Eddi Marcucci: Internationalistin will sich nicht beugen

Die italienische Internationalistin „Eddi“ Marcucci steht nach ihrem Einsatz bei den YPJ in Rojava unter staatlicher Überwachung. Das Urteil gegen sie stellt einen gefährlichen Präzedenzfall dar, mit dem eine engagierte Frau diszipliniert werden soll.

Ein italienisches Gericht hat die Sonderüberwachung gegen die ehemalige YPJ-Kämpferin „Eddi” Marcucci bestätigt. Es handelt sich um einen weiteren Fall von Repression gegen aus Rojava zurückkehrende Internationalist*innen. Das teilen die Gruppen Berlin Migrant Strikers und Women Defend Rojava in einer gemeinsamen Erklärung mit:

Gerichte in der EU unterstützen die Türkei und Daesh

Hinter den Kulissen des Szenarios eines Europas, das vorgibt, im Kampf gegen die gemeinsame Bedrohung der Pandemie geeint zu sein, werden Missbräuche und Justizskandale versteckt, die bis zu ihrer Vollendung still und ungestört ablaufen.

Im vergangenen Dezember 2020 bestätigte das Gericht von Turin in zweiter Instanz die Verurteilung zu zwei Jahren Sonderüberwachung für Maria Edgarda Marcucci, besser bekannt als „Eddi". 2018 hatte sich die 29-jährige Italienerin den kurdischen Frauenverteidigungseinheiten YPJ angeschlossen, um die Revolution des Demokratischen Konföderalismus in Rojava gegen den „Islamischen Staat“ (Daesh/IS) zu unterstützen. Wegen der Sonderüberwachung muss sich die junge Aktivistin, die nicht vorbestraft war, bis März 2022 einem „Lockdown im Quadrat” unterziehen.

Ihr wurden grundlegende Freiheiten entzogen: Eddi darf sich weder frei bewegen noch an Aktivitäten, Veranstaltungen und politischen Versammlungen teilnehmen, generell darf sie sich nach 18 Uhr nicht an öffentlichen Orten aufhalten. Ihr Reisepass wurde beschlagnahmt, was zu einem Verbot von Auslandsreisen führt. Verpflichtet ist sie außerdem dazu, alle Bewegungen und Aktivitäten auf einer „Auffangkarte", die der Polizei auf Verlangen vorzulegen ist, zu protokollieren.

Sozial gefährlich“

Diese harte Strafe begründete das Gericht mit dem Hinweis, dass Eddi „sozial gefährlich" sei: In der Miliz zur Verteidigung des kurdischen Volkes habe sie den Umgang mit Waffen gelernt. Außerdem habe sie nach ihrer Rückkehr nach Italien nie aufgehört, aktives Mitglied feministischer, antifaschistischer, antikapitalistischer und ökologischer Bewegungen zu sein, darunter die No-Tav-Bewegung, die sich seit Jahrzehnten gegen die Umweltzerstörung durch den Bau einer Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnlinie in den Tälern nördlich von Turin wehrt.

Einzige Frau vor Gericht

Zusammen mit Eddi wurden ursprünglich weitere fünf aus Rojava zurückgekehrte italienische Internationalisten angeklagt. Auch für Paolo Andolina, Jacopo Bindi, Pierluigi Caria, Davide Grasso und Fabrizio Maniero hatte die Turiner Staatsanwaltschaft eine Sonderüberwachung gefordert. Doch bestätigt wurde die Maßnahme schließlich nur für Eddi, die einzige Frau vor Gericht. Ebenso wie die anderen hatte sie keine Straftat begangen. Aber konkrete Schuldbeweise benötigt nach italienischem Recht die Zuweisung der Sonderüberwachung nicht, dafür sind allein die Angaben der Polizei ausreichend. Im Fall von Edde skizzierte die Polizei das Profil einer psychisch labilen und aggressiven Frau, die Anhängern anderer Ideologien gegenüber sogar gewalttätig werden könnte.

Relikt aus dem italienischen Faschismus

Von einer „ideologischen Verurteilung” haben bereits mehrere Intellektuelle und Akademiker in Eddis Fall gesprochen. Besonders erschreckend ist jedoch vor allem, dass die Sonderüberwachung ein juristisches Erbe des Rocco-Kodex und damit eines königlichen Dekrets aus der Zeit des Faschismus ist: Eine Maßnahme, die als Strategie zur Prävention und als Kontrollinstrument von Dissens gedacht wurde und darauf abzielte, jeden Versuch von sozialen und politischen Aktivismus zu unterbinden. Dabei ging es nicht nur um die Verhinderungen potenzieller Verbrechen, sondern vielmehr um die hinterlistige Aufgabe, das Subjekt umzuerziehen und es in gewünschte soziale Modelle zurückzuführen.

Durch die durchsichtigen, aber festen Gitter der Sonderüberwachung wollte dann die Staatsanwaltschaft Eddis Beziehungen, gewohnte Orte, Praktiken, Gewohnheiten angreifen, um die als „sozial gefährlich” stigmatisierte Frau politisch zu disziplinieren. Harte Repression ist bei der Turiner Staatanwaltschaft keineswegs neu: In den letzten Jahren sahen sich mehrere Aktivisten der No-Tav-Bewegung mit Forderungen nach unverhältnismäßigen Strafen konfrontiert, nur weil sie gegen eine ökologisch katastrophale, aber vom Staat sowie von Teilen des nationalen und europäischen Kapitals stark gewünschte Infrastruktur demonstriert hatten.

Gerichtsurteil bestätigt wirtschaftliche Interessen

Auch im Fall von Eddi scheint das Gerichtsurteil die wirtschaftlichen Interessen des italienischen Staates zu bestätigen. Denn mit immerhin 18 Milliarden Euro Handelsvolumen jährlich ist Italien einer der wichtigsten Handelspartner der Türkei, der Zweite in der Europäischen Union und der Fünfte weltweit. Kein Wunder dann, dass sich die Regierung einerseits der internationalen Koalition gegen IS angeschlossen hatte, sich dann aber nicht direkt an der militärischen Unterstützung der Kräfte des Demokratischen Konföderalismus beteiligte, sondern stattdessen die trotz der Gräueltaten von Daesh mehrfach tatenlosen gebliebenen irakischen Peschmerga finanzierte. Gleicherweise trauerte sie nicht um den Tod von zwei anderen italienischen YPG-Kämpfern, Lorenzo „Orso” Orsetti und Giovanni Francesco „Hîwa Bosco" Asperti, die bei der Verteidigung der Revolution von Rojava gefallen sind.

Riskanter Präzedenzfall

Im Lichte dieser öko-politischen Verhältnisse überrascht das Urteil gegen Eddi nicht, denn auf einen Schlag delegitimiert und kriminalisiert es die Beteiligung am kurdischen Widerstand in Syrien und die antikapitalistische und antifaschistische Militanz in einem europäischen Land. All das geschieht, während die italienischen Rüstungsexporte an die Türkei ungehindert weiterlaufen. Das Urteil stellt jedoch einen Wendepunkt dar: Zum ersten Mal in Italien betrifft es eine Bürgerin, die in Rojava gekämpft hat. Damit ist es zu einem riskanten Präzedenzfall für alle geworden, die an die kurdische Sache sowie an die freie Meinungsäußerung glauben.

Kein Einzelfall in Europa

Das Urteil gegen Eddi ist der einzige Fall in Italien, doch leider kein Einzelfall in Europa. In den letzten Jahren sind weitere Internationalistinnen und Internationalisten nach ihrer Rückkehr aus Rojava ins Visier der Behörden in ihren Heimatländern geraten. Eddi reiht sich damit in eine Liste internationalistischer Menschen ein, die von Repression und Überwachung betroffen sind. Das weist auf europäischem Niveau auf eine Gemeinsamkeit im Kampf gegen Andersdenkende hin.

Die Dänin Joanna Palani, Tochter kurdischer politischer Flüchtlinge in Dänemark, wurde 2015 nach ihrer Rückkehr nach Europa von der dänischen Regierung in Gewahrsam genommen. In diesem paradoxen Szenario von Menschenrechtsverletzungen tat sich auch Großbritannien hervor und verhaftete 2018 bei der Rückkehr drei Briten, die sich freiwillig bei den YPG aufgehalten hatten: Jamie Janson, Aidan James und Jim Matthews.

Der Fall Jan-Lukas Kuhley

Schließlich kam der Fall von Jan-Lukas Kuhley, der sich im Oktober 2019 mit einem Durchsuchungsbefehl in seiner Wohnung in Karlsruhe konfrontiert sah. Beschuldigt wegen des Tatvorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach §129b sorgte der Fall auch in Deutschland für heftige Diskussionen. Für die deutschen Behörden, sowie für die italienischen im Fall Eddi, gelten eine militärische Ausbildung in einer ausländischen Armee und Kampferfahrung als ausreichender Grund, um gegen die Betroffenen als potenzielle Terroristen zu ermitteln. Diesen Vorwurf wie Kuhley entschieden zurück. Denn gekämpft hatte er monatelang in Rojava gegen den echten Terrorismus des Islamischen Staates. Dadurch trug Jan-Lukas Kuhley nicht nur zum kurdischen Widerstand gegen die Türkei und den Islamischen Staat bei, sondern auch zur Verwirklichung eines demokratischen und horizontalen Gesellschaftsmodells, das auf einer zunehmenden Beteiligung an Entscheidungsprozessen, einer ökologisch nachhaltigen Landwirtschaft und einem umfassenden Kampf gegen Geschlechterdiskriminierung in all ihren Formen beruht.

Eddi will sich nicht beugen

Aufgrund einer vermuteten, aber nie bewiesenen Gefährlichkeit wurden diese junge Internationalistinnen und Internationalisten aus Europa staatlicher Repression unterworfen. Gegen diese Maßnahmen wird Eddi Marcucci nun beim Obersten Gerichtshof in Italien Berufung einlegen. Aber das ist noch nicht alles: Während sie das Urteil der dritten Instanz abwartet, will sich Eddi dem umstrittensten der gegen sie verhängten Verbote nicht beugen und an politischen Veranstaltungen teilnehmen - ein Verstoß, der sie eine Haftstrafe kosten könnte. Doch das scheint ein notwendiger Akt zivilen Ungehorsams gegen eine Verurteilung zu sein, mit der in Europa diejenigen zum Schweigen gebracht werden sollen, die für die kurdische Sache gekämpft haben und immer noch kämpfen.