„Frauen im Islamischen Staat waren nicht nur Mitläuferinnen“

„IS”-Täterin Lorin I. verurteilt ‒ Frauen im Islamischen Staat waren eindeutig nicht nur Mitläuferinnen“, erklären der Dachverband des ezidischen Frauenrats e.V., die feministische Prozessbeobachtung und die feministische Kampagne „Gemeinsam kämpfen".

„Das Gericht hat ausgesagt, dass der Islamische Staat das Schlimmste sei, was man sich unter einer Terrororganisation vorstellen kann, doch nun läuft eine weitere IS-Täterin einfach frei herum”, kritisiert F. Dahre, die für die feministische Kampagne „Gemeinsam kämpfen!” an der Prozessbeobachtung teilgenommen hat, das Urteil des Oberlandesgerichts Celle gegen Lorin I. Weiter heißt es in der gemeinsamen Erklärung des Dachverband des ezidischen Frauenrats e.V., der feministischen Prozessbeobachtung und der feministischen Kampagne „Gemeinsam kämpfen! Für Selbstbestimmung und demokratische Autonomie”:

Am Donnerstag befand der 5. Senat des niedersächsischen Oberlandesgerichts in Celle die IS-Rückkehrerin Lorin I. aus Vechta in allen drei Anklagepunkten für schuldig. Der Frau, die sich seit Dezember 2014 in Gebieten des sogenannten Islamischen Staates aufgehalten hatte und im Dezember 2020 von der Türkei nach Deutschland abgeschoben wurde, wurden die Mitgliedschaft in der Terrororganisation „IS“ wie zwei Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz vorgeworfen. Zu allen drei Anklagepunkten lag dem Gericht eine hohe Sachbeweislast vor, darüber hinaus zeigte sich die Angeklagte geständig. Das Gericht sah als erwiesen an, dass ihre Aktivitäten für die Terrororganisation deutlich über die einer reinen Mitläuferin hinaus gingen. Es verurteilte die Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten, ausgesetzt auf vier Jahre Bewährung.

Mit der Urteilsverkündung wurde ein deutliches Zeichen gesetzt. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Rolle von Frauen im Islamischen Staat keine rein untergeordnete ist und über das Führen des Haushaltes hinausgeht. „Es sind die Frauen, die die überzeugte Kraft in dieser brutalen, menschenverachtenden Ideologie sind und die den Nährboden fortführen. Der Strafbestand als aktives Mitglied im IS-Kalifat und als Beihelferin muss lückenlos aufgeklärt werden“, äußerte H. Alkis, Sprecherin des Dachverbands des Ezidischen Frauenrats e.V.

So konnten auch Lorin I. verschiedene Beteiligungshandlungen nachgewiesen werden: Ihre Mitgliedschaft im Islamischen Staat steht in Tateinheit mit der realen Verfügungsgewalt über Kriegswaffen. Die Angeklagte hat sich in klarem Bewusstsein darüber, dass ihr Ehemann sich dem bewaffneten Kampf anschließen wollte, Ende 2014 in Raqqa (Syrien) selbst dem Islamischen Staat angeschlossen und ihren Ehemann aktiv zur militärischen Beteiligung angehalten. Darüber hinaus konnte bewiesen werden, dass Lorin I. eine erst 14-Jährige davon überzeugen wollte, sich dem Islamischen Staat anzuschließen.

„Zum Begehen schwerer Kriegsverbrechen nehmen Frauen an der Seite ihrer Ehemänner und Mörder eine entscheidende Schlüsselrolle im IS-Terrorismus ein, die allerdings im Fall Lorin I. aus unserer Sicht sehr unzureichend aufgeklärt wurde“, so Alkis weiter.

Die für die Verurteilung relevante Zeitspanne reicht laut Gericht lediglich von Dezember 2014 bis zum Herbst 2015, danach habe sie angefangen, sich vom Islamischen Staat zu distanzieren. Anders als der Senat befand der Staatsanwalt die Distanzierungen der Angeklagten für unglaubwürdig.

Es habe einige offensichtlich rein prozess-taktische, plötzliche Veränderungen gegeben, für die keinerlei nachvollziehbare Erklärung abgegeben worden sei. Als Auflage der Bewährung muss Lorin I. aktiv an einem Deradikalisierungs-Programm des Verfassungsschutzes teilnehmen.

„Das Gericht hat ausgesagt, dass der Islamische Staat das Schlimmste sei, was man sich unter einer Terrororganisation vorstellen kann, doch nun läuft eine weitere IS-Täterin einfach frei herum. Die ganze Welt weiß um die Abscheulichkeit und Unmenschlichkeit des IS, diese Frau scheint hingegen keinerlei Gefühl für den Umfang ihrer Schuld darin zu haben“, meint F. Dahre, die für die Kampagne „Gemeinsam kämpfen!“ an der feministischen Prozessbeobachtung teilgenommen hat.

„Als ezidische Frauen, die von Verbrechen des Islamischen Staates immer noch betroffen sind, werten wir das Urteil als eine Verniedlichung und Verharmlosung der IS-Mittäterinnen, die in keiner Weise befriedigend ist. Wir fordern eine lückenlose Aufklärung und ein gerechtes Urteil“, so Alkis.