Frauen im Aufstand: Istanbul-Konvention anwenden!

Frauen in der gesamten Türkei kämpfen für die Beibehaltung und Anwendung der Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen. In Istanbul hat ein offenes Forum stattgefunden, in Izmir wurden 16 Demonstrantinnen festgenommen.

In der Türkei kämpfen Frauen für die Beibehaltung und Anwendung der Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen. Unter dem Kampagnenmotto „Wir geben unsere Rechte nicht auf, Istanbul-Konvention umsetzen!“ fanden heute erneut Protestaktionen in zahlreichen Städten statt.

Offenes Forum in Istanbul

Im Istanbuler Stadtteil Kadiköy wurde ein offenes Forum zur drohenden Annullierung des Abkommens durch die türkische Regierung abgehalten. Hunderte Frauen, darunter HDP-Abgeordnete und Mitglieder der „Friedensmütter“-Initiative, protestierten mit Schildern, Transparenten und Parolen gegen Feminizide und trugen lilafarbene Mundschutzmasken mit der Aufschrift „Istanbul-Konvention anwenden!“.

Vor Beginn des Forums wurde eine Erklärung abgegeben, in der auf die täglichen Morde an Frauen durch Männer in der Türkei hingewiesen wurde. Wer die Istanbul-Konvention nicht umsetze und sogar ihre Annullierung befürworte, mache sich zum Mittäter bei Femiziden. Mit einer Abkehr von der Konvention werden gleichzeitig alle von der Türkei ratifizierten internationalen Menschenrechtsabkommen in Frage gestellt, so die Aktivistinnen.

Angriff auf Frauendemonstration in Izmir

Eine im Rahmen der Kampagne geplante Demonstration der Frauenplattform Izmir im Stadtteil Alsancak ist von der Polizei verhindert worden. Als die Demonstrantinnen gegen das Verbot protestierten, wurden sie angegriffen, 16 Frauen wurden festgenommen. Die übrigen Aktivistinnen fordern mit einem Sitzstreik die Freilassung der Festgenommenen.

Hintergrund: Die Istanbul-Konvention

Die Istanbul-Konvention - das Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt - wurde 2011 vom Europarat als völkerrechtlicher Vertrag ausgefertigt und trat im Jahr 2014 in Kraft. Er gilt als Meilenstein im Kampf gegen patriarchale Gewalt und verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, geschlechtsspezifische Gewalt zu bekämpfen sowie die Präventions- und Hilfsangebote zu verbessern. Die Türkei unterzeichnete als erstes Land die Konvention und ratifizierte den Vertrag 2012 im Parlament, doch in der Praxis werden die Rechtsnormen nicht angewandt. Weder werden die vorgesehenen Hilfsangebote und Schutzmaßnahmen für Frauen realisiert, noch wird beispielsweise das Gesetz Nr. 6284, das nach Angaben der AKP-Regierung als „Schutzmantel für Frauen“ wirken soll, effizient durchgesetzt. Und das, obwohl in dem Land am Bosporus Frauenhass und Gewaltexzesse an Frauen keine Seltenheit sind, sondern das patriarchale Fundament der Gesellschaft darstellen. Allein im vergangenen Jahr wurden nach Angaben der Plattform „Wir werden Frauenmorde stoppen” (türk. „Kadın Cinayetlerini Durduracağız Platformu“) 474 Femizide registriert, dennoch diskutiert die Regierung von Staatspräsident Erdoğan über einen Austritt aus der Istanbuler Konvention – weil sie traditionelle Werte „untergrabe“ und Männer zu „Sündenböcken“ mache.

Frauenbewegung kämpft auch gegen andere Gesetzesvorhaben der Regierung

Die Frauenbewegung in der Türkei, die als letzte Bastion der Hoffnung im Kampf um Selbstbestimmung, Demokratie und Freiheit gilt, läuft bereits seit Monaten Sturm gegen die Pläne der AKP und fordert, dass die Regierung den Verpflichtungen des Abkommens nachkommt. Zudem verlangen die Frauenorganisationen die Rücknahme eines Gesetzentwurfs, der einem Vergewaltiger Strafmilderung zusichert, wenn dieser sein Opfer heiratet. In dem erstmals 2003 entworfenen Text heißt es, sexuelle Kontakte zwischen Erwachsenen und Minderjährigen könnten rückwirkend für straffrei erklärt werden, wenn der Altersunterschied zwischen den beiden nicht mehr als fünfzehn Jahre beträgt, das Opfer den Täter nicht angezeigt hat und einer Ehe zustimmt. Das Gesetz scheiterte bislang trotz mehrmaliger Versuche am Protest der Frauenbewegung. Hier argumentiert die Regierung, die Frauenorganisationen verträten nicht die „durchschnittliche türkische Frau“.