OLG Hamburg: Das Gericht gibt sich die Blöße

Im Prozess gegen Kenan Ayaz vor dem OLG Hamburg macht die Vorsitzende Richterin Wende-Spohrs deutlich, worum es ihr in diesem Prozess geht: ihre Machtposition demonstrieren – sowohl gegenüber Kenan Ayaz, seiner Verteidigung als auch den Besucher:innen.

PKK-Prozess gegen Kenan Ayaz

Bereits zu Beginn des 21. Prozesstages am 12. März 2024 gegen Kenan Ayaz vor dem Oberlandesgericht Hamburg machte die Vorsitzende Richterin Wende-Spohrs deutlich, worum es ihr in diesem Prozess geht: ihre Machtposition demonstrieren – sowohl gegenüber Kenan Ayaz, seiner Verteidigung als auch den Besucher:innen.

Wie an vielen anderen Prozesstagen zeigten auch am 12. März etliche Menschen ihre Solidarität gegenüber Kenan Ayaz und nahmen damit das Recht auf Öffentlichkeit in Anspruch. Dieses scheint die Vorsitzende Richterin zu provozieren. Reagierte sie doch schon in der Vergangenheit mehrmals aggressiv, wenn darauf hingewiesen wurde, dass Wortbeiträge aufgrund mangelnder Lautstärke nicht zu verstehen seien. Dies war auch an diesem Tag der Fall, als der Beschluss des Gerichts verlesen wurde, dass Kenan Ayaz seine Erklärung zum Gutachten des Sachverständigen Dr. Seufert nicht zu Ende abgeben dürfe. Es mutet grotesk an, geradezu wie eine Realsatire, wenn man sich auch nur vorstellt, was dann geschah: Auf den besagten Hinweis reagierte die Richterin regelrecht schreiend, dass die Person ruhig zu sein habe. Schließlich habe sie bereits selbst die Akustik in diesem Saal getestet. Unter welchen Umständen sie das getestet hätte, teilte sie nicht mit. Sie war auf jeden Fall an diesem vergangenen Vormittag nicht zu verstehen. Dies wird höchstwahrscheinlich daran liegen, dass die Technik unzureichend ist und die Besucher:innen hinter einer Scheibe sitzen müssen. Mit Nachdruck wurde aus dem Publikum erneut auf die Lautstärkenproblematik hingewiesen. Dies wurde nun von der Richterin zum Anlass genommen, damit zu drohen, dass bei weiterem Sprechen ein Ordnungsgeld verhängt werden könne. Nun ergriff eine Verteidigung das Wort, wurde prompt von Wende-Spohrs unterbrochen – und das lautstark. Sie entziehe ihr das Wort, da sie die Verkündung des Beschlusses nicht zu unterbrechen habe. Dies wurde von der zweiten Verteidigung kritisiert, woraufhin die Richterin lautstark darauf hinwies, dass sie aktuell nicht das Wort habe und warf ihr vor, schwerhörig zu sein. Doch damit nicht genug! Nach abermaliger Beanstandung des Wortentzuges wurde ihr schreiend befohlen: „Sie halten jetzt den Mund!“ Darin sah die andere Verteidigung zurecht eine Beleidigung, artikulierte dies und beantragte eine Unterbrechung, die nicht aufzuschieben sei. Erneut schrie Wende-Spohrs die Verteidigung an, dass sie nicht das Wort habe.

Gericht entzieht Kenan Ayaz das Erklärungsrecht

Der Beschluss wurde zu Ende verlesen, in dem Kenan Ayaz untersagt wird, die verbleibenden Seiten seiner Erklärung zu verlesen. Dieser Teil war nun besser zu verstehen, anscheinend war die Intervention des Publikums doch angekommen und die Richterin gab sich mehr Mühe, laut und deutlich zu reden. Kenan Ayaz war bereits einen Tag zuvor angedroht worden, ihm werde das Rederecht entzogen, weil er in seiner Erklärung auch seine Meinung kundtue. Selbst der Vertreter des Generalbundesanwalts hatte jedoch dafür plädiert, dass Kenan Ayas seine Erklärung fortsetzen kann. Dies in der Hoffnung, dass bei „weiteren Ausführungen konkrete Anknüpfungen an das Gutachten“ erfolgen. Das Gericht folgte dem nicht.

Begründet wurde der Beschluss damit, dass die Erklärung „ganz überwiegend keinen hinreichend konkreten Bezug zu den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Seufert [zeige], sondern […] sich weitgehend in einer Aneinanderreihung von politischen Stellungnahmen, eigenen Meinungen und eigenen Bewertungen des türkisch-kurdischen Konfliktes“ erschöpfe. Dabei würde nur vermeintlich Bezug genommen werden auf das Gutachten des Sachverständigen. Dem Angeklagten wird unterstellt, dass es ihm darum ginge, eine eigene gutachterliche Erklärung „zur Rolle der PKK abzugeben, was auch noch einmal in seiner an den Senat gerichteten Frage: ‚Warum wollen Sie nicht von einem Kurden etwas über die Kurden hören?‘“ zum Ausdruck komme. Diese Aussage verdeutlicht zum einen die Voreingenommenheit des Gerichts und zum anderen den antikurdischen Rassismus gegenüber dem Angeklagten, dem als Betroffenen das Recht und die fachliche Kompetenz abgesprochen wird, eben jene Erfahrungen der Kurd:innen und deren Widerstand analysieren und historisch einordnen zu können.

Befangenheitsantrag, die zweite

Wie nicht anders zu erwarten, wurde von Kenan Ayaz durch seine Verteidigung ein Befangenheitsantrag gestellt – bereits das zweite Mal in diesem Prozess. Dieser habe ein „begründetes Misstrauen in die Unparteilichkeit der abgelehnten Richterinnen“. Belegen lasse sich dieses zum einen mit dem Beschluss, dass er seine Erklärung nicht zu Ende verlesen dürfe. Und in Bezug auf die Vorsitzende Richterin lasse sich dies in ihrem Verhalten erklären, welches sie betreffend der Hinweise auf die Akustik durch Besucher:innen und der Wortergreifung durch die Verteidigung an den Tag lege. Dieses sei „völlig unangemessen und letztlich in der Form beleidigend“.

In der Begründung wurde durch die Verteidiger:innen ausführlich dargelegt, dass Kenan Ayaz „stets in der Lage [war], genau zu bezeichnen, auf welche Aussagen des Gutachters er sich bezog“. Zudem habe er auf Widersprüche hingewiesen, die im Vergleich alter Texte mit dem vorgetragenen Gutachten deutlich wurden. Und es sei logisch, dass eine Kritik an einem Gutachten auch den Charakter eines Gutachtens habe, was zuvor im Beschluss des Gerichts beanstandet wurde.

In diesem Sinne stelle der Entzug des Erklärungsrechts eine prozessuale Willkür dar.

Die Verteidigung hat am Ende des Verhandlungstages noch damit begonnen, einen umfangreichen, den politischen Charakter des Verfahrens sowie das Anklagekonstrukt angreifenden Antrag zu stellen. Da dieser nicht beendet werden konnte, wird dieser am 20. März fortgesetzt.

Weitere Verhandlungstermine

Aufgrund eines richterlichen Beschlusses werden aktuell die Ausweise von Besucher:innen kopiert. Hintergrund ist, dass die Vorsitzende Richterin die durch Klatschen ausgedrückte Solidarität gegenüber dem Angeklagten nicht ohne Weiteres duldet. Weitere Verhandlungstermine sind:

Mittwoch, 20.3.2024, ab 13 Uhr;
Dienstag, 9.4.2024; ab 13 Uhr;
Freitag, 12.4.2024;
Mittwoch, 17.4.2024;
Freitag, 19.4.2024;
Mittwoch, 24.4.2024

Der Prozess findet im 1. Stock des OLG am Sievekingplatz 3 statt, entweder in Saal 237 oder 288, die Verhandlungen beginnen in der Regel um 9:30 Uhr.

Postadresse und Spendenkonto

Auf der Seite kenanwatch.org werden Informationen in den Sprachen Griechisch, Englisch und Deutsch über den Prozess und die Proteste auf Zypern und in Deutschland angeboten. Kenan Ayaz freut sich über Post. Briefe können auch in anderen Sprachen als Kurdisch oder Türkisch geschrieben werden, da eine Übersetzung gewährleistet ist. Zu beachten ist die Schreibweise des Behördennamens „Ayas“, damit die Briefe auch zugestellt werden.

Kenan Ayas
Untersuchungshaftanstalt Hamburg
Holstenglacis 3
20355 Hamburg

Spendenkonto:
Rote Hilfe e.V. OG Hamburg
Stichwort: Free Kenan
IBAN: DE06200100200084610203