Seit Samstag findet an der Goethe-Universität in Frankfurt die Frauenkonferenz „Revolution in the Making“ des Netzwerks „Women Weaving the Future“ statt. Frauen aus vielen Ländern sind angereist, um sich über die Krise des Patriarchats und seinen systematischen Krieg gegen Frauen, den weltweiten Frauenkampf für Freiheit und seine Aufbauprozesse sowie über die Erfahrungen unterschiedlicher Frauenbewegungen auszutauschen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die künftige Zusammenarbeit. Neben den Podiumsdiskussionen finden auch Workshops statt.
Der zweite Tag der Konferenz wurde heute begleitet von einer fabelhaften und bewegenden Stimmung der Solidarität. Rahila Gupta, Journalistin und langjähriges Mitglied der Southall Black Sisters, leitete die Session „Frauenbefreiungskampf von Fis nach Kobanê und von Minbic nach Raqqa“ mit einer Videokonferenz nach Italien ein. 300 Frauen, die in Mailand an einer Konferenz zu „non una di meno“ teilnahmen, belebten den Saal mit solidarischen Rufen und Grüßen. Die Frankfurter Frauenkonferenz sendete auch solidarische Grüßen an ihre Schwestern in Brasilien, wo am heutigen Sonntag die allgemeinen Wahlen stattfinden.
Rahila Gupta hob in ihrer einleitenden Rede hervor, dass die kurdischen Frauen mit ihrem Kampf weltweit ein Beispiel für viele Frauenbewegungen darstellen. Der Freiheitskampf dieser Frauen richte sich gegen die Versklavung von Frauen, sagte sie. Deshalb sei es an dieser Stelle besonders wichtig, den Kämpferinnen der YPJ und der Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad einen besonderen Gruß auszurichten. Rojava sei mittlerweile der progressivste Ort der Welt, fuhr Gupta fort. Auch wenn viele Frauen und Frauenbewegungen von Rojava sprechen, seien die Details des Krieges, der sich hauptsächlich gegen Frauen richtet, nicht bekannt. Rahila Gupta hatte das Glück, im März 2016 nach Rojava zu reisen und sich die Lage vor Ort anzusehen. Deshalb sei sie heute sehr glücklich über die Zusammensetzung auf dem Podium. Es sind starke Frauen heute, die den kurdischen Kampf in Syrien und Europa repräsentieren: Haskar Kirmizigül, Gründungsmitglied des Jineologie-Zentrums in Brüssel, Avin Swed, Sprecherin der Kongreya Star, dem Dachverband der Frauenbewegung in Rojava, Khawla al-Issa Alhamoud, Aktivistin und Sprecherin des Frauenrats in Raqqa, sowie Foza Yûsif, Ko-Vorsitzende des Gründungsrats der Demokratischen Föderation Nordsyrien.
Haskar Kirmizigül grüßte in ihrer Rede zunächst ihre Schwestern in Kurdistan, die für die Freiheit der Frauen weltweit kämpfen. Es sei ihnen zu verdanken, dass solch eine Konferenz zustande kommen konnte, sagte Kirmizigül. Anschließend hob sie den 40-jährigen Kampf der Kurdinnen hervor, der in den Anfangsjahren auf der Suche nach Gleichberechtigung innerhalb patriarchaler Grenzen stattfand: „Vieles, was wir taten, war so wie es die Männer taten. Wir sprachen sogar wie die Männer“, sagte die Jineologie-Expertin.
„Die PKK konzentrierte sich auf den Frieden, ihren historischen Wendepunkt erlebte sie am 15. August 1984 [Beginn des Guerillakampfes der PKK]. An diesem Widerstand nahmen auch Frauen teil. Die Männer wollten ihren eigenen Status verteidigen, was Konfrontationen und Diskussionen auslöste. Frauen wie Sara [Sakine Cansız] und Zîlan [Zeynep Kınacı] wollten ihre Präsenz im Kampf zeigen und taten es auch. So wie es die kurdische Guerillakämpferin und Scharfschützin Leyla formuliert hat, ist dieser Kampf ein Roman, der noch nicht zu Ende geschrieben wurde. So wie es auch Öcalan formuliert, kann sich eine Gesellschaft nur durch revolutionäre Frauen verändern. Deshalb müssen alternative Strukturen zum Patriarchat geschaffen werden.“ Die Freiheit der Frau sei Voraussetzung für die Freiheit der Gesellschaft. Die Frauenwissenschaft Jineologie habe deshalb die Aufgabe, die Geschichte der Kolonisierung der Frau weiterzutragen, um ein neues Bewusstsein und die Revolution der Frau zu formen. Zum Ende ihrer Rede zitierte Kirmizigül einen Satz von Sakine Cansız: „Revolution findet in jedem Individuum in einer längerfristigen Entwicklung statt. Deshalb sind unser Krieg und unsere Revolution sehr interessant.“
Avin Swed begann ihre Rede mit den Worten: „Frauen müssen in der Lage sein, ein schönes und friedvolles Leben zu führen.“ Heutzutage habe der Faschismus bisher nicht gekannte Grenzen erreicht. Deshalb sei der Widerstand der Frau besonders wichtig. Die kurdische Frau kämpfe immer schon für zwei Dinge: für ihre nationale Freiheit und für die Freiheit der Frau. Mit diesem jahrzehntelangen Widerstand sei sie zu einer Vorreiterin für Freiheit geworden. So wie es auch Öcalan formulierte, sei das 21. Jahrhundert das Jahrhundert der Frauen.
Khala al-Issa Alhamoud präsentierte auf dem Podium ihre Geschichte und die der arabischen Frau. Die Frauen aus Raqqa haben besonders unter der Besatzung des sogenannten Islamischen Staates (IS) gelitten. Khala berichtete, der Körper der Frau sei verhüllt gewesen, weil er zur Schande der Gesellschaft geworden sei. Das patriarchale Bewusstsein existierte laut Alhamoud schon vor der Besatzung des IS, doch die Versklavung der Frau in Raqqa sei das Ergebnis von internationalen Besatzern. Die Mitglieder des IS kamen von überall her, besonders aus westlichen Ländern. Fundamentalisten machten die Frau zur Sklavin und beuteten sie sexuell aus. Nach Ansicht der Aktivistin sei es besonders wichtig gewesen, nach der Befreiung der Stadt die Frauen erneut zu bilden und ihnen zu vermitteln, dass sie keine Schande sind, sondern das Fundament der Gesellschaft bilden: „Im Krieg haben wir viele Erfahrungen gemacht und gelernt, dass die Jineologie eine neue Entwicklung der Revolution ist.“ Khala al-Issa Alhamoud appelliert dafür, ein Bewusstsein für Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit zu schaffen, um so den jungen Frauen zu helfen. Im selben Atemzug sollte über die Gesellschaft und das Zusammenleben geredet werden, fordert sie.
Foza Yûsif stellte als vierte Rednerin die praktische Umsetzung der Frauenrechte in Rojava vor. Die zentrale Frage hierbei war: Wie können wir ein neues System schaffen, in dem Frauen selbstbestimmt leben? Frauen und Männer müssten hierfür verstehen, dass es wichtig ist, mit den Mitteln der Organisierung für Frieden zu kämpfen. Deshalb sollte vor allem die Organisierung der Gesellschaft weiterentwickelt werden, um die Ideen nach Freiheit zu verwirklichen und institutionalisieren.
Yûsif betonte, dass es auch wichtig war, die Frauen in allen Bereichen zu organisieren, um so das vom Patriarchat bestimmte System zu überwinden. In Rojava wurden Alternativen geschaffen und auch Orte wie zum Beispiel Frauenhäuser aufgebaut, an denen Frauen über Recht und Unrecht entscheiden. In allen Nachbarschaften gibt es Asayîşa Jin (Frauen-Sicherheitskräfte). Deshalb können Frauen mitten in der Nacht durch die Straßen gehen und brauchen keine Angst zu haben, berichtet Yûsif. So wird es Frauen erst möglich, sich selbstbewusst in allen Bereichen des Lebens zu bewegen: „Frauen fühlen die Freiheit und das ist besonders wichtig!“, sagte Yûsif.
Es gäbe auch Räume, wo ausschließlich Frauen die einzigen Meinungsträgerinnen sind. Diese Formen der Organisierung hatten ihren Anfang in kurdischen bewohnten Regionen und werden mittlerweile auch in arabischen Nachbarschaften fortgeführt. Dieser Kampf sei nicht einfach gewesen und erfordere auch weiterhin viel Widerstand. Doch es sei möglich, sagte Yûsif. Das Hevserok-System, das Prinzip der Doppelspitze, wachse wie ein Schneeball: „Sakine Cansız pflanzte einen Samen, der zu einem Baum heranwuchs. Wir versprechen, diesen Widerstand nicht ins Leere laufen zu lassen. Şehîd namirin!“, sagte Yûsif.