Kurdisch: Verbote und Assimilation

In nur einem Monat wurden Dutzende Menschen in der Türkei festgenommen, weil sie auf Kurdisch sangen oder zu kurdischer Musik tanzten. Völkermord muss nicht unbedingt in Form von physischer Tötung erfolgen.

Kultur und Identität in der Türkei

Das harte Vorgehen des türkischen Staates gegen die kurdische Sprache ist in letzter Zeit immer deutlicher geworden. In nur einem Monat wurden Dutzende Menschen festgenommen und verhaftet, weil sie auf Kurdisch sangen oder zu kurdischer Musik tanzten. Die diskriminierende und rassistische Politik der Regierung gegenüber der kurdischen Sprache wird als Rückkehr zu den Gründungscodes der Republik Türkei interpretiert.

Die Unterdrückung der kurdischen Sprache durch den türkischen Staat ist nicht neu. Die ersten systematischen Schritte wurden 1925 unter Mustafa Kemal mit dem „Reformplan für den Osten“ (Şark Islahat Planı) unternommen. Unter dem Deckmantel des Ausnahmezustands sah dieser Plan Maßnahmen der Assimilation vor, zu denen Deportationen, Umsiedlungen und Massenmorde gehörten. Mit diesem Plan wurde die kurdische Frage dem Militär unterstellt.

Völkermord muss nicht unbedingt in Form von physischer Tötung erfolgen. Es ist auch möglich, ein Volk in Form eines kulturellen Genozids zu vernichten. Nach dem Verbot der kurdischen Sprache in der Türkei war das erste Ziel, die kurdischen Frauen zu assimilieren. Die Machthaber wussten, dass eine erfolgreiche Assimilierung der Frauen den Weg für die Türkisierung der gesamten kurdischen Gesellschaft ebnen würde.

Gleichzeitig setzte der Staat seine größte Macht ein, um den Gebrauch der kurdischen Sprache im sozialen Bereich und im Alltag zu verhindern: den Repressionsapparat. Unzählige Menschen wurden von staatlichen Sicherheitskräften oder vom Staat unterstützten faschistischen Gruppen ermordet, weil sie Kurdisch sprachen. Zehntausende Kurdinnen und Kurden wurden aufgrund ihrer Sprache, Kultur und Identität verhaftet und müssen mit langen Haftstrafen rechnen.

Mehr als zwanzig Verhaftungen in einem Monat

Seit Ende Juli 2024 hat die Unterdrückung der kurdischen Sprache und Kultur eine neue Dimension erreicht. Allein im Juli und August 2024 wurden mehr als 20 Personen verhaftet und mehr als hundert festgenommen, weil sie Govend tanzten und kurdische Lieder sangen.

24. Juli: In Mersin werden neun Personen festgenommen und verhaftet, weil sie zu einem kurdischen Lied getanzt haben. Im Gefangenentransporter wird das Lied „Ölürüm Türkiye'm“ (Ich sterbe für meine Türkei) gespielt.
26. Juli: Sechs Personen werden in Agirî (tr. Ağrı) festgenommen, als sie auf einer Hochzeit in kurdischer Kleidung Govend tanzen.
27. Juli: In den Istanbuler Stadtteilen Esenyurt, Gazi Osman Paşa und Arnavutköy werden Wohnung von Personen durchsucht, die in der Vergangenheit auf Hochzeiten den Govend getanzt hatten. 13 Personen werden festgenommen, elf der Betroffenen werden verhaftet.
27. Juli: Ein Soldat in Aydın wird festgenommen und verhaftet, weil er in der Vergangenheit auf einer Hochzeit Govend getanzt hatte.
27. Juli: Bei Hausdurchsuchungen in Sêrt und Êlih (Siirt und Batman) werden sechs Personen festgenommen, weil sie in der Vergangenheit auf einer Hochzeit Govend getanzt haben.
29. Juli: Die Polizei führt in drei verschiedenen Vierteln von Colemêrg (Hakkari) Razzien bei Hochzeiten durch. Mehrere Personen, darunter Musiker und der Gastgeber, werden festgenommen.
29. Juli: In Wan werden mehrere Personen festgenommen, weil sie aus Protest gegen die Festnahmen Govend tanzen.
1. August: Sieben Personen werden in Amed festgenommen, weil sie Govend getanzt haben.
6. August: Fünf Personen werden in Osmaniye festgenommen, weil sie bei einer Hochzeit Govend getanzt hatten, vier von ihnen werden verhaftet.
14. August: Die Polizei führte eine Razzia auf einer Hochzeit in Esenyurt, Istanbul, durch und nimmt acht Personen fest, darunter Govend-Tanzende.
15. August: Fünf Personen werden festgenommen, als sie auf dem Weg zu einer Hochzeit in Istanbul Govend tanzen.
22. August: Drei Bauarbeiter, die in einem Park in Balıkesir ein kurdisches Lied hören, werden verhaftet.
26. August: Drei Personen werden in Istanbul verhaftet, weil sie bei einem Fußballturnier der DEM-Jugend zu dem Lied „Bêrîtan“ getanzt haben sollen.

Wegen kurdischer Musik ermordet

Es gibt zahllose weitere Beispiele dieser Art. Im Mai wurde der Besitzer eines Cafés in Amed festgenommen, nachdem er kurdischsprachigen Service angekündigt hatte. Auch in früheren Jahren kam es wegen kurdischer Musik zu Festnahmen. Einige Menschen wurden sogar ermordet, weil sie kurdische Lieder sangen oder hörten. 2022 wurden mehrmals kurdische Straßenmusiker:innen auf der Istiklal Caddesi in Istanbul festgenommen. In Eskişehir kam es im Oktober 2023 zur Festnahme von 27 Personen, die auf der Straße kurdische Musik spielten oder dabei zuhörten. Am 2. Mai 2023 wurde der Straßenmusiker Cihan Aymaz am Strand von Kadıköy in Istanbul getötet, weil er auf Kurdisch sang. Barış Çakan wurde am 31. Mai 2020 in Ankara getötet, weil er ein kurdisches Lied gehört hatte.

Kurdische Lieder werden als türkische Volksmusik präsentiert

Die kulturelle Vernichtung ist ein wichtiger Pfeiler der Assimilationspolitik gegen das kurdische Volk, die in der späten osmanischen Zeit begann, mit dem Komitee für Union und Fortschritt fortgesetzt wurde und mit der Gründung der Republik Türkei bis heute planmäßig fortgesetzt wird. Zu dieser Politik gehören nicht nur die Zerstörung der kurdischen Sprache, die Verhinderung des Gebrauchs des Kurdischen im täglichen Leben und die Beseitigung von Traditionen, sondern auch die Türkisierung kurdischer Lieder. Wie viele kurdische Lieder bis heute ins Türkische übersetzt wurden, ist nicht bekannt. Sie werden als „türkische Volksmusik“ präsentiert. Das Lied „Ölürüm Türkiyem“, das kurdischen Jugendlichen in einem Gefangenentransporter in Mersin als Foltermethode vorgespielt wurde, ist eine kurdische Melodie mit türkischem Text. Der Text und die Musik des Liedes „Ankara’nın Taşına Bak“ (Schau auf den Stein von Ankara), vorgetragen von Ruhi Su, dem Künstler, dessen Tod der türkische Staat zuließ, indem er ihm den Pass verweigerte, wurden aus der Hymne „Ey Niştiman“ von Hesen Zîrek übernommen.

Beispiele für türkische Interpretationen kurdischer Lieder

Ax Weylo / Yaylanın Soğuk Suyu

Ax Kurdistan Kurdistan / Gülistan Adın Dillere Destan

Rabe Cotkar / Beyaz Gül, Kırmızı Gül

Canê Canê (von Delil Doğan im Gedenken seines Bruders Mazlum Doğan) / Caney Caney

Çavit Ciwana Leyla / Çavuş Kızı Leyla

Çiya bi Berf û Dûman e / Zurnacı İbo Dayı

Çi tolaz û serseri / Sarışınsın

Dêra Sorê / Dağlar Duman Oldu

De Lori Lori / Güneşli Yarınlar / Şey Yani

Di Dinê de Sê Tişt Hene / Bu Dünyada Üç Şey Vardır – İbrahim Tatlıses

Edlê Rabe / Yaylalar

Ey Niştiman 1947 / Hesen Zîrek – Ankara’nın Taşına Bak 1970 / Ruhi Su

Evina Min / Uzun Uzun Kamışlar – İbrahim Tatlıses

Ez Kevokim / Hele Yar Zalim Yar

Ha Berde Lawo Destê Min Berde / Makaram Sarı Bağlar

Henê Bînin Teyştê Kin / Kınayı Getir Aney

Lorke Lorke / Diyarbakır Güzel Bağlar

Lê Dotmam / Ben Yetim – Emrah – İbrahim Tatlıses

Le Nazê / Naze – İzzet Altınmeşe

Lê Xanim Xan Xanimê / Le Hanım – İzzet Altınmeşe

Lê lê Rindikê / Kara Üzüm Habbesi – İbrahim Tatlıses

Nabikeve / Bu Tepe Kumlu Tepe

Miho / Göç Göç Oldu

Marjan – Kevirê Dil 1960 / Ajda Pekkan – Baksana / Talihe 1977 Kai Warner’s Oriental Express – Fly Butterfly

Porzerin / Toycular

Sînemê / Zap Suyu

Seyran Mangî / Ağlama Yar

Tu Bedewî Tu Delalî Leyla / Leyla – Özcan Deniz

Xane û Xwedê da / Ben Anayım – Ceylan / Ben Babayım – Azer Bülbül

Ximxime Torîvanê / Ağrı Dağından Uçtum

Yallah Şofêr – Hesen Zîrek / Yallah Şoför – İbrahim Tatlıses

Yek Mûmik Du mûmik / Bir Mumdur – İbrahim Tatlıses

Zara / Öleyim – Mahsun Kırmızıgül

Hay gîdyê Xeydokê / Siverek Asmasıyam

Desmala min / İpek Mendil

Foto: Aktion für kurdische Sprachen in Amed, Februar 2024 © MA