In der westtürkischen Provinz Izmir wird im Januar gegen zwölf Frauenrechtsaktivistinnen verhandelt, die sich an einer Kundgebung gegen den Femizid an Pınar Gültekin beteiligt haben. Den Frauen wird vorgeworfen, gegen das Versammlungsgesetz verstoßen und Widerstand gegen die Staatsgewalt angewendet zu haben. Bei einer Verurteilung drohen Haftstrafen.
Die 27-jährige Studentin Pınar Gültekin war im Juli in Muğla von einem Mann getötet worden. Die Tat hatte einen landesweiten Aufschrei der Empörung und Proteste ausgelöst. Der Femizid an Gültekin, die sich im letzten Jahr ihres Wirtschaftsstudiums befand, gehört zu den grausamsten Verbrechen der jüngsten Zeit in der Türkei. Sie wurde bewusstlos geschlagen, gewürgt und lebendig verbrannt, bevor ihr Körper in einem Fass mit Beton übergossen wurde. Es dauerte fünf Tage, bis die Polizei ihre sterblichen Überreste fand.
Auch in Izmir waren daraufhin zahlreiche Frauen auf die Straße gegangen, um gegen patriarchale Gewalt zu protestieren und ihre Forderung zu bekräftigten, die Istanbul-Konvention umzusetzen. Nahezu täglich werden in der Türkei Frauen Opfer eines Femizids, dennoch diskutiert die Regierungspartei AKP darüber, ob sie aus dem Übereinkommen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen austreten soll - weil sie traditionelle Werte untergrabe.
Spuren der Polizeigewalt vom 21. Juli in Izmir
Die Kundgebung am 21. Juli vor dem „Kulturzentrum Türkan Saylan“ in Izmir war jedoch von massiver Polizeigewalt überschattet worden. Sicherheitskräfte hatten die Zusammenkunft aufgelöst und etliche Festnahmen durchgeführt. Auch die nun angeklagten Aktivistinnen waren davon betroffen: Nach ihrer Freilassung berichteten sie von Schlägen und Tritten in Polizeigewahrsam. Auf ihre Anzeigen haben die Polizisten inzwischen mit einer Gegenanzeige reagiert. Der Vorwurf: „tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte“. Angeblich seien die Sicherheitskräfte von den Frauen „gekratzt“ worden. „Der Staat zielt auf die organisierte Haltung von Frauen ab, die ums Überleben kämpfen“, kommentiert Arzu Sert, eine der Angeklagten. Die Feministin gehört zur Bewegung der „Campus-Hexen“, die an türkischen Hochschulen gegen männliche Gewalt kämpfen. Der Prozess gegen sie und elf weitere Frauen wird am 20. Januar 2020 eröffnet.