Am 23. Januar wird bei einer Anhörung in Turin darüber entschieden, ob es sich bei fünf italienischen Aktivisten um Menschen handelt, die eine „Gefahr für die Gesellschaft“ darstellen und unter spezielle Beobachtung gestellt werden müssen. Die von der Staatsanwaltschaft von Turin geforderte Maßnahme „Sorveglianza speciale“ (spezielle Beobachtung) steht im Zusammenhang mit Aufenthalten der Aktivisten bei den Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ sowie der Bewegung für eine demokratische Gesellschaft (TEV-DEM) in Nordsyrien/Rojava. Der Vorwurf gegen die Betroffenen lautet: Ausbildung an der Waffe.
In Italien und auch in anderen europäischen Ländern wird bereits seit Jahren über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der speziellen Beobachtung diskutiert, insbesondere im Kontext der Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention, da für die Anwendung dieser sogenannten Präventionsmaßnahme keine Straftat vorliegen muss und sie lediglich auf der Grundlage von Angaben angewendet werden kann. Konkret will die Staatsanwaltschaft Turin, dass die Aktivisten für zwei Jahre unter Passentzug und Hausarrest gestellt werden. Außerdem sollen sie sich regelmäßig bei der Polizei oder einer anderen Behörde melden. Ihre Führerscheine sollen ebenfalls eingezogen und auch ein politisches Betätigungsverbot soll ausgesprochen werden. Die Polizei dürfte die Aktivisten zudem in ihren Wohnungen zu willkürlichen Zeitpunkten aufsuchen.
Davide Grasso: Italiens Justiz muss YPG/YPJ-Gefallenen Achtung erweisen
Wir haben mit Davide Grasso, einem der betroffenen Aktivisten gesprochen. Grasso kündigte an, die Aktivitäten der Gruppe in Rojava entschieden zu verteidigen.
„Wir werden dem Gericht verständlich machen, dass es sich bei Menschen, die sich bei den YPG/YPJ und der TEV-DEM einbringen, nicht um Gefährder der Gesellschaft handelt. Im Gegenteil, es handelt sich bei diesen Menschen um solche, die die Gesellschaft gegenüber der Terrormiliz Islamischer Staat verteidigen. Wir werden die italienische Justiz und europäische Institutionen ebenfalls darüber aufklären, dass respektlose Bezeichnungen wie ‚Terrorist‘ oder ‚Gesellschaftsgefährder‘ für Angehörige der YPG/YPJ nicht verwendet werden sollen. Denjenigen, die im Kampf gegen den IS ihr Leben verloren haben, sollte Achtung erwiesen werden“, sagte Grasso.
Staatsanwaltschaft sucht Wege und Mittel, Aktivisten anzuklagen
Die YPG/YPJ sind in Europa nicht als terroristische Vereinigung eingestuft. Daher fehlt der Staatsanwaltschaft von Turin die rechtliche Grundlage, die Aktivisten wegen Mitgliedschaft in einer verbotenen Vereinigung anzuklagen. Im Moment bleibe der Staatsanwaltschaft nichts anderes übrig, die Aktivisten wegen ihrer „Ausbildung an der Waffe“ als Gefährder einzustufen und in Geiselhaft zu nehmen. Doch es gebe eine Reihe rechtsradikaler Staatsanwälte die bemüht seien, die Freiwilligen ins Gefängnis zu stecken. Grasso erklärt dazu: „In der Vergangenheit mussten Internationalisten nicht mit strafrechtlicher Verfolgung oder Maßnahmen rechnen. Man wurde lediglich vernommen, zu Festnahmen oder Verhaftungen ist es nicht gekommen. Doch einige rechte Staatsanwälte suchen nach Möglichkeiten, den Freiwilligen den Prozess zu machen.
Europa ist gegen eine egalitäre und freie Gesellschaft in Syrien
Im vergangenen September beispielsweise behauptete ein Staatsanwalt, die YPG gehöre zur PKK. Er kam mit seiner Behauptung nicht durch, daher kam es nicht zu einer Klage. Doch ganz gleich, ob nun fünf Jahre vergehen oder auch zehn; die Staatsanwälte werden immer Druck auf Menschen ausüben, von denen sie glauben, dass sie gegen den Kapitalismus und das Patriarchat sind. Darüber hinaus war und ist Europa nicht bereit, dass sich in Syrien und Kurdistan eine egalitäre und freie Gesellschaft etabliert. Aus diesem Grund ist es ein Problem für Europa, wenn sich ein Bürger seiner Gemeinschaft entscheidet, mit revolutionären Kräften zu kämpfen und gemeinsam mit ihnen Widerstand zu leisten“.
In Italien hat sich eine Initiative gegründet, die den fünf Aktivisten ihre volle Unterstützung zugesagt hat und die Öffentlichkeit aktiv über den Missbrauch der „Sorveglianza speciale“ durch die italienische Justiz informiert. Die „Präventivmaßnahme“ stammt noch aus der faschistischen Gesetzgebung Italiens.