Schweizer Internationalist wegen Rojava-Aufenthalt vor Militärgericht

Wegen eines Rojava-Aufenthalts muss sich ein Internationalist aus der Schweiz ab Freitag vor einem Militärgericht verantworten. Ihm wird „Beeinträchtigung der Verteidigungskraft des Landes“ sowie „Militärdienst im Ausland“ vorgeworfen.

Ein internationalistischer Aktivist aus dem schweizerischen Genf muss sich ab Freitag vor dem kantonalen Militärgericht in Sion (dt. Sitten) verantworten. Angeklagt ist er wegen fremden Militärdienstes und der „Beeinträchtigung der Verteidigungskraft des Landes“. Der Vorwurf der Anklage: Der Beschuldigte sei 2015 nach Rojava beziehungsweise in die Autonomieregion Nord- und Ostsyrien gereist und habe sich dort am bewaffneten Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) beteiligt. Damit habe er die „Neutralität der Schweiz“ untergraben. Das Rojava-Komitee Zürich ruft zur solidarischen Prozessbeobachtung und -begleitung auf. In einer Mitteilung erklärt die Initiative:

Die Revolution entstand umgeben von Feinden

„Blenden wir kurz zurück: Im Zuge der Wirren des syrischen Bürgerkriegs gelingt es der mehrheitlich kurdischen Bevölkerung im Norden des Landes einen Prozess anzustoßen, den wir heute alle unter dem Namen Rojava kennen. Die kurdische Freiheitsbewegung, die seit Jahrzehnten in der Region verankert und organisiert ist, ist dabei die maßgebliche Speerspitze. Letztes Jahr – 2022 – haben wir das zehnjährige Jubiläum der Revolution in Rojava gefeiert, welche auf gesellschaftlicher, radikaler Demokratie, Frauenbefreiung und Ökologie fußt.

Diese Revolution entstand umgeben von Feinden: Dschihadistische Banden wie der Islamische Staat einerseits und das faschistische türkische Palastregime von Erdogan und Konsorten andererseits bekämpften es von Beginn an. Die globalen Großmächte hatten stets ein taktisches Verhältnis zu Rojava: Uns allen ist in Erinnerung geblieben, wie es 2014 erst der enorme Druck der Straße war, als Hunderttausende weltweit demonstrierten, welche die USA dazu zwang, die Kämpfer:innen der PKK, YPG und YPJ in der umkämpften Stadt Kobanê zu unterstützen, so dass die Befreiung Kobanês möglich wurde.

Nur wenig später soll unser Genosse dorthin gereist sein, um mit der Kalaschnikow in der Hand Rojava gegen den Islamischen Staat zu verteidigen. Viele gingen diesen Weg, der unserem Genossen vorgeworfen wird: Aus allen Ländern strömten revolutionäre Internationalist:innen nach Rojava, um sich an diesem Projekt zu beteiligen. Einige arbeiteten in zivilen Bereichen, andere im militärischen Bereich. Zahlreich sind die Gefallenen, die in diesem Kampf gefallen sind – Şehîd namirin!

Staatlicher Angriff auf internationale Solidarität

Nun erfrecht sich der Schweizer Staat acht Jahre später diesen Internationalisten anzuklagen. Wir sind uns bewusst, dass die großen Player in der Region andere sind: Insbesondere Russland und die Vereinigten Staaten beanspruchen die Kontrolle über den Norden Syriens, so dass jeder türkische Angriff stets nur mit ihrem Einverständnis erfolgen kann. Aber auch die Verbindungen zwischen der Schweiz und der Türkei sind nicht wenige. Vergessen wir beispielsweise nicht, wie die Türkei als Türsteherin an der Flanke Europas eingesetzt wurde, um 2015 die Flüchtlingsströme nach Westeuropa zu unterbrechen, und die Schweiz als Frontex-Staat ihren Teil an diesen Deal zahlte. Vergessen wir nicht die deutschen Rheinmetall-Panzer der türkischen Armee in Afrin, während in Zürich-Oerlikon Schweizer Rheinmetall-Raketen produziert werden. Vergessen wir nicht, wie Schweizer Firmen in der Türkei zu Dumpingpreisen produzieren lassen, wie etwa Novartis.

Die Repression, die unser Genosse erfährt, überrascht uns daher nicht. Kapitalistische Staaten halten zusammen. Ihre Repressionsapparate arbeiten Hand in Hand, weil sie grundsätzlich ähnliche Interessen verfolgen und dabei weder Moral noch Skrupel kennen. Viele der Internationalist:innen, die nach Rojava gingen, haben ähnliche Repressionserfahrungen gemacht, als sie zurückkehrten – in Deutschland, Italien oder Großbritannien. Nun trifft es die Schweiz. Angesichts dieses staatlichen Angriffs auf die internationale Solidarität ist es für uns klar, dass wir die Solidarität unsererseits bestärken müssen und alles dafür tun wollen, um revolutionäre Perspektiven jenseits ihrer Staatlichkeiten zu eröffnen.

Egal wo – in Rojava oder in Europa, in der Türkei oder der Schweiz - überall, wo wir sind, werden wir die Revolution in Rojava verteidigen, die auch unsere ist!“

Kundgebung vor Gerichtsgebäude

Der Prozess gegen den Aktivisten startet am 14. April um 9.15 Uhr vor dem Tribunal Militaire 1 Sion, Saal 305, Rue Mathieu-Schiner 1, in 1950 Sion. Ab 8.30 Uhr findet vor dem Gerichtsgebäude eine Kundgebung statt.