Die Utopie wird direkt umgesetzt

Am zweiten Tag der Frauenkonferenz „Revolution in the Making“ des Netzwerks „Women Weaving the Future“ fand die Session 4: „Verschiedene Orte, universelle Kämpfe, die Erfahrungen der Frauenbewegungen“ statt.

Am Sonntag, dem zweiten Tag der Frauenkonferenz „Revolution in the Making“ des Netzwerks „Women Weaving the Future“, fand die 4. Session: „Verschiedene Orte, universelle Kämpfe, die Erfahrungen der Frauenbewegungen“ statt. Moderiert wurde sie von Yvonne Heine vom Kurdischen Frauenbüro für Frieden – Cenî.

Die erste Rednerin dieser Session war Jade Daniels von „Black Lives Matter“ aus Los Angeles.

Black lives matter und warum weiße Vorherrschaft sexistisch ist“

Jade Daniels kommt aus Kalifornien, sie ist u.a. Bewegungskünstlerin, Autorin und vieles mehr, aber vor allem stamme sie von Sklav*innen ab, die aus ihrer Heimat entführt wurden, aus Afrika, beginnt sie.

„Die Kultur unserer Ahnen wurde mir weggenommen. Meine Familie hat seit Generationen eine Geschichte in Ketten gelebt, als Sklav*innen. Später haben wir uns dann der Armee der Fabrikarbeiter*innen angeschlossen. Meine Familie ist eine matriarchale Familie mit starken Frauen, die viele Hindernisse überwunden haben. Auch wenn unsere Geschichte in den USA auf den Schiffen begonnen hat, so hat sie nicht in Ketten begonnen und wird nicht in Ketten enden.“

Sie beschreibt ihre Erfahrungen als schwarze Frau in den USA, dass die Bewegung vor allem das nicht-Trauern über schwarze Leben zum Thema habe. „Unsere Vorfahren wussten gut, wie man trauert, das ist ein Teil ihres alltäglichen Lebens. Wer wird über schwarze Frauen trauern, wenn nicht wir selbst“, fährt sie fort.

Die USA fühle nicht mit den schwarzen Frauen, die immer in der ersten Reihe stünden. Ihre Geschichte sei eine Geschichte der Gewalt und Unterdrückung. Schon Malcolm X. habe gesagt, die Frau, die am wenigsten respektiert werde in den USA, sei die schwarze Frau. Ihre Ausbeutung und Unterdrückung sei bekannt.

„Die Rolle, die sie in revolutionären Kämpfen spielen, ist nicht so bekannt. Ihr müsst sie kennenlernen,“ fährt Jade fort. Eines ihrer großen Themen sei die Intersektionalität. Der Sexismus, die Misogynie sei vor allem gegen schwarze Frauen gerichtet, das müsse benannt werden. Schwarze Transfrauen seien am stärksten von Gewalt betroffen, weltweit. Obwohl sie meist das Alter von 35 nicht erreichten, seien sie oft an der Spitze der Kämpfe zu finden, aber selbst dort müssten sie oft ihre Identität verstecken.

Weiterhin thematisierte sie die hohe Anzahl schwarzer Menschen unter den Gefangenen. Obwohl die USA nur fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmachten, seien 25 Prozent aller Gefangenen in den USA inhaftiert. Dies seien meist Schwarze und schwarze Frauen trügen diese Last auf ihren Schultern. Schwarze Frauen kämen viermal so schnell ins Gefängnis wie ihre weißen Geschlechtsgenossinnen. Sie würden für medizinische Experimente missbraucht, wobei unzählige ums Leben kommen würden. Auch gebe es eine sehr hohe Mortalität bei der Geburt, ebenfalls vor allem unter schwarzen Frauen. Ihre Gefahr bei der Geburt zu sterben, sei 234 Prozent höher als bei weißen Frauen. Auch die Säuglingsmortalität sei doppelt so hoch. Dennoch hätten schwarze Frauen viele Kämpfe angeführt. Ihre Vorreiterrolle sei jedoch oft nicht anerkannt worden, aber es werde immer schwieriger, ihre Rolle zu negieren.

Sie fährt fort: „Ich komme von Black Live Matters Los Angeles. Black Live Matters ist eine panafrikanische schwarze Frauenbewegung. Von Anfang an haben wir gesagt, dass wir unterdrückte schwarze Frauen weltweit unterstützen. Wir haben als eine queer- feministische Bewegung begonnen, um für eine Welt ohne Rassismus gegen Schwarze zu kämpfen. Wir sind Frauen aus verschiedenen Bereichen, wir kämpfen dafür, dass wir nicht mehr systematisch angegriffen werden. Ohne dass schwarze Menschen befreit werden, wird niemand befreit. Wir kämpfen für die Befreiung schwarzer Frauen und aller Menschen. Der jetzige US-Präsident ist die Verkörperung von Rassismus und Sexismus. Wir kämpfen im Magen des Monsters. Wir wollen unsere Menschen politisch bilden. Viele Amerikaner*innen sind politisch ungebildet, wir müssen sie von Konsumzwang befreien, wir müssen sie vom Trauma des Kapitalismus heilen. Audre Lorde sagte, man kann die Herrschenden nicht mit den Werkzeugen der Herrschenden bekämpfen. Wir stehen am Beginn eines neuen Kampfes, der von Frauen angeführt wird.“

Gegen Ende ihres kurzen Vortrages zollt sie dem Kampf der kurdischen Frauen Respekt.

Sie sagt: „Dort wird die Utopie direkt umgesetzt. Wir sehen, wie das Reich zerfällt, das patriarchale System zusammenbricht. Die Fundamente werden unter dem Druck unseres Widerstandes zusammenbrechen, ich fühle mich geehrt, ein Teil davon zu sein.“

Das Erwachen der Kinder der Göttinnen, die zweite Frauenrevolution im Mittleren Osten

Die nächste Rednerin ist Nazira Goreya die Ko-Vorsitzende des Exekutivrates des Kantons Cizîrê und Mitbegründerin der Suryoye Frauen Union in Rojava/Nordsyrien

Sie bedauert, nicht in ihrer Muttersprache Aramäisch sprechen zu können, da es keine Übersetzerin gibt, daher spricht sie auf Arabisch:

„Frauen sind eine Quelle des Lebens in den antiken Gesellschaften des Mittleren Ostens. Frauen wie die Königin Zenobia. Die Suryoye-Frauen haben an der Seite der kurdischen Frauen gekämpft, um sich von den Ketten zu befreien und sie haben Organisationen aufgebaut. Sie haben die Unterdrückung nicht akzeptiert, sie haben nicht akzeptiert nur an den Rändern der revolutionären Kampfe zu bleiben. Die Frauenarmee der Suryoye hat an der Seite der YPJ gekämpft und tut es bis jetzt. Wir kämpfen noch immer, die gefallenen Frauen sind ein Symbol der Freiheit geworden, viele Frauen sind aus der Diaspora zurückgekehrt, um mitzukämpfen.“

Sie erklärt, dass es Frauenorganisationen in allen Teilen der Gesellschaft gibt, und beschreibt den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft in Nordsyrien als Wiedergeburt:

„Wir beginnen eine demokratische, frauenbefreite Ära. Daran glauben wir. Je mehr Frauen die Gleichheit für Frauen erkämpfen, desto mehr Frauen wird dieser Kampf erreichen.“

Nazira beschreibt auch das Ringen um eine Einheit zwischen den verschiedenen christlichen Gruppen, den Aramäer*innen, Suriyani, Chaldäer*innen und Armenier*innen, die alle schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts Genoziden durch das Osmanische Reich ausgesetzt waren und nun erneut durch Erdoğan bedroht seien. „1913–15 wurden eine halbe Million Suryoye und 1,5 Millionen Armenier*innen ermordet. Nun versucht Erdoğan erneut uns zu ermorden. Wir sind in Gefahr, ermordet zu werden. Wir Suryoye waren die ersten, die das Christentum im Mittleren Osten angenommen haben. Die Fundamentalisten sehen christliche Frauen genau wie die ezidischen Frauen an, als Frauen, die versklavt werden können. In Deir ez-Zor haben wir mit den YPJ mehrere hundert Frauen vom Islamischen Staat befreit. Wir haben gelernt, dass wir alle gemeinsam kämpfen können, egal woher sie kommen. Wir erinnern an alle, die ihr Blut vergossen haben für die Befreiung. Wir nehmen ihre Last auf unsere Schultern, um weiterzukämpfen bis alle befreit werden“, schließt sie ihren Vortrag.

Als nächstes spricht Mary Joan Guan von der Frauenorganisation GABRIELA von den Philippinen.

Der Erfolg von Gabriela: Frauenallianzen in Theorie und Praxis

Mary Joan Guan beschreibt, dass die Frauen auf den Philippinen Teil verschiedener Allianzen sind, um gegen den gemeinsamen Feind zu kämpfen. „Wir glauben nicht, dass der antipatriarchale Kampf von anderen Kämpfen, zum Beispiel gegen Kolonialismus, getrennt werden kann.“

Sie beschreibt, dass der Kampf um das Bewusstsein sehr im Zentrum ihrer Arbeit stehe. Dafür mache man viel Öffentlichkeitsarbeit, über Broschüren, Newsletter, soziale Medien, aber auch mit den Mitteln der Kunst, wie zum Beispiel des Tanzes.

„Zuerst müssen wir das Interesse der Frauen wecken und vor allem organisieren. Wir wollen Frauen vereinen, sie dazu zu bringen, sich an sozialen Strukturen zu beteiligen. Somit entwickeln sie ein Klassenbewusstsein. Wir arbeiten in den Stadtteilen aber auch international“, fährt sie fort.

„Wir kämpfen mit Bäuerinnen für ihr Land, für Gesundheit und Bildung, gegen Armut, Hilfe bei Naturkatastrophen, gegen Reproduktionsmedizin. Es gibt eine große Allianz in den Philippinen gegen Sexismus. #BabeaeAko (Ich bin eine Frau) ist einer der wichtigsten Hashtags der Philippinen." So hätten Frauen auch einen sehr breiten Kampf gegen Duarte geführt.

Nicht eine Frau weniger – Ni Una Menos

Die vorletzte Rednerin dieser Session ist Rita Segato, sie ist Professorin für Anthropologie und Bioethik an der UNESCO Universität Brasilia.

Sie erklärt, dass sie sehr überrascht von den vielen Gemeinsamkeiten sei, die alle Frauen auf der Konferenz teilen. In Lateinamerika sei das große Problem die Feminizide. Auch wenn es dort keine offiziellen Kriege gebe, seien doch die Morde in Brasilien, Guatemala und vielen weiteren Ländern so zahlreich wie in einem regulären Krieg.

Der Präsidentschaftskandidat von Brasilien, Jair Bolsonaro, der nun in die Stichwahl muss, sei ein brasilianischer Trump. Er sei homophob, gewaltverherrlichend, frauenfeindlich und rassistisch. Am gestrigen Wahltag habe er gesagt, er hätte lieber einen toten Sohn als einen schwulen. Es sei besonders erschreckend, dass der mögliche zukünftige Präsident dies unverhohlen ausspreche. Einer Abgeordneten, die ihn kritisiert habe, erwiderte er, er würde sie nicht einmal vergewaltigen, weil sie so nichtig sei.

„Wir haben auch schöne Momente erlebt, zum Beispiel in Argentinien bei der Demonstration unter dem Motto ‚Ni una menos‘. Entscheidend ist, dass Frauen zusammengekommen sind. Durch die große Krise der männlichen Politik ist die Reihe an uns gekommen. Wir müssen endlich zu der Geschichte kommen, sonst wird die Geschichte dazu kommen, dass die Menschheit verschwindet.“

Sie sieht eine Parallele zwischen den Frauen von Raqqa, die nach der Befreiung ihre Hijabs wegwarfen, und dem Kampf gegen das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen. „Die Herrschenden versuchen solche Gesetze zu machen, das ist Vergewaltigung von Seiten des Staates, wie der Hijab. Das ist eine Diktatur gegen die Frauen.“ Das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen sei wie der Zwang, einen Hijab zu tragen. Khawla al-Issa Alhamoud habe gesagt, dass der sogenannte Islamische Staat die Frauen in ihrem eigenen Körper einsperre. Eine Frau unter einen Hijab zu zwingen, sei eine Vergewaltigung der Frau und beruhe auf der Haltung, dass die Frau kein Mensch, sondern ein Objekt sei. Damit werde die Herrschaft über den Frauenkörper ausgedrückt.

Auch Rita Segato erinnerte an Audre Lorde: „Die Werkzeuge, die schon bestehen, werden nicht unser Werkzeuge sein. Der Staat ist das Ende der Geschichte der Männer. Der Staat ist ein Werkzeug desjenigen, der versucht, das Leben zu beherrschen.“

Die Revolutionen in Lateinamerika hätten den Frauen nichts gebracht, denn sie seien im Rahmen des Staates geblieben. Es wurde zwar vieles im privaten Leben verändert, aber keine Politikform der Frauen entwickelt. Die Kommune müsse wiederbelebt und ein Schlussstrich unter den Staat gezogen werden. Der Staat sei nicht der Weg. Die Politik müsse wieder aus den Häusern der Frauen kommen, wie bei den Zapatistas in Chiapas.

Die Wiedergeburt der Frauenrevolution in Afghanistan

Die letzte Rednerin der Session ist Selay Ghaffar von der Solidaritätspartei Afghanistans.

Zunächst geht sie auf die Geschichte Afghanistans ein. Seit vier Jahrzehnten wütet dort der Krieg. Die Besatzer, die USA und ihre Alliierten, verwüsteten das Land im Namen von Demokratie, Freiheit der Frauen.

„Wir haben gesehen, wie die Frauen der Welt unterdrückt werden und kämpfen. Wir sind weit weg, wo schon seit vier Jahrzehnten von imperialistischen Mächten gekämpft wird. Die letzten Besatzer sind die Alliierten und die USA. Die Begriffe Demokratie und die Freiheit von Frauen werden benutzt, um die Besatzung zu rechtfertigen. Die USA haben in den 1980ern ungeheure Summen investiert, um die Islamisten zu unterstützen, damit sich der Kommunismus nicht in Afghanistan ausbreitet. Das Parlament ist voll mit den Marionetten der USA, die nur ihre eigenen Interessen durchsetzen wollen und ihre neusten Waffensysteme auf afghanischem Boden testen. Frauenrechte, Menschenrechte und Demokratie können nicht mit Massakern und Bomben durchgesetzt werden. Es kann keinen Frieden und Stabilität in Afghanistan geben, solange die USA noch dort sind. In Afghanistan treffen die Interessen von Russland, China und dem Iran auf die der USA, daher befindet sich Afghanistan im Zentrum eines heißen Krieges", führt Selay aus.

„Was wir als Frauen erleben, ist, dass wir nur da sind, um Kinder zu produzieren, wir werden schlimmer als Tiere behandelt. Wir werden gesteinigt, weil wir Liebe gemacht haben, Frauen werden Nasen und Ohren abgeschnitten. Nur eine Handvoll Frauen wurde befreit, die anderen sind immer noch von Taliban und IS bedroht“, so Selay.

Sie berichtet von NGOs, die mit Millionen Dollars ausgestattet wurden, aber nur zum Schein etwas für die Frauen täten. Nach wie vor sei Afghanistan eines der gefährlichsten Länder der Welt für Frauen. Diese Frauenorganisationen der Regierung seien ein Hindernis für die Frauen. Nach außen hin seien sie die Vertreterin der Frauen, aber sie seien nichts als Sklavinnen der Dollars, Dekoration für die Regierung. In den Medien redeten sie laut über Frauenrechte, aber sobald sie bedroht werden, verließen sie das Land und ließen die Frauen zurück.

Selay fordert, dass die Frauen sich nach dem Vorbild kurdischer Frauen organisierten und in den Kampf eintreten.

„Die Solidaritätspartei glaubt, dass keine Bewegung ohne Frauen erfolgreich sein wird. Wir zeigen Solidarität mit allen unterdrückten Völkern der Welt, mit den revolutionären Kämpferinnen in den Wäldern Indiens. Wir haben auch den Kampf in Kobanê und Efrîn mit Demonstrationen unterstützt, die Massaker in Gaza verurteilt und gegen das faschistische Regime von Erdoğan protestiert. Wir haben Solidaritätsbotschaften gegen das Regime im Iran geschickt. Wir müssen sehr stark werden, wir arbeiten von Haus zu Haus. Wir wollen, dass die Frauen zusammenkommen, ihnen zeigen, dass sie die stärksten Menschen in Afghanistan sind.“

Selay beendet ihre Rede mit einem Slogan: „Lang lebe die Solidarität, nein zu den Fundamentalisten und ihren imperialistischen Unterstützern.“