Studentin wegen Efrîn-Protest im Gefängnis

2018 sind zwei Studentinnen einer Istanbuler Elite-Universität wegen Terrorvorwürfen angeklagt worden – weil sie gegen eine islamistische Gruppe protestierten, die „zu Ehren“ der Efrîn-Invasion Lokum verteilte. Eine Betroffene muss nun ein Jahr in Haft.

„Es gibt kein Lokum in einem Massaker und einer Besatzung“, stand auf einem Transparent einer Gruppe von Studierenden der Istanbuler Elite-Universität Boğaziçi, das am 19. März 2018 am Campus angebracht worden war. Der Protest richtete sich gegen Studierende der AKP-nahen Organisation „Club für islamische Studien“, die am Morgen nach der Kundgabe der türkischen Invasion der westkurdischen Stadt Efrîn im Norden Syriens durch Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan Lokum auf dem Nordcampus verteilten – „zu Ehren“ der Besatzung. Lokum sind die kleinen Zuckerwürfel, die auch als „Turkish Delight“ bekannt sind. Im Zuge dessen kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen den beiden Gruppen, die von regierungsnahen Blättern medial ausgeschlachtet wurde.

Erdogan interveniert - und kriminalisiert Studierende

Wenige Tage nach dem Vorfall meldete sich Erdogan persönlich zu Wort: „Unsere Jugend wollte Lokum verteilen, aber diese kommunistischen, verräterischen Terroristen haben versucht, ihren Stand kaputt zu machen. Wir werden sie anhand von Überwachungsaufnahmen finden und ihnen das Recht nehmen zu studieren“, sagte der Staatspräsident während einer Versammlung seiner AKP. Dem Kollegium legte er nahe, mit dem Regime zu kooperieren. Wenige Tage später kam es bereits zu Razzien in Studentenwohnheimen, in deren Folge zunächst 23 Studierende festgenommen worden waren. Dreizehn der Betroffenen kamen daraufhin in Untersuchungshaft.

Terrorvorwürfe wegen Protest gegen Lokum-Politikum

Gegen 22 der Studentinnen und Studenten erhob die Generalstaatsanwaltschaft Istanbul im Mai 2018 Anklage wegen „Propaganda für eine verbotene Organisation“. Darauf stehen ein bis fünf Jahre Gefängnis in der Türkei. Bei der Verhandlung im Sommer 2018 wurden sie freigesprochen. Doch mit Pelin Şahin und Roza Kahya wurden zwei weitere Studentinnen der Boğaziçi-Universität in einem abgetrennten Verfahren angeklagt. Sie hatten zusätzlich zum Protest gegen das Lokum-Politikum auch gegen die anschließende Verhaftungswelle demonstriert und in Kadiköy ein Solidaritäts-Plakat angebracht. Darauf war neben der Aufschrift „Es gibt kein Lokum in einem Massaker“ auch ein durchgestrichenes Gesicht von Erdogan und der Satz „Wir überlassen dir nicht die Universität“ zu sehen. Diesen Dezember wurden die Urteile gegen die beiden Studentinnen gesprochen: Pelin Şahin erhielt eine Bewährungsstrafe in Höhe von zehn Monaten, ihre Kommilitonin Roza Kahya wurde zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt. Sie befindet sich seit letzter Woche im Frauengefängnis Bakırköy und muss die volle Haftstrafe absitzen.

„Als Feministinnen haben wir die staatliche Repression bewusst in Kauf genommen“

„Uns war direkt zu Beginn klar, dass auf das Transparent gegen die Besatzung Efrîns und die Verteilung von Süßspeisen in diesem Kontext Sanktionen folgen würden. Aber Roza und ich sind Feministinnen und haben die staatliche Repression bewusst in Kauf genommen“, erklärt Pelin Şahin zu dem Urteil. Als Mitglieder des Studierenden-Kollektivs sei es ihre Pflicht gewesen zum Ausdruck zu bringen, dass die Hochschulen nicht der Kontrolle des Ein-Mann-Regimes überlassen werden. „Wir sind Verfechterinnen und Verfechter des Friedens und können Angriffskriege und Besatzung nicht tolerieren“, führt Şahin weiter aus und weist im gleichen Atemzug auf die staatlich geförderte Repression an den Universitäten hin. Betroffen seien vor allem Frauen, die sich an gesellschaftlichen Kämpfen beteiligen.

Frauenkampf an Hochschulen

„In der Praxis sieht die Repression so aus, dass es durch das Sicherheitspersonal, Bereitschaftspolizei, Beamte in Zivil, faschistische und islamistische Uni-Gruppen zu sexueller Belästigung, Diskriminierung, Drohungen und Gewalt kommt.“ Dies bringe auch die Notwendigkeit eines intensiven Frauenkampfes an den Hochschulen mit sich, sagt Şahin. Alle, die nicht ins konservative Frauenbild der AKP-Regierung passten, die als weibliches Idealbild eine fromme, keusche Frau propagiert, in erster Linie die als „oppositionell“ geltenden Studentinnen, stünden im Visier dieser speziellen Repression, sagt Şahin. „Einschüchtern lassen wir uns davon aber nicht. Unser Kampf geht an allen Fronten entschieden weiter.“