Der türkische Unternehmer und Kulturmäzen Osman Kavala muss auch nach mehr als zwei Jahren weiter in Untersuchungshaft bleiben. Das entschied am Dienstag ein Gericht im sogenannten Gezi-Prozess gegen Aktivist*innen der Zivilgesellschaft in Istanbul.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte vor zwei Wochen Kavalas sofortige Freilassung gefordert. Urteile des EGMR sind für die Türkei als Mitglied des Europarats bindend. Ein Anwalt Kavalas sagte, die Türkei fechte die Entscheidung des EGMR an.
Auch der Angeklagte selbst verlangte erneut ein Ende seiner „illegalen” Haft. Die Vorwürfe gegen ihn seien „komplett unbegründet”, sagte Kavala vor dem 30. Istanbuler Strafgerichtshof im Gefängniskomplex Silivri.
Osman Kavala ist Gründer der Kulturstiftung Anadolu Kültür, mit der insbesondere Projekte von ethnischen und religiösen Minderheiten gefördert werden, oftmals mit internationaler Ausrichtung. Zu seinen Anliegen gehören unter anderem die Aussöhnung zwischen der türkischen und der armenischen Bevölkerung und eine friedliche Lösung der kurdischen Frage. Die Stiftung arbeitet auch mit mehreren deutschen Institutionen wie dem Goethe-Institut in Istanbul zusammen. Zudem ist Kavala als Sponsor von Amnesty International bekannt.
Gezi-Prozess
Den insgesamt 16 Angeklagten im sogenannten Gezi-Prozess wird unter anderem „ein Versuch zum Sturz der Regierung“ im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten von 2013 vorgeworfen. Kavala wird zudem beschuldigt, die Proteste mit ausländischer Hilfe finanziert zu haben. Allen Angeklagten droht eine lebenslange Haftstrafe.
Der EGMR hatte in seiner Entscheidung am 10. Dezember aber darauf hingewiesen, dass dafür keine ausreichenden Beweise vorgelegt worden seien. Nach Auffassung der Straßburger Richter*innen sei die lange Untersuchungshaft darauf angelegt, Kavala zum Schweigen bringen.
Am morgigen Mittwoch wird noch ein Zeuge verhört. Ein Antrag des türkischen Finanzamtes, in das Verfahren gegen Kavala eingebunden zu werden, wurde angenommen. Offenbar ist das Regime in Ankara darauf aus, das Vermögen des Millionärs Kavala und dessen Stiftung zu kassieren. Eine weitere Verhandlung hat das Gericht bereits für den 28. Januar angesetzt.
Beginn des Gezi-Aufstands
Die Gezi-Proteste begannen am 27. Mai 2013, als die Stadtverwaltung für ein geplantes Bauprojekt Bäume im zentralen Gezi-Park am Istanbuler Taksim-Platz fällen wollte. Damals stellten sich Mitglieder verschiedener Vereine, Berufsverbände und Initiativen vor die Baumaschinen und verhinderten die Abholzung. Unter ihnen war auch der ehemalige HDP-Abgeordnete Sirri Süreyya Önder, der selbst bis vor kurzem im Gefängnis saß. Aus der kleinen Aktion entstand eine Massenbewegung: Am Taksim wurden Zelte aufgebaut, immer mehr Menschen beteiligten sich an der Mahnwache. Die Polizei ging mit Tränengas und Wasserwerfern gegen die Demonstrant*innen vor. Die lokalen Proteste weiteten sich schnell zu einer landesweiten Widerstandsbewegung gegen die autoritäre Politik des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan aus, nachdem die Polizei hart gegen die Aktivist*innen vorging. Schließlich wurde die Bewegung blutig niedergeschlagen – elf Menschen starben, Tausende weitere wurden verletzt.