Die kurdische Frauenbewegung in Europa (TJK-E) hat zum Tag gegen Gewalt an Frauen ihre neue Kampagne „100 Gründe, um den Diktator zu verurteilen“ gestartet. Damit will die Frauenbewegung erreichen, dass Feminizid auf internationaler Ebene als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan der Prozess gemacht wird.
In zahlreichen Städten sind Frauen gegen Gewalt auf die Straße gegangen, wir zeigen einen kleinen Ausschnitt:
Magdeburg: Ein Angriff auf eine ist ein Angriff auf alle!
Ein Netzwerk von Frauen verschiedener politischer Gruppen Magdeburgs hielt eine Kundgebung in der Innenstadt unter dem Motto „Ein Angriff auf eine ist ein Angriff auf alle!" ab. Die dreistündige Kundgebung zählte mehr als 200 Personen. Es wurden viele Redebeiträge von verschiedenen Frauen und feministischen Gruppen gehalten, außerdem wurde der Flashmob „Un violador en tu camino" aus Chile aufgeführt. Women Defend Rojava und das Solibündnis Magdeburg beteiligten sich an der Kundgebung mit Infomaterial über die Frauenbewegung in Kurdistan sowie mit einem Redebeitrag des Frauenverbands Kongreya Star aus Rojava.
Hamburg: 1000 Frauen auf der Straße
In Hamburg gingen mehr als 1000 Frauen lautstark auf die Straße. Über zwanzig feministische Gruppen riefen zum gemeinsamen Protest auf, darunter auch der Frauenrat Rojbîn und „Gemeinsam Kämpfen Hamburg“.
In vielen starken Redebeiträgen wurden Forderungen wie die längst überfällige Umsetzung der Istanbul-Konvention laut, sowie das klare Benennen von Feminiziden als solche. Die Kurdische Frauenbewegung in Europa (TJK-E) und der Frauenrat Rojbîn leiteten in ihrem Redebeitrag die internationale Kampagne „100 Gründe um den Diktator zu verurteilen" ein.
Duisburg: Aufruf zur Selbstverteidigung
Zu einer Kundgebung vor dem Duisburg Forum hatten der Frauenrat Asya Yüksel, Yeni Kadin und Courage aufgerufen. Die Teilnehmerinnen hielten Fotos und Transparente mit Bildern von ermordeten Frauen in den Händen. In einem Redebeitrag wurde zum weltweiten Widerstand und zur Selbstverteidigung gegen patriarchale Gewalt aufgerufen.
Darmstadt: Wir sagen Nein!
Auf dem Friedensplatz in Darmstadt fand eine Kundgebung statt, zu dem das Bündnis feministischer Streik Darmstadt, der kurdische Frauenverein Roza, die interventionistische Linke (iL) und CatCallsofDarmstadt unter dem Motto „Hier ist meine Grenze - Stoppt geschlechtsspezifische Gewalt!“ eingeladen hatte. Aktivistinnen des Studierendenverbands JXK und des Frauenrats Roza hielten zusammen mit Internationalistinnen Plakate mit den Konterfeis von Frauen, die patriarchalische Gewalt erfahren haben und Opfer von Femizid wurden, und erzählten laut deren Geschichten. Die Aktivistinnen beendeten ihre Aktion mit „Em dibêjin NA! Wir sagen Nein!“
Bonn: Reclaim the Night!
In Bonn fand eine Kundgebung auf Initiative vom Frauen*Streik gemeinsam mit der Seebrücke Bonn, der Frauenbegegnungsstätte Utamara e.V., Rosa 3D und Vday.com statt. Es beteiligten sich über 100 Menschen. In zahlreichen Beiträgen wurde die Gewalt an Frauen in Fluchtsituationen, in der Wissenschaft, in Zusammenhang mit der Klimakrise und verschiedensten Lebensbereichen thematisiert. Die Frauen erinnerten an Opfer von Femiziden in Nordrhein-Westfalen und weltweit.
Eine Vertreterin der Frauenbegegnungsstätte Utamara betonte in einer Rede: „Feminizid zu benennen und konsequent zu bekämpfen, bedeutet das Patriarchat zu überwinden. Wir müssen uns also so entschlossen und stark organisieren, damit wir dieses System zum bröckeln bringen und würdevolle und demokratische Alternativen schaffen können. Frauen übernehmen dafür weltweit Vorreiterrollen in sozialen Kämpfen, für soziale Gerechtigkeit, gegen Krieg und Kolonialismus, für Menschenrechte, gegen Umweltzerstörung und Fremdbestimmung. Im Kampf um eine solidarische und gerechte Welt haben wir Frauen am wenigsten zu verlieren und am meisten zu gewinnen.“
Celle: Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen
In Celle hat eine Kundgebung feministischer Gruppen auf dem Thaerplatz stattgefunden. „Wir leben nicht sicher“, sagt Mila Borkner, „auch heute erleben zahlreiche Frauen Gewalt, hier und weltweit. Ob körperliche oder psychische Angriffe, ob in der Partnerschaft, im Nahumfeld, im Beruf, auf der Straße – das ist inakzeptabel. Deshalb ist es wichtig, dass wir als Menschen aller Geschlechter und Altersklassen an Tagen wie heute zusammenkommen. Wir müssen öffentlich informieren und uns gegenseitig stärken. Nur zusammen können wir der Gewalt ein Ende setzen!“ Mila Borkner ist Mitglied der feministischen Ortsgruppe „Gemeinsam Kämpfen! Für Selbstbestimmung und Demokratische Autonomie“, die gemeinsam mit dem ezidischen Frauenverein „Hêvî – Hilfe für Frauen in Not“ zur Kundgebung aufgerufen hat.
Das Programm bestand im Wechsel aus Redebeiträgen, einer Performance und Musik. An einem Stand lagen Informationen zu geschlechtsspezifischer Gewalt aus und zu Initiativen, die dagegen aktiv sind. Bereits den ganzen Tag über hatten ein Schild und Blumen den am 8. März in „Gertrud-Schröter-Platz“ umbenannten Platz als Protestort gegen Feminizide und Übergriffe auf Frauen und Transgender* ausgewiesen. Im Laufe der Kundgebung schlossen sich auch einige interessierte Passant*innen dem Protest an.
Zu aktuellen Zahlen der Stadt Celle hat „Gemeinsam kämpfen“ eine Anfrage an den Rat und die Verwaltung gestellt. Eine Antwort wird am Donnerstag erwartet.
Deutschlandweit steigt die Anzahl an polizeilichen Ermittlungen wegen oft schwerer Gewalttaten gegen Frauen beständig. Besonders unter Einbezug der Corona-Lockdowns sind für 2020 noch höhere Zahlen zu erwarten: Eine repräsentative Studie der Hochschule für Politik München zeigt, dass allein im März und April 3,1 Prozent der befragten Frauen körperlicher Gewalt durch ihren (Ehe-)Partner ausgesetzt waren. 2,2 Prozent der Befragten dürfen das Haus nicht ohne dessen Erlaubnis verlassen.
„Dagegen müssen auch wir Männer mehr unternehmen“, sagt Christian Barthel, ein Teilnehmer der Kundgebung, „und das heißt zum Beispiel auch, den Mund aufzumachen, wenn meine Kollegen sexistische Witze reißen. Oder aufmerksamer zuzuhören, wenn ein Kumpel von Stress mit seiner Freundin erzählt.“
Laut aktuellen Angaben des Bundeskriminalamts wurden in 2019 777 Frauen in Deutschland Opfer von - vollendetem oder versuchtem - Mord oder Totschlag, weit mehr als ein Drittel davon im Rahmen ihrer (Ex-)Partnerschaft. Knapp 14.500 Vergewaltigungen und andere sexualisierte Übergriffe gegen Frauen wurden verzeichnet. Allein dies sind fast vierzig pro Tag, durchschnittlich alle 36 Minuten; die Dunkelziffer ist hierbei hoch, vor allem aufgrund der anhaltenden Tabuisierung und deren Folgen. Ansätze zur Lösung können beispielsweise autonome Frauenräume, bedürfnisorientierte Unterstützung von Betroffen sowie Bildung für Menschen aller Geschlechter sein.
Braunschweig: Jeden dritten Tag ein Femizid!
Das Feministische Bündnis Braunschweig hat anlässlich des Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen eine informative Ausstellung am Kohlmarkt organisiert. Die Aktivistinnen stellten umfangreiches Informationsmaterial, Fotografien und Broschüren aus, die über das Thema „Gewalt an Frauen“ informierten, aufklärten und zur Beendigung dieser aufriefen.
Eine Aktivistin äußerte sich: „Wir leben gerade in einer Ausnahmesituation. Wir haben es mit einer Pandemie zu tun. Das öffentliche Leben findet quasi nicht mehr statt. Soziale und vor allem physische Kontakte sollen weitestgehend eingeschränkt werden. Die Bevölkerung wird dazu aufgerufen, daheim zu bleiben. Zuhause bleiben ist aber leichter gesagt als getan. Nicht alle können sich in ihre gemütlichen vier Wände zurückziehen, Lohnfortzahlung erhalten, im Homeoffice arbeiten. Auch haben nicht alle ein großes Haus mit Garten und genug Raum, indem jede/r auch Raum für sich beanspruchen kann. Viele Menschen wohnen auf engstem Raum in kleinen Wohnungen zusammen. Ausgangsbegrenzungen können zu unerträglichen Situationen führen. Dass das eigene Zuhause statistisch für Frauen der gefährlichste Ort ist, ist bekannt– der zu erwartende Anstieg häuslicher Gewalt in Zeiten der Coronakrise hat es sogar bis in die Tagesschau geschafft.
Heute ist der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Allein in Deutschland versucht jeden Tag ein Mann seine (Ex-) Partnerin zu töten, jeden dritten Tag gelingt es ihm. Das bedeutet: jeder dritter Tag ein Femizid. Frauenmord ist die dabei die extreme Form der Gewalt an Frauen. Meist gibt es eine Vorgeschichte, in der häusliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen eine zentrale Rolle spielt, oft aber nicht gesehen wird. 2014 zeigte eine EU-weite Studie, dass schätzungsweise nur einer von drei Fällen häuslicher Gewalt auch bei der Polizei angezeigt wird. Gewalt gegen Frauen hat viele Formen, keine davon darf hingenommen werden. In Braunschweig wurden 2019 laut der polizeilichen Kriminalstatistik 805 Fälle von häuslicher Gewalt gemeldet. Das ist ein für uns nicht hinnehmbarer Zustand.
Wir schließen uns mit unserer Wäscheleinenaktion einer Tradition chilenischer Feminist*innen an und möchten auf die Verschärfung patriarchaler Gewalt gegen Frauen und Femizide während der Coronakrise aufmerksam machen.”