Ermittlungen gegen kurdische Friedensmütter

Sie haben angeprangert, dass die Türkei ihre Angriffe auf Rojava und Başûr trotz Erdbebenkatastrophe fortsetzt. Nun wird gegen mehrere Frauen der Initiative der kurdischen Friedensmütter ermittelt – auf Grundlage eines „Anti-Desinformations-Gesetzes“.

„Statt seine Kapazitäten in den Krieg zu stecken und trotz verheerender Erdbebenkatastrophe die Luft- und Bodenangriffe auf West- und Südkurdistan fortzusetzen, muss der Staat all seine Ressourcen nutzen, um den Menschen im Katastrophengebiet zur Hilfe zu eilen. Wäre dies von Anfang an geschehen, so hätte das Ausmaß der Erdbeben vermieden und viele Menschenleben hätten gerettet werden können“ – so in etwa lauten die Forderungen der Initiative der Friedensmütter in der nordkurdischen Provinz Şirnex (tr. Şırnak). Die Frauen prangern an, dass der Vernichtungskrieg des türkischen Staates gegen Kurdinnen und Kurden im Norden von Syrien und des Iraks selbst inmitten einer Erdbebenkatastrophe, deren Zerstörungsausmaß als „apokalyptisch“ beschrieben wird, „oberste Priorität“ habe, während es vielen Betroffenen auch Wochen nach den Erschütterungen an allem fehle und zahlreiche Menschen weiterhin vermisst würden. Aufgrund dieser Forderungen, die im Rahmen eines Interviews zustande gekommen sein sollen, hat die Staatsanwaltschaft in der Kreisstadt Silopiya (Silopi) ein Ermittlungsverfahren gegen fünf Aktivistinnen der „Friedensmütter“ aus Şirnex eingeleitet.

Verfahren auf Grundlage von Zensurgesetz

Die Behörde wirft den Frauen vor, „unwahre Informationen bezüglich der inneren und äußeren Sicherheit, der öffentlichen Ordnung und der allgemeinen Gesundheit der Türkei verbreitet” zu haben. Ihr angebliches Ziel dabei: „Besorgnis, Angst oder Panik in der Bevölkerung zu erzeugen und den gesellschaftlichen Frieden zu stören.” Das Verfahren wird auf Grundlage eines umstrittenen Mediengesetzes geführt, dass offiziell dabei helfen soll, „Desinformation“ zu verhindern. Ein bis drei Jahre Gefängnis für die Verbreitung von „falscher oder irreführender Nachrichten“ sieht dieses vermeintliche Anti-Desinformations-Gesetz vor, das Oppositionelle als Zensur-Instrument bezeichnen, um die totale Beseitigung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei zu vollziehen. De facto kann mit dem Gesetz potentiell jede Person straffällig werden, die der Regierung unliebsame Informationen verbreitet.

Anklage gilt wohl als wahrscheinlich

Ob und wann Anklage gegen die Friedensmütter erhoben wird, ist zwar noch unklar, gilt jedoch als wahrscheinlich. Vergangene Woche wurden die Frauen zunächst von der Polizei und anschließend von der Staatsanwaltschaft vorgeladen. „Man hat uns signalisiert, dass es in jedem Fall zu einem Prozess gegen uns kommen würde“, äußert eine der Betroffenen, deren Name dieser Redaktion bekannt ist. „Wenn die Erde erzittert, ist das zwar häufig das Werk der Natur, das der Mensch nicht verhindern kann. Aber das Ausmaß der Zerstörung wird ganz klar von Menschen begünstigt. Dann ist es gleichzusetzen mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wenn ein Staat sich drei Tage lang nicht im Erdbebengebiet blicken lässt und zwei, drei Wochen später die Betroffenen noch immer auf Zelte, Trinkwasser und andere Hilfe warten müssen.“

„Sie wollen uns Angst machen“

Auch wenn es bedeutete, am Ende ins Gefängnis zu gehen – Forderungen nach Frieden und Gerechtigkeit und das Anprangern der eklatanten Verletzung grundlegender Menschenrechte seien angesichts der derzeitigen Lage in der Region aktueller den je. „Sie wollen uns Angst machen, weil sie denken, dass wir irgendwann die Nerven verlieren und uns freiwillig von der Bühne des Widerstands zurückziehen. Sie irren sich: Wir fürchten uns nicht und werden unsere Kämpfe fortsetzen.“