Der Prozess gegen den kurdischen Politiker Kenan Ayaz vor dem Oberlandesgericht Hamburg ist am Mittwoch fortgesetzt worden. Die Stimmung im Gerichtssaal war wie üblich sehr angespannt. Als eine Prozessbeobachterin die schlechte Raumakustik im Bereich für Zuhörer:innen thematisierte, reagierte Richterin Wende-Spors genervt und sagte, die Anlage sei eingeschaltet und die Beschwerde unbegründet. Nach erneuter Beschwerde der Zuschauer:innen wurde die Sitzung unterbrochen. Wende-Spors begab sich selbst in den mit einer Scheibe abgetrennten Bereich, um danach zu verkünden, die Akustik sei einwandfrei. „Es war heute sehr schwierig, dem Verlauf der Verhandlung zu folgen. Offensichtlich waren die Boxen zum Zuschauerraum nicht eingeschaltet oder die Lautstärke war herunter gedreht“, sagte eine Prozessbeobachterin.
Die Richterin verkündete zur Überraschung der Besucher:innen auch, das Gericht sei mit seinem Programm eigentlich fertig. Da die Zeug:innen des Gerichts gehört wurden, möchte der Staatsschutzsenat offensichtlich den Prozess so schnell wie möglich beenden und drängelt entsprechend die Verteidigung, deren Anträge auf weitere Beweiserhebung konsequent abgelehnt werden.
Nachdem das Gericht keinerlei stichhaltigen Beweise für die Anklage hat, geht es nun nur noch um die Akten, die im sogenannten Selbstleseverfahren eingeführt wurden. Dabei handelt es sich um zahlreiche Aktenordner mit Übersetzungen von Telekommunikationsüberwachung und SMS. Problematisch an der Übersetzung dieser Dokumente ist, dass diese von einem einzigen Übersetzer, der offenbar schon viele Jahre für die Polizei in Bremen arbeitet, nicht nur übersetzt, sondern auch willkürlich bearbeitet, kommentiert und sogar verfälscht wurden. Anders als in dem Verfahren gegen den Aktivisten Abdullah Öcalan in Frankfurt am Main wurde die Übersetzung nicht von einem unabhängigen Gutachter geprüft.
Die Verteidigerin Antonia von der Behrens widersprach in einem Antrag der Verwertung vieler der im Selbstleseverfahren eingeführten Akten. Beispielsweise werde beim Vergleich der LKA-Zusammenfassungen und der BKA-Übersetzungen deutlich, dass der LKA-Übersetzer verfälschend zusammengefasst habe, indem er immer dann, wenn vermeintlich von einem höherer Kader die Rede war, „Genosse“ geschrieben hat, und zwar auch dann, wenn dieses Wort gar nicht gefallen sei. Hingegen habe er die tatsächlichen Anreden mit „Genosse“ weggelassen, wenn es sich bei den Gesprächspartnern vermeintlich um Personen ohne bzw. mit einer niedrigen Funktion handelte. Die Übersetzung von „arkadaş“ [Freund/Freundin] mit „Genosse“ wurde hierbei noch nicht einmal moniert.
Die Verteidigung hat seit vielen Verhandlungen scharf kritisiert, dass die angeblichen Beweise gegen Kenan Ayaz der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Wie wichtig dies wäre, zeigt das Beispiel dieser verfälschten Übersetzungen. Dabei handelt es sich um mehr als 30 Aktenordner, die im Selbstleseverfahren eingeführt wurden. Die Öffentlichkeit habe so keine Kontrollfunktion über die Beweislage, kritisieren Prozessbeobachter:innen.
Der Prozess gegen Kenan Ayaz wird am Freitag, dem 16. Februar, um 13 Uhr fortgeführt. Weitere Termine sind am 26. Februar, 11., 12. und 13. März sowie 17.,19. und 24. April.