. Mai 2020 hatte der Kurde Kalender E. im Hamburger Stadtteil Lurup versucht, seine Ex-Partnerin sowie die beiden gemeinsamen Kinder zu ermorden. Meryem S. wurde mit einem Messer attackiert und schwer verletzt. Den damals zehnjährigen Sohn übergoss der Mann mit einer brennbaren Flüssigkeit und zündete ihn vor den Augen der zwei Jahre älteren Schwester des Jungen an. Alle drei überlebten, teilweise schwer verletzt. Seit Mitte November muss sich der Täter vor Gericht verantworten.

52 Femizide in Deutschland seit Jahresbeginn

„In diesem Jahr, also in vier Monaten, wurden in Deutschland bereits 52 Frauen und neun Kinder getötet durch Ehemänner, Expartner, Väter oder Brüder. 61 weitere Frauen und ein Baby wurden teils lebensgefährlich verletzt. Eine weitere, vermutlich ebenfalls getötete Frau, wird noch vermisst”, hieß es in einem Redebeitrag von Gemeinsam Kämpfen, der von der Ethnologin und Aktivistin der kurdischen Frauenbewegung, Anja Flach, vorgetragen wurde. Flach hob hervor, dass Deutschland aktuell die Femizid-Statistik in Europa anführt, und äußerte: „Bei jeder anderen Bevölkerungsgruppe wäre völlig zu Recht die Hölle los. Gewalt durch Männer in Partnerschaften ist keine ‚private‘ Gewalt! Durch Männergewalt sterben weltweit mehr Frauen zwischen 15 und 44 als an Krebs, Malaria, Kriegen und Verkehrsunfällen zusammen. In den Medien ist oft von Beziehungstaten oder einem Familiendrama die Rede, Femizide werden als spontan interpretiert, als sogenanntes Verbrechen aus Leidenschaft. Die Wahrheit ist jedoch: In der Mehrzahl der Fälle wurde mit erheblichem Aufwand reflektiert, geplant und entschlossen gehandelt. Im Zusammenhang mit Partnergewalt unterstellt ‚Verbrechen aus Leidenschaft‘, dass der Täter vom Opfer in irgendeiner Weise unter Druck gesetzt oder provoziert wurde. Das ist aber so gut wie nie der Fall. Der Grund für Femizide ist der zwanghafte Wunsch des Täters, die Partnerin zu kontrollieren. Es geht um patriarchale Macht.”

Femizid als eigener Straftatbestand

Die feministische Organisierung Gemeinsam Kämpfen verlangt, dass Femizide als solche benannt werden. Geschlechtsspezifische Gewalt müsse sichtbar gemacht werden, denn Gewalttaten innerhalb der eigenen Familie oder in Partnerschaften seien keine Familien- oder Eifersuchtsdramen und müssten dementsprechend verurteilt werden. „Wir fordern ausdrücklich auch bessere Schutzkonzepte für Frauen und Kinder und rufen alle Frauen auf, sich gegen Gewalt zu organisieren und sich gemeinsam selbst zu verteidigen.“

Frauenmorde in Hamburg

In Hamburg wurden in diesem Jahr mehrere Frauen ermordet. Am 7. Februar ist in Bramfeld sogar ein zweifacher Femizid begangen worden. Der Täter tötete zunächst seine 24-jährige Ex-Freundin und anschließend seine 53-jährige Mutter, nachdem sie die Tat entdeckte. Am 11. März  wurde in Wilhellmsburg eine 53 Jahre alte Frau von einem 23-Jährigen niedergeschossen und durch einen Schuss in den Kopf lebensgefährlich verletzt. Der mutmaßliche Täter konnte festgenommen werden. Er soll der Tochter des Opfers mehrfach nachgestellt haben.

Urteil gegen Kalender E. Anfang Mai

Die Teilnehmenden der Kundgebung forderten, Femizide als strukturelles Problem in der Bundesrepublik sichtbar machen und internationalistisch dagegen zu kämpfen. Den Prozess konnten die Beteiligten nicht wie gewünscht beobachten, da die Öffentlichkeit von dem Verfahren ausgeschlossen wurde. Das Urteil gegen Kalender E. wird Anfang Mai gesprochen.