Pressekonferenz der HDP in Berlin

Die Beziehungen der Bundesrepublik und der Europäischen Union zur Türkei müssen auf der Grundlage von Demokratisierung und Reformen stattfinden, forderte Sezai Temelli, Ko-Vorsitzender der HDP, gestern in Berlin.

Erstmalig seit 2016 ist seit vorgestern eine hochrangige Delegation der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in Berlin, um Gespräche mit Vertretern politischer Parteien zu führen. Die Abordnung besteht aus dem Parteivorsitzenden Sezai Temelli, den beiden Abgeordneten Mithat Sancar und Feleknas Uca sowie Leyla Imret und Sinan Önal von der HDP-Vertretung in Deutschland.

Gestern fand eine Pressekonferenz im Bundespresseamt statt, die von Klaus Faber, dem Vorsitzenden des Koordinierungsrat gegen Antisemitismus e.V., moderiert wurde. Einleitend wies Faber darauf hin, dass sich eine Vielzahl von Journalist*innen und Politiker*innen in der Türkei im Gefängnis befindet, einschließlich der beiden ehemaligen Ko-Vorsitzenden der Demokratischen Partei der Völker, die sich für die Rechte der unterdrückten Minderheiten einsetzt.

Danach berichtete Sinan Önal von den Gesprächen, die am Vortag mit den Fraktionsvorsitzenden der Grünen und der Linken sowie dem Fraktionsvorstand der FDP geführt wurden. Anschließend ergriff der HDP-Ko-Vorsitzende Sezai Temelli das Wort.

„Beziehungen auf Grundlage von Demokratisierung und Reformen“

Die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland müssten auf der Grundlage von Demokratisierung und Reformen stattfinden, sagte Temelli. Von der Bundesregierung werde Druck auf Ankara erwartet, damit in der Türkei ein neuer Friedensprozess beginnt und gesetzliche und verfassungsmäßige Reformen umgesetzt werden. Weiter wies Temelli darauf hin, dass es neben der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise noch weitere Krisen gebe, die das Land plagten: „In der Türkei gibt es eine politische und gesellschaftliche Krise. Wir nennen diesen Zustand eine Demokratiekrise. Die Demokratisierung der Türkei ist der einzige Ausweg, das Land aus der Krise zu führen. Die Regierung unter der AKP meint, dass der Krisenzustand lediglich auf die wirtschaftliche Situation und auf ausländische Eingriffe zurückzuführen sei. Die Krise wurde jedoch durch eine langjährige neoliberale Politik verursacht. Zudem versinkt die Türkei in einer politischen Krise, die sich besonders nach dem Ende des Friedensprozesses vertieft hat“, so Temelli.

Bereits seit dem Sommer 2015 bewege sich die Türkei weg von demokratischen Maßstäben. Der aufgehobene Ausnahmezustand, wie das Wort schon sagt; ein in Ausnahmesituationen geltender Zustand, habe sich zu einem de facto permanenten Ausnahmezustand entwickelt. Ganz oben auf der Liste der Opfer dieses autoritären Regimes unter Erdoğan seien die Kurdinnen und Kurden: „Doch nicht nur die Kurden, auch alle anderen Bevölkerungsgruppen, die Frauen sowie die Arbeiterinnen und Arbeiter sind Opfer des autokratischen Regimes“, sagte Temelli und betonte, dass noch immer Dutzende vom Volk gewählte Bürgermeister, Parlamentarier sowie Hunderte Parteimitglieder wegen fadenscheinigen Vorwürfen im Gefängnis sitzen. Auch die bei den Parlamentswahlen am 24. Juni gewählte Abgeordnete Leyla Güven sei noch immer nicht freigelassen worden, betonte Temelli.

„Idlib-Flüchtlinge sollten nicht Gegenstand für neue Verhandlungen sein“

Die Annäherung internationaler Kräfte an die syrische Provinz Idlib bereite der HDP Sorgen, so der HDP-Vorsitzende weiter: „Insbesondere wenn man sich die dramatische humanitäre Lage des nordsyrischen Kantons Efrîn vor Augen hält, der seit dem Einmarsch türkischer Truppen und ihren dschihadistischen Verbündeten für Eziden, Suryoye, Araber, Kurden, Turkmenen und Aleviten zu einem Ort wurde, an dem Furcht, Massaker und Plünderungen vorherrschen. Es ist dringend notwendig, eine Lösung für die Menschen in Syrien zu finden. Die internationale Öffentlichkeit muss sensibel mit Idlib umgehen. Aufgrund der Entwicklungen dort könnte Europa eine neue Flüchtlingswelle bevorstehen. Die Schutzsuchenden aus Idlib sollten nicht Gegenstand von Verhandlungen mit Erdoğan sein. Das Flüchtlingsproblem muss auf der Grundlage von Menschenrechten gelöst werden“, forderte Temelli.

„Jedes Gespräch mit Merkel stärkt autoritäres Regime“

Wie in der Türkei sei seine Partei auch in Syrien zu jedem Beitrag bereit, damit Frieden im Land einkehren kann, erklärte Temelli weiter. Die Demokratisierung der Türkei sei auch für Europa von großer Bedeutung. Alle Beziehungen, die nicht auf der Grundlage von Demokratie und Frieden stattfänden, würden die autoritären Regime unterstützen. Die türkische Regierung wolle lediglich auf ökonomischer Basis Beziehungen knüpfen. Für die Beziehungen zur EU bestehe jedoch über Fragen wie die Aufhebung der Visumspflicht und das „Flüchtlingsabkommen“ hinaus Bedarf nach einem Demokratie-Programm, führte Temelli aus. „Solidarität zwischen den Zivilgesellschaften ist von großer Bedeutung. Die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland bieten sich dafür an. In Deutschland leben viele Menschen aus der Türkei. Wir müssen uns gemeinsam für ein demokratisches Europa, eine demokratische Türkei und eine demokratische Welt einsetzen. Wenn wir es nicht tun, wird sich die Situation in der Türkei verschlechtern und gleichzeitig wird sich in der Deutschland der Rassismus intensivieren.“

Auf die Frage, ob Gespräche mit der Bundesregierung geplant seien, antwortete Temelli, auf dem heutigen Programm stünden Gespräche mit dem Außenministerium. Eine Frage von Journalisten zu seinen Erwartungen bezüglich des Erdoğan-Besuchs Ende September in Deutschland erklärte der HDP-Vorsitzende:

„Wir gehen davon aus, dass das Gespräch zwischen Merkel und Erdoğan lediglich auf wirtschaftlicher Grundlage stattfindet. Die Türkei sucht kurzfristig nach einem Fond. Daraus wird eine Neuverschuldung hervorgehen. Außerdem geht es um Investitionen in der Türkei. Die Gespräche auf solche Themen zu beschränken, wird weder zu einer Lösung der Wirtschaftskrise noch zur Lösung anderer Probleme beitragen. Was wir fordern, sind Gespräche mit Merkel auf der Grundlage von Demokratie und Menschenrechten. Da diese Grundlage bei den letzten Besuchen Merkels in der Türkei gefehlt hat, ist das autoritäre Regime dadurch noch verstärkt worden.“

Die Gespräche der HDP-Abordnung im Bundestag gehen auch heute weiter. Unter anderem ist ein Gespräch mit Michael Roth, dem Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, geplant.