„Schützt Şengal vor weiteren Genoziden!"

Das ezidische Siedlungsgebiet Şengal im Nordirak wird weiterhin von irakischen Truppen belagert, die Lage bleibt angespannt. In Bielefeld und Saarbrücken haben Demonstrationen unter dem Motto „Schützt Şengal vor weiteren Genoziden" stattgefunden.

In Bielefeld und Saarbrücken haben Demonstrationen unter dem Motto „Schützt Şengal vor weiteren Genoziden" stattgefunden. Die Lage in dem ezidischen Kerngebiet im Nordirak ist nach dem militärischen Angriff der irakischen Armee auf die selbstverwalteten Sicherheitskräfte am 2. Mai weiterhin angespannt. Die irakische Zentralregierung unter Premierminister Mustafa al-Kadhimi will die nach dem IS-Genozid von 2014 aufgebauten Selbstverteidigungskräfte mit Gewalt auflösen und handelt nach Angaben der Autonomieverwaltung Şengals im Auftrag der Türkei und der südkurdischen Partei PDK. An mehreren Orten in der Şengal-Region forderten Menschen am Samstag erneut den Abzug der irakischen Truppen und erklärten, nach den Erfahrungen aus der Vergangenheit nur den eigenen Kräften zu vertrauen. Zeitgleich fanden auch in Deutschland Demonstrationen statt, zu denen ezidische und andere kurdische Organisationen aufgerufen hatten.

 

Die Demonstration in Bielefeld begann am Hauptbahnhof mit einer Schweigeminute für die Gefallenen Kurdistans. Es wurden anschließend Redebeiträge gehalten, unter anderem vom Linkspolitiker Onur Ocak. Nach der Auftaktkundgebung startete die Demonstration, die von einem Frauenblock angeführt wurde. Während der Demonstration wurden die Bürgerinnen und Bürger über die aktuellen Angriffe der irakischen Armee mit Hilfe des türkischen Staates aufgeklärt. Es wurde dazu aufgerufen, die ezidische Gemeinschaft nicht allein zu lassen und sich den Protesten anzuschließen. Lautstark wurde mit Parolen wie „Bijî Berxwedana Şengalê" Solidarität mit dem Widerstand in Şengal gefordert. Die Demonstration endete am Kesselbrink mit einer Abschlusskundgebung.

 

Die Demonstration in Saarbrücken wurde von der ezidischen Frauenbewegung und dem kurdischen Frauenrat Şirin Elemhuli organisiert. Die Demonstrant:innen forderten „Hände weg von Şengal!“ und machten auch auf die türkische Militäroperation im Guerillagebiet in Südkurdistan aufmerksam.

Hintergrund

Am vergangenen Sonntagabend hatten Truppen der Regierung von Ministerpräsident Mustafa al-Kadhimi einen größeren Angriff auf die ezidischen Verteidigungskräfte Şengals gestartet. In den Kleinstädten Sinunê und Xanesor sowie in der Gemeinde Digurê kam es zu Bombardierungen und Gefechten. Mit der Militäraktion soll die über die Köpfe der ezidischen Bevölkerung hinweg getroffene Vereinbarung zwischen Bagdad und Hewlêr (Erbil) durchgesetzt werden. Die südkurdische Regional- und die irakische Zentralregierung hatten sich im Oktober 2020 unter türkischer Ägide darauf verständigt, das „Sindschar-Abkommen“ zu unterzeichnen. Der Vertrag besteht aus sicherheitspolitischen und verwaltungstechnischen Maßnahmen, darunter die Entwaffnung der nach dem IS-Genozid von 2014 aufgebauten Sicherheitskräfte.

Die Autonomieleitung Şengals und der Großteil der betroffenen Bevölkerung stehen dem Vertrag skeptisch gegenüber. Das Abkommen wird als ein Versuch des Trios Ankara-Bagdad-Hewlêr betrachtet, die Kontrolle über die Region zu übernehmen und dem ezidischen Volk eigene politische und administrative Rechte zu verweigern. Auch wird nicht zum ersten Mal auf Gewalt oder Gewaltandrohungen gesetzt, um das Abkommen durchzusetzen und die Autonomiestrukturen zu zerschlagen. Bisher sind alle derartigen Versuche am Widerstand der Bevölkerung gescheitert.

Vor Beginn der militärischen Eskalation sind die Journalist:innen Marlene Förster aus Deutschland und Matej Kavčič aus Slowenien am 20. April in Şengal festgenommen und nach Bagdad verschleppt worden, wo sie weiterhin vom irakischen Geheimdienst festgehalten werden.