„Die Mörder sind bekannt – Frankreich schweigt“
Vor zwölf Jahren wurden die kurdischen Revolutionärinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez vom türkischen Geheimdienst MIT in Paris ermordet. Bis heute ist niemand für den Dreifachmord bestraft worden. Am Samstag findet in der französischen Hauptstadt eine europaweite Demonstration statt, die von der Kurdischen Frauenbewegung in Europa (TJK-E) organisiert wird. Zuvor wird es am Donnerstag in verschiedenen Ländern Proteste vor den französischen Konsulaten und Botschaften geben. Die TJK-E ruft zur Teilnahme auf.
„Die Mörder sind bekannt – Frankreich schweigt“
Das Motto der Aktionen lautet „Die Mörder sind bekannt – Frankreich schweigt“. Damit spielt die Frauenbewegung auf die weiterhin juristisch unaufgeklärte Ermordung von Cansız und ihren Mitstreiterinnen an. Die PKK-Mitbegründerin Sakine Cansız, die Pariser KNK-Vertreterin Fidan Doğan und die Jugendaktivistin Leyla Şaylemez wurden im Kurdistan-Informationsbüro mit jeweils drei Kopfschüssen ermordet. Dass es sich um einen Auftragsmord des MIT handelte, ist durch Dokumente, Tonaufnahmen und Zeugenaussagen belegt. Der französische Inlandsgeheimdienst (DGSI) behandelt den Fall jedoch als Staatsgeheimnis und blockiert die Herausgabe von Informationen. Der nach dem Anschlag verhaftete Auftragsmörder Ömer Güney starb kurz vor Prozessbeginn im Dezember 2016 unter verdächtigen Umständen im Gefängnis.
TJK-E: Nachlässigkeit ebnete den Weg zu weiteren Anschlägen
Kurdische Organisationen haben die französischen Behörden wiederholt gewarnt, dass weitere Anschläge möglich sind, wenn die Auftraggeber des Dreifachmords und ihre Komplizen nicht bestraft werden. Zehn Jahre später wurde diese Warnung wahr. Am 23. Dezember 2022 wurden die KCK-Vertreterin Evîn Goyî (Emine Kara), der Künstler Mîr Perwer (Mehmet Şirin Aydın) und der Aktivist Abdurrahman Kızıl vor dem kurdischen Kulturzentrum „Ahmet Kaya“ erschossen, in unmittelbarer Nähe vom Kurdistan-Informationsbüro. Bei dem Schützen handelt es sich um einen Franzosen, der Rassist sein soll. Die kurdische Seite hingegen sieht ein gezieltes Attentat auf ihre politische Vertretung und fordert die Einstufung als terroristische Tat, was von den Strafverfolgungsbehörden bisher verweigert wird.
Neben den Protestveranstaltungen vor den französischen Konsulaten findet am Donnerstag in Paris auch ein Gedenkmarsch für Evîn Goyî, Mîr Perwer und Abdurrahman Kızıl statt. Die Aktion beginnt um 11 Uhr am Ahmet-Kaya-Kulturzentrum und führt zum Kurdistan-Informationszentrum. Im Anschluss ist in den Räumlichkeiten der Kulturstätte ein Informationsabend geplant.
Blutspur des türkischen Staates
Nach Ansicht der TJK-E markiert die Ermordung von Sakine Cansız und ihren Freundinnen nur den Beginn einer bis heute währenden Mordserie an Mitgliedern und Unterstützenden der kurdischen Befreiungsbewegung, deren Blutspur sich nicht nur durch Europa, sondern auch quer durch Kurdistan ziehe. Ob tödliche Anschläge auf Zivilpersonen in Südkurdistan, wie etwa der Mord an der Jineolojî-Forscherin Nagihan Akarsel, oder die gezielte Tötung von Kämpferinnen und Kommandantinnen der YPJ in Rojava durch Drohnen, die Blutspur des türkischen Staates sei lang. Laut der TJK-E sei dies mitunter auf die „Nachlässigkeit“ bei der Verfolgung und der daraus resultierenden Straffreiheit im Fall des ersten Massakers von Paris zurückzuführen, die den türkischen Staat „in seinen mörderischen Bestrebungen“ gestärkt und den Weg zu weiteren politischen Morden und Angriffen geebnet habe.
Entschlossen im Kampf um Gerechtigkeit
„Als kurdische Frauen in Europa führen wir daher seit nunmehr zwölf Jahren einen Kampf für Gerechtigkeit und Anerkennung. Die Identität der Täter sowie das Ziel der Attentate waren für uns seit dem ersten Tag offensichtlich. Seither rufen wir „Wir wollen Gerechtigkeit, klärt den Mord auf“, „Euer Schweigen trägt Mitschuld“, „Wir kennen die Mörder, die französische Justiz tappt im Dunkeln“, „Genug der Straflosigkeit“ und „Solange es keine Gerechtigkeit gibt, bleibt Frankreich schuldig.“ Diesen Forderungen, seit zwölf Jahren von Zehntausenden auf die Straße getragen, wird nicht nachgegangen. Die Verantwortlichen hinter dem Massaker bleiben bis heute ungestraft.
Deshalb treten wir erneut mit Entschlossenheit für Gerechtigkeit ein. Unsere Gedenkaktionen sowie die große Demonstration am 11. Januar in Paris finden unter der Losung „Kujer Diyar e! Fransa Çima Bêdeng e?“ („Der Mörder ist bekannt! Warum schweigt Frankreich?“) statt. Erneut fordern wir Rechenschaft für die Massaker und rufen Frankreich dazu auf, aus seiner schweigenden Zustimmung hervorzutreten.
Nichts wird uns von dem Pfad abbringen, den Sara, Evîn, Rojbîn und Ronahî für uns geebnet haben. Wir werden unsere Bestimmung und unseren Kampf nicht aufgeben, das 21. Jahrhundert zum Jahrhundert der Frau zu machen. Wir werden die Massaker nicht vergessen lassen und ohne Nachlass entschlossen für Gerechtigkeit und Aufklärung kämpfen. Wir rufen alle kurdischen Frauen in Europa, unser Volk, Frauenverbände, sozialistische und demokratische Organisation und unsere Unterstützer:innen und Freund:innen dazu auf, an den Protestveranstaltungen teilzunehmen.“
Gemeinsame Anreise organisiert
Die Demonstration am Samstag beginnt um 10 Uhr, Startpunkt ist der Gare du Nord. Aus zahlreichen Orten in Deutschland ist eine gemeinsame Busanreise organisiert. Der Plan soll am Mittwoch veröffentlicht werden.