„Nie war die Möglichkeit für eine Frauenrevolution größer“
In Frankfurt hat die Frauenkonferenz „Revolution in the making“ begonnen.
In Frankfurt hat die Frauenkonferenz „Revolution in the making“ begonnen.
Ein farbenfrohes Bild in der Aula der Frankfurter Universität: Frauen aus vielen Ländern sind gekommen, um an der Konferenz unter dem Motto „Die Revolution im Aufbau - Frauen weben die Zukunft“ teilzunehmen. Viele tragen ihre traditionelle Kleidung, es leuchten afghanische, afrikanische, kurdische Farben.
Über 450 Frauen haben sich angemeldet, aber viel mehr sind gekommen. Der Saal ist randvoll, viele stehen oder nehmen auf dem Boden Platz. Die Konferenz fängt daher auch verspätet an. Es dauert, bis alle ihre Kopfhörer bekommen haben, denn die Konferenz wird simultan in Spanisch, Französisch, Englisch, Deutsch und Kurdisch übersetzt.
Bilder von Revolutionärinnen wie Assata Shakur und Audre Lorde, der Geschichte der kurdischen Frauenbewegung sowie Transparente in vielen Sprachen schmücken die Wände. Viele Sprachen schwirren durch den Raum und Frauen aus vielen Ländern fallen sich lachend und weinend in die Arme voller Wiedersehensfreude. Manche kennen sich schon von anderen Konferenzen, von Treffen, aus den Bergen, von Demonstrationen. Die Kameras des Frauensenders Jin TV werden eingestellt.
Zu Beginn stellen sich Frauen aus vielen Ländern kurz vor: Eröffnet wird mit den Worten einer kurdischen Mutter: „Ich möchte, dass sich alle Frauen auf der Welt vereinen“. Wie aus einem Mund rufen die Frauen im Saal: „Jin Jiyan Azadî!“. Es ist ein sehr emotionaler Moment.
Frauen stellen sich vor
Zuerst erklärt Jade Daniels aus den USA: „Ich komme aus dem Herzen des Monsters. Ich lebe an einem Ort, an dem die Menschen wieder erwachen und wo wir mit der Welt zusammenkommen, um Widerstand zu leisten.“
Selay Ghaffar aus Afghanistan sagt: „ Ich komme aus einem Land, in dem im Namen Gottes Frauen und Mädchen missbraucht werden, aber wir haben auch eine starke Bewegung für die Rechte der Menschen, insbesondere Frauen kämpfen für ein anderes Leben.“
Nûre Alkes vom Dachverband der ezidischen Frauen grüßt die Konferenzteilnehmerinnen im Namen der kämpfenden ezidischen Frauen, „die 72 Genozide erlebten und um Zekî Şengalî trauern“.
Miriam Miranda aus Honduras erinnert an die honduranische Menschenrechts- und Umweltaktivistin Berta Isabel Cáceres Flores, die 2016 in ihrem Haus von mehreren Bewaffneten ermordet wurde: „Auch heute ist Berta Cáceres ist mit uns, es ist ein spezieller Tag für uns. Ich spüre die Energie und Geschwisterlichkeit hier.“
Şenge Kahraman, die Mutter von zwei im kurdischen Befreiungskampf gefallenen Söhnen, erklärt: „Unser Land wurde in vier Teile geteilt, unsere Kultur und Sprache wurden uns verboten. Alle Mütter der Welt müssen sich vereinen und hinter dem Widerstand unserer Kinder stehen. Es lebe die Freiheit, lang leben alle unterdrückten Völker.“
Claudia Korol aus Argentinien sagt zur Begrüßung: „Ich komme aus dem Süden der Welt, wo unsere Mapuche-Schwestern nach Freiheit rufen. Der einzige Kampf, den man verliert, ist der, der aufgegeben wird.“
Sylvia Marcos grüßt im Namen der zapatistischen Bewegung: „In Chiapas gibt es keine Verbrechen wie im Rest des Landes, dort liegt unsere Hoffnung“.
Es ist ein atemberaubend schönes Bild, wie diese Frauen aus den verschiedenen Ländern und Kontinenten in ihren traditionellen Kleidern gemeinsam auf der Bühne stehen und die Fäuste heben.
Das Jahrhundert der Frauen
Dilber Aydin, eine Vertreterin der kurdischen Frauenbewegung und des Vorbereitungskomitees, begrüßt die Gäste und dankt allen Mitarbeiterinnen der Konferenz. Sie betont die historische Chance, denn in dieser Phase sei es möglich, das Jahrhundert zu einem Jahrhundert der Frauen und der Freiheit zu machen. Die Frauenfrage könne niemals ein Nebenwiederspruch sein, sondern müsse im Herzen jeden revolutionären Kampfes stehen. Revolution dürfe nicht mystifiziert werden, dies sei eine ideologische Manipulation. „Um das 21. Jahrhundert zur Revolution der Frauen zu machen, müssen wir zusammen kämpfen und alle unsere Farben zusammenzubringen. Dafür brauchen wir ebenso emotionale wie analytische Intelligenz. Wir müssen unsere Perspektiven teilen. Lasst uns die Frauenrevolution organisieren!“
Die Krise des Patriarchats
Moderiert wird die erste Session der Konferenz von Debbie Bookchin, Journalistin und Autorin aus den USA. „Wir verbinden die Kämpfe unserer Schwestern, wir leben in einer Zeit mit viel Gewalt gegen Frauen und haben das alle selbst erfahren. Auf der anderen Seite birgt diese Zeit große Möglichkeiten. Die Frauenbewegung ist nie stärker gewesen, das Patriarchat hat sich nie so klar gezeigt“, sagt sie einleitend, um dann die Rednerinnen vorzustellen.
Miriam Miranda, Aktivistin und Leiterin der Organisation OFRANEH, kommt aus dem Volk der Garifuna, das der Sklaverei entflohen ist und sich mit karibischen Völkern gemischt hat. Die Organisation hat einige Tausend Mitglieder und kämpft für die Rechte der Bevölkerung. Miriam unterstützt ihr Volk in dem Kampf. Sie wurde selbst bereits verhaftet und entführt. In Honduras setzt sie sich unter anderem für die Aufklärung des Mordes an Berta Cáceres ein.
„Wir erleben in einer Zivilisationskrise ein System, das auf dem Rücken von Frauen aufgebaut wird. Die Frauen leiden am meisten unter den Krisen, Männer lassen ihre Frustration an den Frauen aus. Frauenkörper sind das Gebiet, auf dem der Müll abgeladen wird, ein Beispiel sind die Feminizide in Mexiko. Auch in den sozialistischen Staaten gibt es Naturzerstörung und Gewalt. Tausende Frauen werden ermordet, weil sie die Naturressourcen verteidigen. Es ist eine Herausforderung für uns Frauen, wenn wir eine Alternative aufbauen wollen. Wir Frauen müssen die kollektiven Werte und die Natur verteidigen, um den nächsten Generationen ein Leben zu ermöglichen. Es ist egal, wie wir das nennen, Sozialismus oder anders. Wir haben nur diese Erde. Wir wollen sie verteidigen, das ist unsere Aufgabe als Frauen. Wir müssen uns als Frauen entkolonialisieren. Wir müssen die Dialektik und uns selbst ändern. Wir müssen aufhören, kapitalistische Werte zu reproduzieren. Wir müssen hier mit Alternativen für eine neues Leben herauskommen, darauf haben wir das Recht.“
„Dass Revolution möglich ist…“
Die nächste Rednerin Claudia Korol ist eine Journalistin aus Argentinien und Mitbegründerin der Volksuniversität der Mütter des Plaza de Mayo. Sie hat mehrere Bücher über die chilenische Gesellschaft geschrieben, zum Beispiel über die Pädagogik des Widerstandes. Außerdem macht sie Radioprogramme und hat in Chile und Nicaragua gearbeitet.
„Ich komme aus dem Süden von Abjadala, was ‚Erde mit lebendigem Blut‘ bedeutet. Die Weißen haben es Amerika genannt. Wir fühlen und leiden mit, wenn eine Bombe in Efrîn explodiert. Wir danken allen, die in den Bergen und Dörfern kämpfen. Besê Erzincan hat uns Mut gegeben in unserem Kampf gegen den Feminizid. Ihr kurdischen Frauen habt uns gezeigt, dass es möglich ist, Revolution zu machen. Wir haben das Wissen der weisen Frauen und im Beispiel von Ramona von den Zapatistinnen und Sakine Cansız stehen wir auf. Das System nutzt die Wissenschaft, um unser Leiden zu verstärken. Seit 500 Jahren wird auf unserem Kontinent ein Genozid ausgeübt. Unsere Seen, Wälder und unsere Körper werden verschmutzt, weil wir unter Besatzung leben sollen. Das Patriarchat und die Sklaverei beruhen auf der Ausbeutung der Frauen, Communities und unserer Empfindungen. Durch eine Gesellschaft, die nur den Tod, Drogen und Prostitution anbietet, baut das Imperium seine Hegemonie auf Ausbeutung auf. Das geschieht im Namen einer Zivilisation, die rassistisch und sexistisch ist und das Leben zerstört. Uns wird der Zugang zu Bildung und zu unserem eigenen Land versagt. Die USA verbreiten sich auf unserem Territorium. Der Krieg der Herrschenden wird gegen die Basisfrauen geführt. Wir brauchen einen Platz für uns. Wir klagen an, wir organisieren uns. Die Frauen von heute glauben nicht mehr an die Versprechungen der patriarchalen Kultur.
‚Keine Frau weniger - Ni una menos‘, mit diesem Motto stehen wir nicht nur gegen Feminizide auf. Wir kämpfen auch dafür, dass wir nicht noch eine weniger durch Rassismus werden. Keine weniger, die aus den Geschichtsbüchern gestrichen wird, die ohne Bildung bleibt, ermordet wird oder bei einer Abtreibung stirbt. Unser Kampf ist ein kollektiver Schrei. Wir bauen Alternativen, wir sind stark, wo wir sind. Wir finden unser altes Wissen zurück, wie wir uns ernähren und heilen ohne Industrie. Wir lernen unsere alten Sprachen wieder und wir kämpfen gegen Individualismus. Das füllt uns mit Freude, die uns Kraft gibt für den feministischen Kampf. Wir werden unsere Revolution revolutionieren!“
Gegen Fundamentalismus und Nationalismus
Die Istanbuler Soziologin Nazan Üstündağ lebt zurzeit in Deutschland im Exil. Viele kennen sie schon von der Jineoloji-Konferenz in Köln 2014 und weiteren Konferenzen in Hamburg. Sie ist Mitglied der Initiative „Akademiker*innen für den Frieden“ und spricht über die Dreifaltigkeit des Staates. Zu Beginn ihres Beitrages dankt sie dem Frauensender Jin TV, der die Konferenz live überträgt und in dem sie auch selbst mitarbeitet. „Fundamentalismus, Nationalismus und Wissenschaftlichkeit sind die Mittel, die die kapitalistische Moderne aufbauen und einen sehr gewalttätigen Krieg gegen Frauen führen“, erklärt sie. „Ohne den Staat gibt es Nationen, aber keinen Nationalismus. Ohne Staat gibt es Religion, aber keinen Fundamentalismus. Diese Ideologien basieren auf der politischen Organisation des Staates. Wir müssen uns die Kräfte zurücknehmen, die uns gehören.“
Ein neues Bewusstsein entwickeln
Nach den Eingangsstatements fragt die Moderatorin Debbie Bookchin: „Wie können wir aktiv gegen all diese Angriffe vorgehen? Wie können wir ein neues Bewusstsein entwickeln?“
Miriam Miranda erklärt, dass heute alles im Namen des Fortschritts durchgesetzt wird. „Man sagt uns, dass Frauen gegen den Fortschritt seien. Aber was ist für uns Entwicklung? Wir müssen uns ändern. Wir selbst müssen uns verändern. Der Kampf für diesen Planeten ist eine Verantwortung der Menschen im Norden und unsere Aufgabe ist es, das zu benennen. Wir verteidigen die Wälder, die Flüsse, denn unsere Länder werden geplündert. Kapitalismus hat Wurzeln. Wir Frauen, egal welche Farbe wir haben, wir müssen unseren Planeten verteidigen“.
Nazan Üstündağ spricht über ihre Arbeit bei Jin TV: „Wir leben dort als eine Gruppe von Frauen in einem Studio, aber wir stärken uns gegenseitig. Als Frauen müssen wir autonome Institutionen erschaffen. Wir brauchen eine Dekonstruktion unseres Geistes und müssen uns lösen von dem, was das Patriarchat uns vorschreibt. Der Kapitalismus ruft Krisen hervor, niemals zuvor hat er so viel Geld generiert.“
Claudia Karol erklärt, dass Frauen die Kontrolle in allen Lebensbereichen zurückerlangen müssen, vom Saatgut bis zu den Familien. Sexuelle Gewalt sei eine besondere Kontrolle über das Leben von Frauen nicht nur in Kriegen und Exzessen. „Wir brauchen Selbstverwaltung, um selbst entscheiden und das Leben selbst gestalten zu können.“
Die Konferenz wird am Nachmittag mit Workshops fortgesetzt.