Gedenken an „Mutter Taybet“ in Silopiya

Sieben Tage lag der Leichnam von Taybet Inan in Silopiya auf der Straße, nachdem sie während der Militärbelagerung von einem Scharfschützen erschossen wurde. Ihre Kinder mussten die Leiche vom Fenster aus beobachten, um hungrige Tiere abzuschrecken.

Sechs Jahre nach ihrem gewaltsamen Tod ist in Silopiya an Taybet Inan erinnert worden. Die 57-Jährige ist eines von 28 Opfern der am 14. Dezember 2015 im Zuge der türkischen Militärbelagerung in Nordkurdistan ausgerufenen zweiten Ausgangssperre über die Stadt in der Provinz Şirnex. Ihr Fall war besonders dramatisch. Taybet Inan war Mutter von elf Kindern. Sie stand vor ihrem Haus, als sie von einem Scharfschützen angeschossen wurde. Auch jene, die versuchten die schwerverletzte Frau von der Straße zu ziehen und in ein Krankenhaus zu bringen, kamen ins Visier. Bis „Mutter Taybet“ verblutet war. Doch nicht nur sie. Ihr Schwager Yusuf Inan wurde ebenfalls angeschossen, als er sie zu retten versuchte. Er verblutete ebenfalls, weil mehr als 20 Stunden kein Krankenwagen vorgelassen wurde. Taybet Inans Leichnam lag sieben Tage mitten auf der Straße und fing bereits an zu verwesen, als er endlich in einen Sarg gelegt werden durfte. Tagelang war dieser konfisziert geblieben, bevor die Behörden ihn zur Beisetzung freigaben. Später erzählten ihre Kinder, sie hätten die Leiche ihrer Mutter vom Fenster aus beobachtet, um Tiere abzuschrecken, die ihre Leiche auffressen wollten.

Die vom Kreisverband der Demokratischen Partei der Völker (HDP) organisierte Gedenkveranstaltung begann traditionell mit einem Schweigemarsch vom Viertel Nûr zum Haus von Taybet Inan. Im Hinterhof wurde eine Gedenkminute abgehalten, anschließend ergriff die HDP-Abgeordnete Nuran Imir das Wort. „Sieben Tage und sieben Nächte blieb der Körper von Mutter Taybet auf der Straße liegen. Dies zu verantworten haben jene, die das kurdische Volk als ihren Feind begreifen. Sie haben dunkle Wolken an unserem Himmel aufziehen lassen, die noch immer nicht abgezogen sind. Mit Mutter Taybet lagen auch die Menschlichkeit und Gerechtigkeit dieses Landes auf der Straße. Wenn der Staat eines Tages einen wahrhaften Frieden mit dem kurdischen Volk schließen möchte, muss er seine Massaker aufarbeiten. Wir erwarten, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Ansprüche an die derzeitige Regierung haben wir nicht. Schließlich sind es die Herrschenden von heute, die uns gestern ermordet haben.“

Der Kurzfilm „7 roj 7 şev“ (7 Tage, 7 Nächte) des Regisseurs Ali Bozan zum Andenken an Taybet Inan ist bei den Filmtagen für Menschenrechte der EU 2017 mit dem Preis als zweitbester Film ausgezeichnet worden. Das Festival wird veranstaltet von der Delegation der Europäischen Union in der Türkei.

Monatelange Militärbelagerung in nordkurdischen Städten

Einen Monat nach den Parlamentswahlen im Juni 2015 hat Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan das Ende des Friedensprozesses der türkischen Regierung und der PKK verkündet. Prompt ging die AKP wieder zur Strategie des Staatsterrors gegen die kurdische Bevölkerung über. Es folgte eine über mehrere Monate andauernde Militärbelagerung in Städten wie Amed (Diyarbakir), Şirnex, Cizîr, Silopiya und Nisêbîn, der Hunderte Menschen zum Opfer fielen. Sechs Jahre danach ist die genaue Zahl noch immer nicht bekannt. Allein in Cizîr kamen damals mindestens 288 Menschen ums Leben, mehr als die Hälfte von ihnen in den sogenannten „Todeskellern“.