„Durchbrechen wir die Isolation“

In einem Brief schreibt Ayten Gülsüm aus dem Frauengefängnis von Gebze: „Was auch immer der Preis dafür sein mag: Durchbrechen wir die Isolation.“

Ayten Gülsüm befindet sich seit 20 Jahren im Gefängnis. In einem Brief, der in der Tageszeitung Yeni Özgür Politika veröffentlicht wurde, stellt sie sich selbst vor und beschreibt die erste Zeit ihrer Teilnahme an der Freiheitsbewegung. Ayten gehört zur ersten Gruppe der Gefangenen, die am 16. Dezember 2018 gegen die Isolation von Abdullah Öcalan in einen unbefristeten Hungerstreik getreten ist. Dem Hungerstreik, der von Leyla Güven am 7. November begonnen wurde, haben sich bis heute Tausende Menschen im Gefängnis und auch außerhalb in vielen Ländern angeschlossen. Sie wollen weitermachen, bis die Isolation durchbrochen ist.

Ihr Brief folgend im Wortlaut:

Ich bin 1979 Qabilcewz (Sason) in der Provinz Êlih (Batman) auf die Welt gekommen. Bis zu meiner Teilnahme bei der PKK lebte ich in Qabilcewz. Im Mai 1997 schloss ich mich der Guerilla an. In Qabilcewz sind die Bewegungsmöglichkeiten für die Befreiungsbewegung ziemlich begrenzt. Nach den Aufständen, die sich in der Region am Anfang des Jahrhunderts entwickelt hatten, und dem Völkermord an den Armeniern, dominierte bei der Bevölkerung von Qabilcewz eine Kultur der Arabisierung und des „Dorfschützertums“ … Wenn ich in meiner Gymnasial-Zeit die Partei auch nicht sonderlich kannte, so begegnete ich doch diesen „Dorfschützern“ und Araberstämmen immer mit Wut. Meine Familie und das Dorf, in dem ich lebte, stand dazu Kurden zu sein, und in meiner Familie wurde keiner jemals „Dorfschützer“. Wir als Kurden haben uns in Qabilcewz immer als Minderheit gefühlt.

In den 90er Jahren, als sich die „Dorfschützer“ an militärischen Operationen gegen die Guerilla beteiligten, als sie zum Risiko für die sich Bewusst werdende Bevölkerung wurden, als sie sich an Massakern beteiligten, gerieten sie mehr ins Blickfeld. Ich erinnere mich sehr gut daran wie sie ziemlich reich wurden. Sie sind in ihrer Lebensart unersättlich, gegenüber Frauen unerbittlich. Sie wollen jede Frau an der sie gefallen finden heiraten, sie entführen sie und quälen sie. Das ist so verbreitet, dass dem kein Riegel vorzuschieben ist. Unsere Familie ist Kurdisch und wir waren gegen diese Kultur der „Dorfschützer“. Vor allem deshalb schätzte ich es Kurde zu sein und so steigerte sich meine Wut auf den Feind. Ich war insgesamt interessiert an ganz Kurdistan und lernte es ein wenig durch die Geschichten meines Großvaters kennen. Aber dies reichte nicht, um meine Neugier zu befriedigen. Ich war gerade erst 17 Jahre alt. In Qabilcewz gab es die Partei nicht. Aber es gab reichlich Möglichkeit auf die Guerilla zu stoßen. In den Jahren, als ich glaubte ich wäre nun alt genug, wuchs meine Suche und ich jagte meinen Träumen hinter her. Zwei oder drei Jahre lang habe ich ohne mit jemandem in Kontakt zu treten meinen Plan geschmiedet, um die Guerilla zu treffen. Am Ende war ich erfolgreich und schloss mich mit 17 Jahren der Guerilla an. Bevor ich mich ihr anschloss, bin ich ihnen oftmals begegnet und war sehr beeindruckt von ihnen. Für mich gab es nichts anderes mehr als die Guerilla. Es war notwendig, Kurdistan von all dem Dreck zu befreien. Ich glaubte, das sei nur mit der Guerilla zu schaffen.

Kurdistan ist sehr schön, ein Teil des Paradieses. Die Feinde zerstückelten es und beschmutzten es. Aber die Guerilla und die zur Massenbewegung werdende kurdische Freiheitsbewegung, würden Kurdistan schon rein waschen. Kurdistan würde erneut zu einem Garten Edens. Ich war ungefähr zweieinhalb Jahre bei der Guerilla. 1999, beim Rückzug (Anm.d.Red.: erfolgte nach einem entsprechenden Aufruf von Abdullah Öcalan, um den Weg für einen Friedensprozess zu öffnen), wurde ich verhaftet. In meiner Zeit bei der Guerilla war ich in Amed und Garzan. Wenn es auch nur für kurze Zeit war so bin ich doch glücklich, dass ich das Leben der Guerilla und die Natur Kurdistans kennenlernen durfte. In den 20 Jahren meines Lebens im Gefängnis war das meiste, an das ich gedacht habe, meine Erinnerungen an die Guerilla und die unvergleichliche Natur Kurdistans. Unter sehr schweren Bedingungen war das erste und intensivste was ich bei der Guerilla lernte die Freiheit der Frau. Wenn auch nur begrenzt, unzureichend und mit Halbwissen versetzt, wollte ich doch diese Freiheit der Frau in mir wahr werden lassen. Stück für Stück machte ich Fortschritte. Mit Zunahme meiner Erfahrungen, je mehr ich die eigene Kraft der Frau kennen lernte, umso mehr erkannte ich, dass sich auch in mir selbst etwas veränderte. Der Vordenker der Kurden (Abdullah Öcalan) spricht von: „Mein unvollendetes Werk“.

Wenn mir das in Erinnerung kommt, dann befasse ich mich noch mehr mit der Freiheit der Frau, und in meiner Person mit der gesellschaftlichen. Nicht auch nur ein winziges bisschen werde ich von meinem Weg, und von dem an das ich Glaube, abweichen. Das Bewusstsein der Freiheit der Frau ist mein zentraler Glaube und meine Passion. Das Paradigma (Abdullah Öcalans) reicht vom Frieden und der Freiheit der Völker des Nahen Ostens bis hin zu internationalem Recht. Wenn das heute auch noch nicht der Fall ist, so wird doch morgen ganz sicher die ganze Welt das Paradigma Öcalans diskutieren. Da bin ich mir sicher. Öcalan hat der Welt eine unvergleichliche Lehre erschaffen. Das sollte und wird erkannt werden. Das, was er für die Kurden und die Frauen bedeutet, versuchen wir so gut wie wir es nur können zu vertreten. Öcalan befindet sich unter erschwerter Isolation. Damit seine Lehre nicht diskutiert wird, damit er vergessen wird, steht er unter Isolation. Deshalb wird auf diese Weise eine ganze Gesellschaft unter Isolation gestellt. Letztendlich, wir müssen diese Isolation wahrhaftig durchbrechen.

Ich glaube fest, dass unser ganzer Wille zur Freiheit sich darin manifestiert, diese Isolation zu durchbrechen. Um den Faschismus zu beenden, um Kurdistan zu befreien, um die Isolation von Öcalan zu zerschlagen. Wenn die Isolation fällt, folgt ohnehin beides auf dem Fuß. Was auch immer der Preis dafür sein mag: Durchbrechen wir die Isolation ...