Sechs Jahre Haft für Rosa-Aktivistin Rojda Barış
Die Kinderrechtlerin und Aktivistin des Frauenvereins Rosa, Rojda Barış, ist wegen „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Die Kinderrechtlerin und Aktivistin des Frauenvereins Rosa, Rojda Barış, ist wegen „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Die Kinderrechtlerin Rojda Barış vom Frauenverein Rosa ist in Amed (türk. Diyarbakir) wegen „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ – gemeint ist der KCD – zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Der Aktivistin werden ihre Beiträge auf Twitter sowie ihre vermeintliche Teilnahme an Demonstrationen in Amed vorgeworfen. Als Beweis zog die Anklagebehörde ein aus einem illegal abgehörten Telefonat erstelltes Protokoll heran, in dem es heißt, Barış habe im Internet nach tagesaktuellen Veranstaltungen und Kundgebungen in Amed gesucht. Laut ihrem Rechtsbeistand befand sich die Aktivistin zum genannten Zeitpunkt aber nachweislich außerhalb der Stadt. An den kriminalisierten Aktionen habe sie somit gar nicht teilnehmen können.
Rojda Barış war Ende Juni in Amed verhaftet und Mitte Oktober aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Zu ihrer Verhaftung kam es auf Grundlage eines vor zwei Jahren von der Generalstaatsanwaltschaft Diyarbakir angestrengten Ermittlungsverfahrens gegen den zivilgesellschaftlichen Zusammenschluss „Demokratischer Gesellschaftskongress“ (kurd. Kongreya Civaka Demokratîk, KCD, türk. Demokratik Toplum Kongresi, DTK). Im Oktober 2018 waren die Räumlichkeiten der NGO in Amed polizeilich gestürmt und Unmengen an Dokumenten beshclagnahmt worden. Bei der Großoperation wurden in neun Provinzen insgesamt 142 Personen, unter ihnen Politiker*innen und Journalist*innen, festgenommen. Ein Großteil landete anschließend in Untersuchungshaft.
Laut Auffassung der Staatsanwaltschaft sei Rojda Barış Mitglied beziehungsweise Delegierte des kriminalisierten KCD. Die Aktivistin bestritt bei der heutigen Verhandlung an der 9. Kammer des Strafgerichts in Amed erneut die Vorwürfe gegen sie, ihre Verteidiger*innen Nurcan Budak, Gözde Engin und Muhammet Bahri Baltacı forderten Freispruch. Das Gericht verurteilte Barış zu sechs Jahren und drei Monaten Haft, vom Vorwurf der Terrorpropaganda wurde sie freigesprochen.
Was ist der KCD?
Der Demokratische Gesellschaftskongress fungiert als Dachverband politischer Parteien, zivilgesellschaftlicher Organisationen, religiöser Gemeinden sowie Frauen- und Jugendorganisationen. Er versteht sich als gesellschaftlicher Gegenentwurf zu staatlichen Strukturen, der – gestützt auf Räte- und Basisdemokratie – Konzepte zur Selbstorganisierung der Bevölkerung und Alternativen der kommunalen Selbstverwaltung erarbeitet.
Projekt von Öcalan
Bereits im Jahr 2005 von Abdullah Öcalan als Projekt für die demokratische Organisierung der Gesellschaft vorgeschlagen, wurden zunächst große Diskussionsveranstaltungen durchgeführt, bis im Folgejahr die erste Vollversammlung organisiert wurde. Am 14. Juli 2011 fand in Amed ein Kongress mit über 800 Teilnehmenden aller ethnischen, politischen und religiösen Strukturen in Kurdistan statt. An die gemeinsame Erklärung der Versammlung anschließend wurde die Demokratische Autonomie ausgerufen. In dem veröffentlichten Modellentwurf werden acht Dimensionen aufgeführt: die politische, die juristische, die der Selbstverteidigung, die kulturelle, die soziale, die wirtschaftliche, die ökologische und die diplomatische. Die Satzung richtet sich nicht nach den Gesetzen der Türkei, sondern nimmt die demokratische Teilhabe der Bevölkerung als Grundlage.
Langjährige Zusammenarbeit der Regierung mit KCD beim Lösungsprozess
Obwohl der KCD als höchstes Gremium der Demokratischen Autonomie unmittelbar nach seinem Gründungskongress kriminalisiert und mit Ermittlungsverfahren überzogen wurde, arbeitete die türkische Regierung zwischen 2005 und 2014 intensiv mit dem Dachverband zusammen, um gemeinsam den damals möglichen Friedensprozess zu verhandeln. Der KCD wurde von der AKP sogar gebeten, an einer neuen Verfassung für die Türkei mitzuarbeiten. Der damalige Ko-Vorsitzende Hatip Dicle gehörte zudem zur sogenannten „Imrali-Delegation“, die im Rahmen des Lösungsprozesses eine Vermittlerrolle zwischen Abdullah Öcalan und der türkischen Regierung eingenommen hatte. Auch nachdem der damalige Ministerpräsident und heutige Staatschef Recep Tayyip Erdoğan im Sommer 2015 die Friedensverhandlungen einseitig abbrach, wurde der KCD nicht verboten. Obwohl bisher kein Betätigungsverbot existiert, gilt die NGO bei der türkischen Justiz bereits als Terrororganisation.