„Egal wie, wir müssen diese verfluchte Isolation durchbrechen“

„Unsere Augen und Ohren sind auf euch gerichtet. Egal wie, wir müssen diese verfluchte Isolation durchbrechen“, schreibt Ayten Gülsüm aus dem Frauengefängnis Gebze an ihre Brieffreundin nach Berlin.

Aus dem Frauengefängnis Gebze in der Westtürkei schreibt Ayten Gülsüm ihrer Brieffreundin Susanne nach Berlin, dass sie wie Hunderte weitere Gefangene in einen Hungerstreik getreten ist: „Ich will dir jetzt schreiben, weil es sein kann, dass ich nach einiger Zeit nicht mehr zu schreiben in der Lage bin.“

Ayten ist seit Jahren im Gefängnis, Susanne ist im Frauenrat DEST-DAN in Berlin aktiv. Seit 2013 schreiben sie sich Briefe. Der letzte Brief von Ayten ist vom 21. Januar. Mitte Februar kam er in Berlin an. Ayten gehört zu der ersten Gruppe der Gefangenen, die am 16. Dezember in einen unbefristeten Hungerstreik getreten ist. Am Anfang waren sie etwa dreißig, inzwischen sind es über 300 Gefangene, die die Nahrungsaufnahme verweigern. Der Hungerstreik fordert die Aufhebung der Isolation Abdullah Öcalans, des Vordenkers der kurdischen Befreiungsbewegung und Architekten des Modells einer basisdemokratischen, geschlechterbefreiten und ökologischen Gesellschaft.

„Wie du weißt, haben wir das neue Jahr mit einem großen Widerstand begonnen. Du kennst uns gut genug, um zu wissen, dass unser Widerstand in seinem ganzen Ausmaß der Freiheit aller Frauen und Völker der Welt gewidmet ist“, schreibt Ayten an Susanne. Abdullah Öcalan ist seit zwanzig Jahren in Isolationshaft auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali. Er gilt als Schlüsselfigur für eine Lösung der kurdischen Frage. Durch die Aufhebung seiner Isolationsbedingungen soll eine Rückkehr zu den 2015 vom türkischen Staat abgebrochenen Friedensverhandlungen mit der kurdischen Bewegung erreicht werden.

Die Grundlage für einen Dialog schaffen

In Aytens Brief heißt es: „Du schreibst, dass unser Widerstand über die europäische und weltweite Presse hinaus verbreitet wird. In der Tat haben die kurdischen Frauen eine führende Rolle eingenommen. Du weißt, wir können nicht gut verfolgen, was in der Presse steht. Deshalb freut uns natürlich (solch eine Nachricht), dass unsere Stimme gehört wird. Eine berechtigte und wahre Stimme findet mit Sicherheit Gehör, egal wie sehr dies auch versucht wird zu verhindern. Daran haben wir gar keinen Zweifel. Was zählt ist der Erfolg. Die Isolation zu durchbrechen, ist eine sehr wichtige Schwelle. Eigentlich wollen wir, dass die hier in der Türkei jahrelang währende Feindschaft den Kurdinnen und Kurden gegenüber aufgegeben wird. Die Isolation zu durchbrechen und eine Grundlage für den Dialog mit dem Vorsitzenden zu schaffen, kommt einem Verzicht der Türkei (auf diese Feindseligkeit) gleich. Für die Sicherheit und die Zukunft der Bevölkerung in den (kurdischen) Gebieten, um den Freiheitskampf der Frauen unter den Völkern der Welt zu verbreiten, ist dies sehr wichtig, Susanne. Warum schreibe ich das? Wir führen diesen Widerstand mit der Ideologie und Philosophie, von der wir überzeugt sind, für alle Völker und Frauen der Erde. Um ihn zum Erfolg zu führen, müssen wir das Ziel dieses Widerstandes in seiner Gänze immer wieder betonen. Wir müssen mit viel Energie an dieser Überzeugung festhalten.

Was die Türkei normalisiert, ist die Außenpolitik

Heute ist der 37. Tag. Du weißt, auch ich bin Teil dieses Widerstandes. Wir sind hier als fünf Freundinnen im Streik. Die Situation und die Motivation von uns allen sind gut. Unsere Augen und Ohren sind auf euch da draußen gerichtet. Ihr seid, was uns(eren Widerstand) vervollständigt. Die Repression in der Türkei ist sehr groß. Menschen werden bei der Abgabe einer Presseerklärung weggeschnappt und verhaftet. Sowieso gibt es schon nicht mehr viele, die draußen sind, sie verhaften alle. In solch einem Zustand wird der Bereich, in dem der Mensch sich und seine Forderungen ausdrücken kann, immer enger. Die Politik der Einschüchterung und Repression ist ja bekannt, aber diese Politik hat in der Türkei das Ausmaß eines Systems erreicht, es ist nicht ersichtlich, dass sich das wieder normalisiert. Am meisten sollte die Welt hierauf aufmerksam sein, denn was die Türkei normalisiert, ist die Außenpolitik.

Egal um welchen Preis

Wie ich bereits erklärt habe, unsere Situation ist klar. Um unseren Kampf zum Erfolg zu führen, setzen wir unseren Körper ein. Ich denke, das ist alternativlos. Mit großer Entschlossenheit und Motivation machen wir weiter. Egal um welchen Preis. Unsere Augen und Ohren sind auf euch gerichtet. Egal wie, wir müssen diese verfluchte Isolation durchbrechen. Wir müssen den Kampf verstärken, die Isolation durchbrechen, um unser Ziel erreichen zu können. Es gibt keinen anderen Weg.“