Die staatliche Repressionsmaschine in Nordkurdistan und der Türkei läuft weiter auf Hochtouren, Sand im Getriebe ist noch immer nicht in Sicht. Täglich werden Oppositionelle mit schlecht konstruierten Verfahren überzogen, die Vorwürfe gegen sie werden immer absurder. Auch in dieser Woche lässt die von Recep Tayyip Erdogan unterwanderte Justiz die Gerichte als Instrument im Kampf gegen Kontrahenten einsetzen.
Die Generalstaatsanwaltschaft von Istanbul hat gegen die Istanbuler CHP-Vorsitzende Canan Kaftancıoğlu ein Strafverfahren wegen „Aufstachelung zu einer Straftat“ und „Lob einer Straftat und eines Straftäters“ eröffnet. Sollte Kaftancıoğlu verurteilt werden, droht ihr eine Freiheitsstrafe zwischen neun Monaten und zehneinhalb Jahren Haft. Hintergrund des Verfahrens gegen die 48-Jährige ist im Grunde Solidarität mit ihrem Parteikollegen Suat Özçağdaş, CHP-Vorsitzender im Istanbuler Bezirk Üsküdar. Özçağdaş hatte das Haus von Erdogans Verkehrsminister Fahrettin Altun fotografiert, um ungenehmigte Umbauten zu dokumentieren. Daraufhin wurde ein Verfahren gegen ihn wegen des Vorwurfs der Persönlichkeitsrechtsverletzung eingeleitet. Bezüglich der möglicherweise illegalen Anbauten des Hauses des Ministers wurde eine Nachrichtensperre verhängt. Über das Thema darf nicht berichtet werden.
Kaftancıoğlu in anderem Verfahren verurteilt
Canan Kaftancıoğlu hatte ihren Parteikollegen Suat Özçağdaş im Kurznachrichtendienst Twitter verteidigt und war in der Folge vom Anwalt des türkischen Verkehrsministers angezeigt worden. Die Politikerin, die von Beruf Ärztin ist, wurde dieses Jahr bereits zu einer Haftstrafe in Höhe von knapp zehn Jahren verurteilt. Die Anklage wegen Terrorvorwürfen, Volksverhetzung, Präsidentenbeleidigung, Beamtenbeleidigung und Verunglimpfung des Staats stützte sich auf Twitter-Nachrichten, darunter auch eine zur kurdischen Revolutionärin Sakine Cansız. Das Urteil wurde im Juni bestätigt.
TJA-Aktivistin Gülcihan Şimşek als „Terroristin“ angeklagt
In Amed (türk. Diyarbakir) wurde der Prozess gegen Gülcihan Şimşek fortgesetzt. Die Aktivistin der Bewegung Freier Frauen (kurd. Tevgera Jinên Azad, TJA) war im Mai im Rahmen des Verfahrens gegen den Frauenverein Rosa verhaftet worden. Im September wurde der Haftbefehl gegen sie aufgehoben. Şimşek wird Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen, die Anklage beruht größtenteils auf den Aussagen eines anonym gehaltenen „Zeugen”. Die Aktivistin wird beschuldigt, „Anweisungen der KCK-Führung” befolgt zu haben. Als Beweis werden Versammlungen der inzwischen per Notstandsdekret geschlossenen Gefangenenhilfsorganisation TUHAD-FED, ihre Aktivitäten für die TJA und deren ebenfalls verbotene Vorgängerin KJA, sowie Demonstrationen und Kundgebungen im Großraum Amed herangezogen, an denen Şimşek teilgenommen haben soll. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Haftstrafe zwischen siebeneinhalb und fünfzehn Jahren. Der Prozess gegen Şimşek wird am 31. März an der 11. Strafkammer des Schwurgerichts in Amed fortgesetzt.
Beweis gegen Zeitungsmitarbeiter: ANF-Bericht über Festnahme
An der 7. Schwurgerichtskammer in der südtürkischen Küstenstadt Mersin ist der Terrorprozess gegen Murat Sekmen, Mitarbeiter der pro-kurdischen Zeitung Yeni Yaşam (türk. Neues Leben), sowie zehn weitere Angeklagte eröffnet worden. Allen Betroffenen wird vorgeworfen, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein und Propaganda für diese betrieben zu haben. Die Beschuldigungen gegen Sekmen unterscheiden sich allerdings im Gegensatz zu seinen Mitangeklagten, denen die Teilnahme an verbotenen Kundgebungen im Zusammenhang mit der im Oktober 2018 von Leyla Güven initiierten Hungerstreikbewegun gegen die Isolation Abdullah Öcalans zur Last gelegt wird: Laut Staatsanwaltschaft handelt es sich bei dem Zeitungsmitarbeiter um ein „Mitglied des Pressekomitees der PKK/KCK“. Als Beweis werden unter anderem Berichte unserer Agentur über die Festnahme und Verhaftung Sekmens herangezogen. Der Prozess wurde auf den 19. März 2021 vertagt.