Urteil gegen Osman Kavala wieder vertagt

Der Kulturförderer Osman Kavala bleibt weiter ohne Urteil in Untersuchungshaft. Die Prozessfarce soll im April fortgesetzt werden.

Der türkische Kulturförderer Osman Kavala bleibt weiter im Gefängnis. Der seit fast viereinhalb Jahren in Silivri inhaftierte Bürgerrechtler war an diesem Montag unerwartet zu einem Gerichtstermin in Istanbul berufen worden, damit er bei der Verkündung des Urteils zugegen ist. Das dreiköpfige Richtergremium vertagte den Fall jedoch erneut und verlängerte somit zum wiederholten Mal Kavalas Untersuchungshaft.

Osman Kavala befindet sich seit Oktober 2017 im Gefängnis, ohne dass er in einem der gegen ihn erhobenen Anklagepunkte für schuldig befunden wurde. Die türkische Justiz und Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan werfen ihm vor, das Land destabilisieren zu wollen. Zunächst hatte es geheißen, der 64-Jährige habe 2013 die Gezi-Proteste federführend organisiert und sei 2016 am vermeintlichen Putschversuch beteiligt gewesen. Zuletzt warf man ihm Spionage vor.

Der heutige Termin im Istanbuler Justizpalast wurde von rund 200 Personen verfolgt, darunter Vertreterinnen und Vertreter der Botschaften westlicher Länder, NGOs und politischen Parteien. Von den insgesamt siebzehn Angeklagten in dem Verfahren waren nur wenige im Gerichtssaal anwesend, Kavala ließ sich per Video aus dem Gefängnis von Silivri zuschalten. Die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen wies er erneut zurück und bezeichnete sie als politisch motiviert. „Meine andauernde Inhaftierung ist völlig unbegründet“, sagte Kavala.

Mücella Yapıcı droht ebenfalls Haft bis zum Tod

Anfang März hat die Staatsanwaltschaft ihr Plädoyer schriftlich eingereicht. Darin wird für Osman Kavala sowie Ayşe Mücella Yapıcı aus dem Vorstand der Istanbuler Architektenkammer erschwerte lebenslange Haft beantragt – Gefängnis bis zum physischen Tod. Der Vorwurf lautet auf einen Umsturzversuch. Wegen „Beihilfe zum gewaltsamen Staatsumsturz“ sehen sechs weitere Angeklagte zwischen 15 und 20 Jahren Gefängnis entgegen.

Atalay: Kein Gerichtsverfahren, sondern Komplott

Rechtsanwalt Can Atalay, der in dem Verfahren ebenfalls angeklagt ist, sprach von einem „Komplott“ und einer beispiellosen Prozessfarce. Es scheine, als würde sich das Gericht aus Politikern der Regierung und nicht aus juristischen Personen zusammensetzen. Die Anlageschrift beinhalte keinen einzigen Beweis, sondern lediglich haltlose Schuldweisungen, sagte Atalay. „Wann hat sich dieses Gericht mit Beweiserhebung und Beweiswürdigung beschäftigt? Die ernüchternde Antwort: kein einziges Mal.“ Der Jurist und die Verteidigung aller anderen Angeklagten forderten mehr Zeit für die Verteidigung. Der Prozess soll nun am 22. April fortgesetzt werden.

Amnesty International: Wie bei einem schlechten Taschenspielertrick

Auch internationale Regierungen sowie Menschenrechtsorganisationen kritisieren den Fall seit Jahren. Das Verfahren zeige, „wie schlecht es um die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei bestellt ist“, teilte Amnesty International vor der Verhandlung mit. Vollkommen willkürlich gehe die Justiz gegen einen der wichtigsten Kulturförderer des Landes vor und greife „wie bei einem schlechten Taschenspielertrick“ auf aus der Luft gegriffene Vorwürfe zurück.

Türkei ignoriert EGMR-Urteil

Im Dezember 2019 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), es gebe keine ausreichenden Beweise gegen Kavala. Er werde verfolgt, um ihn zum Schweigen zu bringen und andere Regierungskritiker einzuschüchtern, stellten die Richter fest und ordneten Kavalas sofortige Freilassung an. Die Türkei ignoriert das Urteil bis heute. Der Europarat leitete deshalb im Dezember ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Türkei ein. Ein Ausschluss gilt dabei als schärfste Waffe, aber als eher unwahrscheinlich.