Nürnberg: „Wir alle sind Banu und Leyla und Murat!“

Seit Wochen finden in Nürnberg wöchentlich Kundgebungen gegen das Ausweisungsverfahren von Banu Büyükavci statt. Das Medya Volkshaus weist darauf hin, dass diese Praxis kein Einzelfall ist, wie Beispiele aus der kurdischen Community zeigen.

Seit Mitte Dezember finden für die Ärztin Banu Büyükavci jeden Mittwoch vor dem Nürnberger Gewerkschaftshaus Solidaritätskundgebungen statt. Organisiert von der Gewerkschaft ver.di, in der Büyükavci aktives Mitglied ist, und unterstützt von vielen Kolleg*innen, diversen Gruppen und Parteien kommen regelmäßig über Hundert solidarische Menschen zusammen, die gegen das von der Ausländerbehörde eingeleitete Ausweisungsverfahren protestieren. „Banu muss bleiben“ lautet die einstimmige Botschaft an die „Stadt der Menschenrechte“, wie sich Nürnberg gerne selbst labelt.

Heute hat das Medya Volkshaus in einer Rede daran erinnert, dass der „Fall Banu“ derzeit zurecht in den Schlagzeilen ist, es jedoch viele ähnliche Fälle gibt: „Auch sie dürfen nicht vergessen werden, denn die Repression gegen Banu ist weder Zufall noch eine Einzelmaßnahme. Sie ist das Ergebnis einer Außenpolitik, die Diktatoren hofiert und sich gerne den ausufernden Terrorismus-Begriff des türkischen Staates zu eigen macht.“

Die Rede des Medya Volkshauses liegt ANF vor, wir veröffentlichen sie hier im Wortlaut:

Liebe Freunde und Freundinnen, liebe Banu,

wir freuen uns, als Medya Volkshaus hier sprechen zu dürfen. Seit eurer Verhaftung haben wir verfolgt, was die deutsche Justiz euch angetan hat und was sie euch weiter antut. Die drohende Ausweisung und womöglich Abschiebung in den türkischen Terrorstaat ist ein weiterer Baustein des Skandals. Angefangen mit der Verfolgungsermächtigung der Bundesregierung, die eure Verhaftung erst ermöglichte, bis hin zur Keule des Aufenthaltsrechts, mit dem die Ausländerbehörde jetzt nachtritt, auch wenn noch gar kein rechtskräftiges Urteil vorliegt…. dies alles beweist, was wir schon lange wissen: Der deutsche Staat arbeitet Hand in Hand mit dem verbrecherischen Regime in Ankara.

Während man derzeit wegen der Inhaftierung des rassistischen Nationalisten Nawalny heult, ist der deutschen Regierung das Schicksal der politischen Gefangenen in den türkischen Foltergefängnissen egal. Wieder mal wird mit einem Hungerstreik für fundamentale Menschenrechte gekämpft, wieder mal verliert der deutsche Außenminister darüber kein Wort bei seinem Blitzbesuch beim Amtskollegen. Die Doppelmoral der Bundesregierung, aber auch der großen Medien hierzulande, ist nicht auszuhalten.

Wir stehen heute auf der Straße wegen Banu, die vom Ausländeramt der „Stadt der Menschenrechte“ ausgewiesen werden soll. Wie oft schon standen wir wegen ähnlicher Fälle schon auf der Straße?

Wir können uns noch gut an den Fall der jungen Kurdin Leyla erinnern. Ihre Mutter wurde in der Türkei politisch verfolgt, floh und erhielt 2003 hier politisches Asyl. Die Teilnahme an genehmigten Demonstrationen und Besuche des kurdischen Kulturzentrums Medya Volkshaus in Nürnberg reichten aus, um die Familie intensiv zu beobachten. Kurd*innen, die sich zu ihrer Identität bekennen, sind in den Augen des Verfassungsschutzes immer verdächtig.
Pünktlich zu ihrem 18. Geburtstag erhielt Leyla von der Stadt Nürnberg einen Ausweisungsbescheid. Die junge Frau „gefährde die innere Sicherheit“ und sei „eine abstrakte Bedrohung“, hieß es. Herr Kuch, oberster Dienstherr der Ausländerbehörde, nannte es „präventive“ Abschiebung. Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit. Die Ausländerbehörde tat wirklich alles, um Leyla das Leben schwer zu machen: Immer wieder Anrufe bei Ausbildungsstellen, um das Mädchen zu diskreditieren, Residenzpflicht, dazu ständige Observationen und Einbestellung zu Sicherheitsgesprächen. Der Fall sorgte damals für überregionales Aufsehen, und nur dank intensiver Öffentlichkeitsarbeit konnte Leyla schließlich bleiben. Mittlerweile ist sie examinierte Krankenschwester.

Glaubt jetzt nicht, der „Fall Leyla“ sei ein Einzelfall. Wir wollen von einem zweiten Fall erzählen, der uns weiterhin beschäftigt. Er zeigt, wie das Nürnberger Ausländeramt immer wieder die Lebensgrundlage von Familien zerstört. Es geht um den Kurden Murat Akgül. Auch sein Fall ging durch die Presse. Murat lebte 20 Jahre lang mit seiner Familie in Nürnberg und hatte schon längst eine Niederlassungserlaubnis. Im Februar 2019 erhielt er Post von der Ausländerbehörde: Ausweisungsverfügung, Androhung einer Abschiebung, Meldeauflagen, er durfte das Stadtgebiet nicht verlassen, was in seinem Fall eine Berufstätigkeit mit Einsätzen außerhalb der Stadt unmöglich machte. Bei Verstoß gegen die Auflagen wurde ein Zwangsgeld angedroht.

Der Grund all dieser Maßnahmen: Murat zeigte im Sommer 2018 eine YPG-Fahne – ein  Verstoß gegen das Vereinsgesetz. Im obligatorischen „Sicherheitsgespräch“ konfrontiert man Kurd*innen gerne mit einer herbei-phantasierten Nähe zur Arbeiterpartei Kurdistans, die seit 1993 in Deutschland verboten ist. Beweise dafür braucht es bei politisch aktiven Kurd*innen nicht.

Im Mai 2019 wurde Murat im Morgengrauen abgeholt und in die Türkei abgeschoben. Da ihm dort Gefängnis und Folter drohen, machte er sich umgehend auf den gefährlichen Weg zurück und beantragte Asyl. Er landete im damaligen Erstaufnahmelager Zirndorf. Wegen unerlaubter Einreise nach einer vorherigen Ausweisung kam er dann in Untersuchungshaft. „Fluchtgefahr“ hieß es, und jeder fragte sich, wohin Murat denn fliehen sollte.

Nach einem Hungerstreik hatte die Haftbeschwerde letztlich Erfolg und Murat kam frei. Aber er ist nicht frei. Seit mittlerweile drei Jahren kämpft er in verschiedenen Ankerzentren um seine Asyl-Anerkennung. In Augsburg-Gablingen, seiner vorletzten Station, gab es wegen krasser Überbelegung einen Corona-Ausbruch. Auch Murat wurde infiziert und hat es zum Glück gut überstanden. Dann wurde er wieder verlegt. Heute ist er in Gersthofen und wartet und wartet….

Das waren jetzt nur zwei Fälle, die wir in Erinnerung rufen wollten. Leider kennen wir noch viel mehr. Es sind unsere Freunde und Freundinnen, deren Leben – und immer auch das ihrer Familien – zerstört wird.

Wir sind der Meinung, dass noch viel mehr Leute davon erfahren müssen, wie Menschen hier behandelt werden, die den türkischen Staat als das bezeichnen, was er ist: eine faschistische Diktatur. Erst vorgestern hat Außenminister Maas bei seinem Besuch in Ankara wieder seine freundschaftliche Beziehungen mit Erdogan betont. Solange die deutsche Außenpolitik die türkische Kriegsmaschinerie durch Waffenlieferungen unterstützt, über Menschenrechtsverletzungen hinwegsieht und diejenigen als „Terroristen“ verfolgt, die die Wahrheit über das Regime in Ankara aussprechen, sie dorthin abschieben will, solange werden wir uns immer wieder auf der Straße einfinden.

Wenn die Ausländerbehörden unsere Freunde und Freundinnen als „Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ bezeichnen, dann heißt unsere Antwort: Lasst uns alle eine Gefahr sein für die Doppelmoral der Politik, die mit Diktatoren kuschelt! Ja, wir wollen eine Gefahr sein für die Faschisten dieser Welt und für alle, die sie unterstützen.

Wir sind uns sicher, dass nur Solidarität hilft. Wir alle sind Banu und Leyla und Murat!