„Organisierung ist das Gegengift zum Spezialkrieg“

Die DEM-Abgeordnete Sabahat Erdoğan Sarıtaş erklärte, dass das Erdoğan-Regime Gewalt auf alle Lebensbereiche ausweite und Organisierung das einzig denkbare Gegenmittel sei.

DEM-Abgeordnete Sabahat Erdoğan Sarıtaş

Die DEM-Abgeordnete Sabahat Erdoğan Sarıtaş hat sich gegenüber ANF zu den Folgen der Angriffe des türkischen Staates auf die kurdische Sprache und die Kultur geäußert. Sie erinnerte an das Sprichwort „Wer die kurdische Frage nicht löst, wird selbst aufgelöst“ und beschrieb es als Ausdruck einer historischen Realität. Auch das AKP/MHP-Regime werde sich vor diesem Schicksal nicht retten können.

„Auf jeden Fall hat diese Regierung weder die Kraft noch das Vertrauen des kurdischen Volkes, um das brennende Problem der kurdischen Frage mit seiner internationalen Tragweite zu lösen“, betonte die Politikerin. „So gesehen bleibt der Regierung nur ein Argument für ihr Beharren auf der Unlösbarkeit dieses Problems: Gewalt. Die eskalierende Gewalt der letzten Jahre ist das Ergebnis genau eines solchen Prozesses. Vor allem seit den letzten Kommunalwahlen ist die Regierung viel aggressiver geworden, weil sie das von ihr gewünschte Szenario nicht realisieren konnte. Weil das kurdische Volk sehr klar deutlich gemacht hat, dass das Regime mit Zwangsverwaltung, Usurpation und Raub keinen Platz in Kurdistan gewinnen kann. Ich sage das nicht nur im Hinblick auf die Wahlergebnisse. Die Überlegungen der Regierung zur kurdischen Frage konzentrieren sich, so wie es in den vergangenen hundert Jahren auch schon gewesen ist, auf Verleugnung, Vernichtung und Assimilierung. Diese unterdrückerische und mörderische Haltung herrscht weiterhin. Gerade das, was wir in den letzten Monaten erlebt haben, ist ein Beweis dafür, dass wir an den Anfang der Republik zurückgehen.“

Insbesondere Frauen und Jugendliche im Visier“

Sabahat Erdoğan Sarıtaş erklärte angesichts der Spezialkriegspolitik des türkischen Staates: „Der Zustand der Lösungslosigkeit der kurdischen Frage und der eskalierenden Gewalt lässt sich seit langem auf der Grundlage mehrerer Kategorien betrachten. Es herrscht eine Politik, die sich im Wesentlichen nicht nur auf Gewalt, auf Waffen und Militär stützt, es findet vor allem eine Spezialkriegspolitik statt, die noch viel gefährlicher ist. Die Zunahme von Prostitution, des Drogenkonsums usw. in den Städten Kurdistans kann nicht als Zufall oder getrennt von der kurdischen Frage betrachtet werden. An dieser Stelle kann man klar sagen, dass die Hauptzielgruppe Frauen und Jugendliche sind. Aus diesem Grund halten wir es für wichtig, dass Frauen und Jugendliche bewusst und aufmerksam diese Politik verfolgen. Es handelt sich um ein sehr intensives, umfassendes, schrittweises und zeitlich gestaffeltes Vorgehen, sodass wir leider nicht sagen können: Wenn wir heute hart arbeiten, können wir es morgen lösen. Es handelt sich um ein langfristiges Problem, das nur mit Geduld, Ausdauer und Kampf überwunden werden kann. Wie ich bereits erwähnt habe, sind Frauen und Jugendliche die Hauptzielgruppen. Nicht nur in der Türkei oder Kurdistan, sondern überall auf der Welt sind seit der Gründung der Nationalstaaten Frauen und Jugendliche die Hauptziele dieser Systeme, da sie für den Status quo die größte Herausforderung darstellen. Daher ist es die Priorität dieses Systems, sich auf diese beiden Hauptziele zu konzentrieren und ihnen um jeden Preis den Weg zu versperren.“

Organisierung ist das Gegengift

Weiter sagte die Abgeordnete: „Die Spezialkriegspolitik richtet sich nicht nur gegen Individuen, sondern gegen die gesamte Gesellschaft. Gegenwärtig hat sich diese Politik, genau wie das Isolationssystem, auf alle Lebensbereiche ausgeweitet und versucht, die Gesellschaft einzusperren und im Dunkel zu halten. Durch Drogen, Prostitution, Spitzeltum, Assimilation und erzwungene Migration werden junge Menschen, insbesondere junge Frauen, aus der Gesellschaft, dem organisierten Leben und von ihrem Land vertrieben und auf ein individualistisches und falsches Leben fokussiert. Gülistan Doku ist ein konkretes und deutliches Beispiel. Wir kennen ihr Schicksal immer noch nicht, aber sie war eine junge Frau, die in das Netz der eben erwähnten Politik geraten ist. Der stärkste Kampf gegen den Männerstaat, der in Kurdistan seine Existenz auf dem Spezialkrieg aufbaut, ist zweifellos unsere autonome Frauenorganisation. Um unsere Existenz, unsere Identität und unsere Freiheit zu schützen, müssen wir härter arbeiten und kämpfen als je zuvor. Das Gegenmittel gegen die Spezialkriegspolitik ist die Organisierung, das wissen wir sehr genau und das erklären wir auch immer wieder.“

Die Gewalt des Regimes breitet sich auf alle Bereiche aus“

Die Abgeordnete ging auch auf die Verhaftungen wegen kurdischen Tänzen oder dem Verbot der kurdischen Sprache ein und sagte: „Das deutlichste, auffälligste Merkmal für die Anwendung dieser Politik auf die Gesellschaft sind die Kriminalisierung der kurdischen Sprache, die wir in letzter Zeit erlebt haben, und die Razzien auf Hochzeiten, die Festnahmen und Verhaftungen. Seit Jahren erklären wir, dass die Isolation auf die gesamte Gesellschaft übergreifen wird und dies auch tut, das ist genau der Punkt. Wenn etwas am kurdischen Volk ausprobiert werden soll, wird es Schritt für Schritt gemacht und dann auf alle Kurdinnen und Kurden ausgeweitet. Das ist es, was wir hier erleben. Die Regierung fährt fort, die Gewalt auf alle Lebensbereiche auszudehnen. Sie tut dies, indem sie versucht, Spannung, Feindschaft, Streit und Rassismus am Leben zu erhalten. Dies geschieht seit Jahren und richtet sich immer wieder gegen Kurden, Armenier, Aleviten, Frauen, Medienschaffende, Arbeiter, Werktätige, Studierende, Berufsverbände, also alle, die sich gegen diese Politik stellen. Personen, deren Beruf es eigentlich wäre, Gewalttäter, Vergewaltiger und Täter von Übergriffe zu ermitteln, arbeiten weiterhin in Nachtschichten, um Menschen, die kurdische Tänze tanzen, zu identifizieren und um kurdischsprachige Verkehrshinweise zu entfernen. Hochzeiten und Henna-Nächte werden unter dem Vorwand von Liedern, Parolen und Tänzen überfallen.

All das zeigt uns, dass der regierende Block sein wahres Gesicht nicht mehr zu verbergen braucht. Es ist auch ein Beweis dafür, dass seine Politik gegenüber den Kurdinnen und Kurden letztlich gegen die Wand gefahren ist. Natürlich kann diese Situation in einigen Aspekten mit den 1990er Jahren verglichen werden, aber der Punkt, an dem sich sowohl die Welt, die kurdische Bewegung als auch die Türkei jetzt befinden, unterscheidet sich von diesen Zeiten. Daher ist die Repression generell massiver als damals, aber diesmal trifft diese Unterdrückung aber auf eine größere und besser organisierte Kraft. Wenn das kurdische Volk getroffen wird, dann gibt nicht nur Protest in Amed, Wan, Mêrdîn und Sêrt. Jetzt wird auf der ganzen Welt Alarm geschlagen. Das kurdische Volk hat es geschafft, im Laufe der Jahre zu einer einzigartigen organisierten Kraft zu werden. Daher wird diese billige Politik das Leben des AKP/MHP-Regimes nicht verlängern, sondern im Gegenteil verkürzen. Sie haben der Gesellschaft nichts mehr zu geben, ihre Geschichte ist zu Ende. Sie haben die Wirtschaft und die Ökologie erschöpft, die Technologie ist nutzlos, weil sie sie bereits missbraucht haben, sie haben es nicht geschafft, Kultur und Kunst zu schaffen. Sie haben außer Kurdenfeindschaft, Hass und Gewalt nichts mehr. Dieser Treibstoff wird sie aber nicht dorthin bringen, wohin sie wollen.“

Wir werden kein Verbot anerkennen“

Sabahat Erdoğan Sarıtaş unterstrich, dass weder dem kurdischen Volk noch der kurdischen Politik Repression fremd sei, und fuhr fort: „Sie können auch mit der Verfolgung der kurdischen Sprache, mit dem Stürmen von Hochzeiten und der Zwangsverwaltung keinen Millimeter mehr weiterkommen. Die AKP und Erdoğan haben keine Sympathien in Kurdistan. Deshalb ist unser Weg und unser Widerstand klar: Wir werden kein Verbot anerkennen, wir werden noch mehr tanzen, wir werden unsere Sprache noch mehr sprechen, wir werden unsere Lieder lauter singen, wir werden unseren Willen noch stärker einfordern. Natürlich werden wir mehr Mitsprache in der Politik haben, wir werden neue Wege gehen. Wir sind die Seite der Lösung, des dritten Weges. Wir werden immer gegen diejenigen sein, die ihre Politik auf Krieg, Armut, Rassismus und Ignoranz aufbauen. Unsere Politik ist die Politik des Lebens. Wir werden niemals den Monismus akzeptieren. Dieser hat keine Entsprechung in der Gesellschaft. Seit 100 Jahren werden dieselben Dinge ausprobiert und man tut so, als hätte man sie gerade neu erfunden. Aber wenn wir in die Geschichte blicken, wird klar, dass es so nicht funktioniert. Wir sind erfahren genug und kennen die Geschichte ausreichend, um nicht auf solche Spielchen hereinzufallen. Wir wissen, was wir tun und wofür wir stehen, und die Regierung weiß das sehr gut. Diese Agenda ist bereits teilweise im Sande verlaufen, weil sie nicht funktioniert hat, weil die Gesellschaft nicht nachgegeben hat. Die Menschen tanzen weiter, singen Lieder und sprechen Kurdisch.“