„Die Zwangsverwaltungen stellen einen Angriff auf die Errungenschaften der Frauen dar“, so Derya Çiçek von der Initiative „Lila Solidarität“. Hinter der Absetzung der Bürgermeisterinnen stecke dieselbe Mentalität wie hinter der Inhaftierung von weiblichen Abgeordneten.
Çiçek erklärt weiter, dass derzeit in der Türkei bei Straftaten gegen Frauen noch nicht einmal das geltende Recht eingehalten werde und ergänzt: „Wir haben keine Geduld mehr, uns irgendwelche Versprechungen anzuhören. Wir fordern die Sicherheit und den Schutz unserer erlangten Rechte.“
Strafreduzierungen bei Frauenmorden
Die Frauenaktivistin erklärt, dass allein im vergangenen August 49 Frauen in der Türkei ermordet worden sind. Nach dem Mord an Özge Can Aslan habe ihre Initiative noch intensiver Öffentlichkeitsarbeit betrieben, um gegen den Feminizid vorzugehen. Doch ihr Bemühen sei durch die Justiz der Türkei konterkariert worden. „Wir haben mit all unserer Mühe darauf hingearbeitet, eine Sensibilität für dieses Thema zu schaffen und die Frauenmorde auf die öffentliche Agenda des Landes zu setzen. Doch die Justiz hat daraufhin angefangen, Gerichtsentscheidungen zu treffen, welche geradezu diese Morde beflügeln. Die Strafreduzierungen für Verbrechen an der Frau kommen geradezu einer Straffreiheit gleich“, so Çiçek.
Frauen geraten noch mehr auf die Zielscheibe
Die Aktivistin von „Lila Solidarität“ betont, dass immer mehr Frauen in der Türkei nun ihre Rechte kennen und diese zur Not auch vor den Gerichten des Landes einfordern. Doch dadurch werden sie laut Çiçek auch noch mehr zur Zielscheibe von Angriffen. Dennoch werde der Kampf für rechtliche Sicherheit weitergeführt, wie die Aktivistin ergänzt: „Was es auch immer kosten mag, wir werden von unseren Rechten und unseren Errungenschaften nicht ablassen. Es gibt die Istanbul-Konvention des Europarates, in welchem sich die Staaten dazu verpflichten, Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen. Wir fordern, dass diese Konvention umgesetzt wird. Dann gibt es das türkische Gesetz zum Schutz der Familie und der Unterbindung von Gewalt an Frauen (Gesetz Nr. 6284). Auch hier fordern wir, dass diese Gesetzregelung endlich Anwendung findet. Das hat für uns höchste Priorität. Denn wir sehen, dass mit der gegenwärtigen Handhabe der Justiz diejenigen Schutz genießen, die Gewalt an Frauen ausüben oder gar Frauenmorde begehen.“
Die eigentliche Gewalt geht vom Staate aus
Çiçek geht auf drei Beispiele ein, die deutlich machen, wie der Staat mit allen Mitteln die Errungenschaften der Frauen rückgängig machen will:
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„Während Frauenaktivistinnen für mehr Kinderbetreuungsplätze an den Arbeitsplätzen eintreten, wurden selbst die vorhandenen Angebote in öffentlichen Einrichtungen gestrichen. Damit tritt der Staat offen dafür ein, dass der Zugang für Frauen auf den Arbeitsmarkt erschwert wird.
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Schauen wir uns das Verhältnis zwischen den Geschlechtern im türkischen Parlament an, wird deutlich, dass die Männer die Gesetze erlassen. Hinzu kommt, dass Frauen, die wir mit großen Mühen ins Parlament gewählt haben, festgenommen worden sind.
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Dasselbe gilt im Falle der Zwangsverwaltungen für das Prinzip der Ko-Vorsitzenden. Dieselbe Mentalität, die gestern weibliche Abgeordnete festnehmen ließ, hat heute weibliche Bürgermeisterinnen aufgrund des Systems der Doppelspitze absetzen lassen. Wir können deshalb ohne Zweifel festhalten, dass die Zwangsverwaltungen einen Angriff auf die Frauenerrungenschaften, Fraueninstitutionen und Arbeiten der Frauen im Allgemeinen darstellen.“
Trotz dieser Angriffe ist für die Aktivistin von „Lila Solidarität“ klar, dass der Kampf für Frauenrechte mit aller Entschlossenheit fortgesetzt werden wird. „Wir werden keine unserer Rechte dieser herrschenden Mentalität aushändigen. Unser Kampf geht nicht nur weiter, bis wir alle unsere Errungenschaften zurückerhalten, sondern weiter an diese anreihen können“, so Derya Çiçek abschließend.