Turiner YPJ-Freiwillige als „Gefährderin“ eingestuft

Weil sie als YPJ-Freiwillige am Widerstand von Efrîn teilnahm, ist eine Turinerin als „Sicherheitsgefährderin“ eingestuft und für zwei Jahre unter Aufsicht gestellt worden. Die Regelung beinhaltet drastische Einschränkungen der Freiheitsrechte.

Ein Gericht in Turin hat die Aktivistin und internationalistische YPJ-Freiwillige Maria Edgarda Marcucci als „Gefährderin“ eingestuft und unter Aufsicht gestellt. Die von der Turiner Staatsanwaltschaft durchgesetzte Maßnahme „Sorveglianza speciale“ (spezielle Beobachtung) steht im Zusammenhang mit einem Aufenthalt der 28-Jährigen bei den Frauenverteidigungseinheiten YPJ (Yekîneyên Parastina Jin) in Nordsyrien. Dort nahm sie unter anderem beim Widerstand gegen die türkische Besatzung von Efrîn teil.

Die gegen Marcucci verordnete Sonderüberwachungsregelung beinhaltet drastische Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte: Für einen Zeitraum von zwei Jahren darf die Italienerin Turin nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Polizei verlassen. Sie steht de facto unter Hausarrest, was konkret bedeutet, dass sie sich aus ihrer Wohnung nur zu den üblichen Arbeitszeiten entfernen darf, abends und nachts muss sie anwesend sein. Sie darf an keinen Veranstaltungen, Demonstrationen oder Protesten teilnehmen und sich niemals mit mehr als drei Personen gleichzeitig treffen. An öffentlichen Plätzen, in Restaurants oder Bars darf sie sich nicht aufhalten, ihre Fahrerlaubnis wurde widerrufen. Kontakt zu vorbestraften Personen ist verboten, außerdem darf sie sich nicht politisch äußern. Auch ihr Reisepass wurde eingezogen.

Die Staatsanwaltschaft begründete ihren Antrag damit, dass Marcucci in Syrien Kampferfahrungen gesammelt habe und damit eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit Italiens“ darstelle. Außerdem verwies die Behörde auf mehrere Verstöße gegen das Versammlungsgesetz im Zusammenhang mit Demonstrationen der NO-TAV-Bewegung und anderer sozialer Kämpfe. Seit mehr als zwei Jahrzehnten leistet die NO-TAV-Bewegung Widerstand gegen den Bau einer Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke durch das norditalienische Susa-Tal. Marcucci ist italienweit und darüber hinaus bekannt für ihr Engagement gegen das Zerstörungsprojekt und ihre Aktivitäten im alternativen Turiner Kulturzentrum Askatasuna.

Gerichtliche Anhörung im Oktober 2019

Zwar waren die Richter der Ansicht, dass „das Festhalten an Formen des sozialen Protests (...) an sich kein Element darstellt, aus dem sich Argumente für die Einstufung als Gefährderin ableiten lassen“ und Marcuccis Ausbildung im Umgang mit Waffen in einem Krieg nicht als Risiko gewertet werden kann, solange keine Beurteilung ihres Verhaltens seit ihrer Rückkehr nach Italien vorliegt. Dennoch ist die 28-Jährige die Einzige, die als vermeintlich „gefährliches Subjekt für die Gesellschaft“ präventiv überwacht werden soll. Vier weitere Turiner Aktivisten, gegen die die Staatsanwaltschaft ebenfalls Überwachungsmaßnahmen gefordert hatte, müssen nicht unter „Sorveglianza speciale“.

Marcucci-Anwalt Claudio Novaro erklärte zu dem Urteil gegen seine Mandantin, dass das angewendete Gesetz für die italienischen Strafverfolgungsbehörden ein Instrument zur Erstickung von politischem oder sozialem Dissens und der Kriminalisierung von Linken darstelle. Für die Anwendung der „Präventionsmaßnahme“, die aus der faschistischen Gesetzgebung Italiens stammt, muss keine Straftat vorliegen, sie kann lediglich auf der Grundlage von Angaben angewendet werden. Zudem braucht es auch keinen ordentlichen Gerichtsprozess.

Der Zeitpunkt der Entscheidungsverkündung war allerdings bitter, markierte der heutige 18. März doch den ersten Todestag des Florentiner Anarchisten und Internationalisten Lorenzo Orsetti (Têkoşer Piling). Er war ein Freund von Marcucci, der im Frühjahr 2019 als Freiwilliger der YPG bei der Offensive auf die letzte IS-Enklave al-Baghouz in Ostsyrien ums Leben kam.

Maria Edgarda Marcucci erklärte am Dienstag, das möglicherweise auch eine Beschwerde bei der Handelskammer Turin aufgrund einer Podiumsdiskussion im Rahmen einer Luft- und Raumfahrtausstellung, die unter anderem unter Beteiligung des italienischen Verteidigungsministeriums ausgerichtet wurde, zu dem Urteil gegen sie geführt haben könnte. „Das haben wir bei der letzten Anhörung im vergangenen Dezember erfahren. Bei der Diskussion damals ging es um die Beziehungen zwischen Italien und der Türkei und italienische Waffenexporte an Ankara. Der Krieg gegen Nord- und Ostsyrien hatte wenige Wochen zuvor begonnen. Wir betraten die Handelskammer mit einem Transparent und prangerten die Mittäterschaft Italiens an den Massakern in Rojava an. Es war eine absolut friedliche Aktion und das Mindeste, das wir zu einer Zeit, in der Bomben auf unsere Schwestern hagelten, tun konnten.“

Überrascht sei sie aber keineswegs, sagte Marcucci. Ohnehin sei jetzt nicht die Zeit, aus persönlichen Beweggründen empört zu sein. „Ja, es ist eine äußerst bedrohliche Entscheidung für jeden Menschen, der in Italien politisch aktiv ist. Dies sind auch keine Maßnahmen, die in einem angemessenen Verhältnis zu den Fakten stehen, die diese Sicherheitsbehörden zu beurteilen haben. Es ist wichtig zu sagen, dass die eigentlichen Gefährder diese Entscheidungsträger sind. Es ist der italienische Staat, der eine Gefahr für uns alle darstellt, weil er jedem von uns die Freiheit abspricht.“ Marcucci hat angekündigt, juristisch gegen die Sonderüberwachung vorzugehen. „Ich akzeptiere keine Form der Überwachung durch die Turiner Staatsanwaltschaft und keine Einschränkung meiner Freiheit. Diese Leute müssen so schnell wie möglich gestoppt werden.“