Ein Jahr dieselbe Frage: Wo ist Gülistan Doku?

Vor einem Jahr ist die kurdische Studentin Gülistan Doku in Dersim spurlos verschwunden. In zahlreichen Städten in der Türkei sind Frauen auf die Straße gegangen, um nach ihrem Verbleib zu fragen und Gerechtigkeit einzufordern.

In zahlreichen Städten der Türkei sind Frauen auf die Straßen gegangen, um nach dem Verbleib von Gülistan Doku zu fragen. Die in Amed (tr. Diyarbakir) geborene 22-jährige Pädagogik-Studentin ist vor einem Jahr in Dersim spurlos verschwunden. Aus Anlass des Jahrestages ihres unaufgeklärten Verschwindens sind landesweit Kommissionen mit der Forderung „Gerechtigkeit für Gülisten Doku“ gegründet worden. Die polizeilichen Ermittlungen dauern formal noch an, aber das reicht der Familie und Frauenorganisationen nicht. Die Ermittlungen werden als unzureichend angesehen.

Bereits direkt nach dem Verschwinden von Gülistan Doku war befürchtet worden, dass sie Opfer eines Gewaltverbrechens geworden sein könnte. Nur einen Tag vorher hatte ihr Ex-Freund Zainal Abakarov mit Gewalt versucht, die junge Frau in sein Auto zu zerren. Doku wehrte sich und Passant*innen, die das Geschehen beobachtet hatten, verständigten die Polizei. Diese schloss den Mann, dessen Stiefvater - inzwischen suspendierter - Polizeibeamter in Dersim war, jedoch relativ früh als Tatverdächtigen aus. Eine andere Spur hat die Behörde aber auch nicht, obwohl fast jede Gegend in Dersim mit Überwachungskameras und Richtmikrofonen 24 Stunden am Tag observiert wird. Stattdessen mutmaßt die Polizei, die Studentin habe Selbstmord begangen. Abakarov ist untergetaucht und angeblich nicht auffindbar.

Der Kampf der Angehörigen um Aufklärung des Schicksals der Studentin der Munzur-Universität ist im vergangenen Jahr systematisch von den türkischen Behörden kriminalisiert worden. Mahnwachen und Proteste für die Wiederaufnahme der Suchaktionen nach Gülistan Doku und die Verhaftung Abakarovs sind mehrfach gewaltsam von der Polizei aufgelöst worden. Zudem wurden die Mutter und Schwester der Vermissten mehrere Male vorübergehend festgenommen. Gegen den Familienanwalt Ali Çimen läuft ein Verfahren wegen der angeblichen Verletzung der Geheimhaltung von Ermittlungen. Der Jurist wird der Preisgabe von vertraulich zu behandelnden Ermittlungsergebnissen beschuldigt.

Bei einer Protestaktion in Dersim sagte die Mutter von Gülistan Doku, dass sich ihr seit einem Jahr andauernder Schmerz nicht mit Worten beschreiben lässt. Mit Verweis auf das Studium ihrer Tochter an der staatlichen Universität Dersim erklärte Bedriye Doku: „Ich habe Gülistan in Obhut des Staates gegeben. Gülistan hat in Kurznachrichten gesagt, dass sie Angst hat. Wovor hat sie Angst gehabt? Was habt ihr meiner Gülistan angetan, was ist ihr zugestoßen, wo ist sie vergraben worden? Ich bin Gülistans Mutter, seit einem Jahr ist mein Herz zerrissen. Ich will, dass meine Tochter gefunden wird.“