Femizid an Studentin: Prozesseröffnung am Montag

Nach dem Femizid an der Studentin Pınar Gültekin eröffnet der Schwurgerichtshof Muğla am Montag den Prozess wegen Mordes. Angeklagt ist ein 32-Jähriger, der die Tat bereits gestanden hat. Sein Bruder muss sich wegen Beweismittelvernichtung verantworten.

Nach dem Femizid an der Studentin Pınar Gültekin im vergangenen Juli im Südwesten der Türkei eröffnet der 3. Schwurgerichtshof Muğla am Montag den Prozess wegen Mordes. Angeklagt ist Cemal Metin Avcı, der Ex-Freund der 27-jährigen Kurdin aus Bedlîs (tr. Bitlis), die sich im letzten Jahr ihres Wirtschaftsstudiums befand. Der 32-Jährige legte bereits ein umfassendes Geständnis ab: demnach verprügelte er Pınar Gültekin zuerst, bevor er sie erwürgte. Dann habe er versucht, ihren Körper in einem nahegelegenen Waldstück zu verbrennen. Als das misslang, habe er die Leiche in einem als Mülltonne benutzten Fass versteckt und mit Beton übergossen.

Brutale Gewaltexzesse an Frauen gehören bereits seit Jahren zum Alltag in der Türkei. Doch kaum ein Femizid verursachte so große Empörung wie die Ermordung von Pınar Gültekin. Es dauerte fünf Tage, bis die Polizei ihre sterblichen Überreste fand. Die Beamten waren Avcı anhand Überwachungsaufnahmen einer Tankstelle auf die Spur gekommen. Auf den Bildern ist zu erkennen, wie er Benzinkanister in seinen Wagen lädt. Als Tatmotiv gab er bei der Polizei Eifersucht an.

Wird Cemal Metin Avcı verurteilt, droht ihm eine erschwerte lebenslängliche Haftstrafe. Diese Art der Freiheitsstrafe ersetzt die seit dem Jahr 2002 in der Türkei abgeschaffte Todesstrafe und dauert nach gültiger Rechtsprechung bis zum physischen Tod. Aufgrund der brutalen Vorgehensweise sieht die Anklage auch das Mordmerkmal der Grausamkeit erfüllt. Dies ist dann der Fall, wenn dem Opfer durch die Tötung besondere Schmerzen oder Qualen zugefügt werden. Um das Unrecht der Tötung als solches zu erhöhen, müssen die zugefügten Qualen über das dafür nötige Maß hinausgehen. Das ist etwa der Fall, wenn der Täter das Sterben des Opfers gezielt verlangsamt oder die Leiden intensiviert.

Auf einen Antrag der Verteidiger von Avcı, den Mann über das Videoliveschaltungssystem SEGBIS in die Verhandlung einbinden zu lassen, reagierte Rezan Epözdemir, Anwalt der Familie Gültekin, Mitte Oktober mit Empörung. Der Jurist stellte umgehend einen Gegenantrag, der positiv beschieden wurde. Das Gericht ordnete an, dass der im Hochsicherheitsgefängnis in Afyonkarahisar inhaftierte Angeklagte persönlich zu erscheinen hat. Ebenfalls angeklagt ist Mertcan Avcı, der Bruder des Täters. Er wird beschuldigt, Beweismittel vernichtet zu haben. Zu den Details ist lediglich bekannt, dass die Handy-Daten des Angeklagten ausgewertet und daraus für den Tattag, den 16. Juli 2020, ein Aufenthaltsprofil am Tatort erstellt wurde. Bei einer Verurteilung drohen dem 26-Jährigen bis zu fünf Jahre Haft.

Mindestens 21 Femizide im Oktober

In der Türkei kommt es inzwischen fast täglich zu Femiziden, dennoch hält die Regierung an ihrem Plan über eine Aufkündigung der Istanbuler Konvention zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen fest. Laut dem Femizid-Bericht für Oktober der Plattform gegen Frauenmorde (Kadın Cinayetlerini Durduracağız Platformu, KCDP) sind im Vormonat mindestens 21 Frauen von Männern ermordet worden, acht weitere Frauen sind unter verdächtigen Umständen ums Leben gekommen. Das sind bereits mindestens 246 Femizide in diesem Jahr. 2019 wurden sogar 474 Fälle gezählt. Die Frauenrechtlerinnen der Organisation, die Gewalt gegen Frauen erfasst und sich zur Aufgabe gemacht hat, öffentlich über Femizide aufzuklären und diese zu verhindern, setzen sich für den Erhalt und die Umsetzung der Istanbul-Konvention ein und verlangen seit Jahren langjährige Haftstrafen für Täter zur Abschreckung. Sie kritisieren, dass gemäß des Übereinkommens zu ergreifenden Maßnahmen zum Schutz von Frauen nicht implementiert werden und Richter bei der Strafzumessung einen viel zu weiten Ermessensspielraum haben. Viel zu oft gebe es Strafnachlässe für angeblichen Affekt, für Reue und oft sogar für gute Führung, nur weil der Täter in Anzug und Krawatte vor Gericht erscheint, beklagen die Aktivistinnen.