Vor dem Oberlandesgericht Hamburg fand am Freitag ein weiterer Hauptverhandlungstag im PKK-Prozess gegen Kenan Ayaz statt. Zu Beginn der Verhandlung teilte die Vorsitzende Richterin Wende-Spors mit, dass der von dem Angeklagten gestellte Befangenheitsantrag gegen die drei Richterinnen von einem anderen Senat abgelehnt worden sei. Es sei keine „prozessuale Willkür“ darin zu sehen, dass der Antrag auf Verlesung eines Artikels aus der FAZ von den Richterinnen zweimal abgelehnt wurde. In dem besagten Artikel wird der türkische Präsident Erdoğan zitiert, wie er sich wohlwollend über das Verfahren gegen Ayaz äußert.
Interessanterweise verlasen die Richterinnen anschließend noch einen Beschluss, in dem sie sich erneut für die Ablehnung der Verlesung des Artikels rechtfertigten. In dem Beschluss wird ausgeführt, dass eine mögliche Gefährdung von Kenan Ayaz durch türkische Strukturen nach einer Verurteilung und Haftentlassung für das Verfahren relevant sein könnte, aber nur dann, wenn die Verteidigung mehr als nur Mutmaßungen und Spekulationen anbringen würden.
Die persönliche Aufmerksamkeit Erdoğans und des türkischen Regimes für dieses Verfahren und Kenan Ayaz soll also eine reine Mutmaßung sein, obwohl zahlreiche Beweise dafür vorliegen und auch dem Gericht und der Bundesregierung bekannt ist, dass der türkische Geheimdienst im Ausland und gerade auch in Deutschland operiert. Dies hat sogar der Sachverständige Dr. Seufert bestätigt, der davon sprach, dass der Geheimdienst zum Stolz von Erdogan zu einem operierenden Geheimdienst geworden sei.
Was also hätte Kenan Ayaz für seine Gefährdung vorweisen sollen? Dass er vom türkischen Regime bereits unschuldig inhaftiert und gefoltert wurde, hat er berichtet. Auch dass er im KCK-Hauptverfahren angeklagt ist. Aber ein Dokument mit einer konkreten Ankündigung des türkischen Geheimdienstes, dass man ihm in Europa nach dem Leben trachtet oder ihn einschüchtern will, weil sein Fall in Zypern für zu viel Aufsehen sorgt, hat er natürlich nicht vorzuweisen. Ist es das, was das Gericht von ihm fordert?
„Meine Heimat heißt nicht Osten oder Südosten, sondern Kurdistan“
Bei der Anhörung von Günter Seufert hatte das Gericht Kenan Ayaz mehrmals bei seiner Befragung des Sachverständigen mit dem Hinweis unterbrochen, dass er keine richtige Frage gestellt, sondern eine „Erklärung“ abgegeben habe. Erklärungen könne er nach dem Abschluss der Vernehmung des Sachverständigen abgegeben, dieses Recht habe er.
Am Freitag begann Ayaz, seine Erklärung zu den Ausführungen von Günter Seufert zu verlesen, und wurde vom Gericht erneut unterbrochen. Das Gericht wollte nicht hören, dass der Sachverständige eine historisch grundsätzlich falsche Einordnung der kurdischen Nationalbewegung vornehme, wenn er diese erst mit der Gründung der Republik beginnen lässt und behaupte, dass es vor der PKK kein kurdisches Nationalbewusstsein gegeben habe.
Damit schiebe er eigentlich der PKK die „Schuld“ für den Konflikt zu, dafür nämlich, dass die Kurd:innen sich nicht wie viele der arabischstämmigen Einwohner:innen von Hatay assimiliert hätten. Neben der historischen Unwahrheit verschweige der Sachverständige bei dieser „Analyse“ geflissentlich die massive Diskriminierung, der diese Gruppe bis heute – trotz der teilweisen Assimilierung – ausgesetzt sei, so Ayaz.
In den Teilen seiner Erklärung, die Kenan Ayaz vortragen durfte, legte der den Widerspruch zwischen dem durchaus positiven Bild, das der Sachverständige in seinen Veröffentlichungen über die PKK und die kurdische Bewegung gezeichnet hatte, und seinen Angaben zur PKK in seinem Gutachten, die er aber auf Befragung - insbesondere auch von Kenan Ayaz – relativieren musste, dar. Das Problem der Sicht des Sachverständigen stellte Ayaz beispielhaft auch an dessen gewählten Bezeichnungen für Kurdistan dar: „Der Gutachter bezeichnet mein Heimatland als Osten oder Südosten, so wie es der türkische Staat aufgrund seiner Verleugnungspolitik nennt.“
Weitere Prozesstermine
Der Prozess gegen Kenan Ayaz wird am 26. Februar um 9:30 Uhr fortgeführt. Ayaz wird seine Kritik an dem Gutachten des Sachverständigen Seufert fortsetzen, auch der zypriotische Verteidiger Efstathios Efstathiou wird anwesend sein.
Weitere Verhandlungstermine sind Montag, 11.3.2024, Dienstag, 12.3.2024, Mittwoch, 20.3.2024, Dienstag 9.4.2024 ab 13 Uhr, Mittwoch, 17.4.2024, Freitag, 19.4.2024 und Mittwoch, 24.4.2024. Der Prozess findet im 1. Stock des OLG am Sievekingplatz 3 statt, entweder in Saal 237 oder 288.
Postadresse und Spendenkonto
Auf der Seite kenanwatch.org werden Informationen in den Sprachen Griechisch, Englisch und Deutsch über den Prozess und die Proteste auf Zypern und in Deutschland angeboten. Kenan Ayaz freut sich über Post. Briefe können auch in anderen Sprachen als Kurdisch oder Türkisch geschrieben werden, da eine Übersetzung gewährleistet ist. Zu beachten ist die Schreibweise des Behördennamens „Ayas“, damit die Briefe auch zugestellt werden.
Kenan Ayas
Untersuchungshaftanstalt Hamburg
Holstenglacis 3
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