Nürnberger Stadtratskandidat an Seite der kurdischen Bewegung

Im März finden in Bayern Kommunalwahlen statt. Der Weißenburger Stadt- und Kreisrat Erkan Dinar ist in Nürnberg im Wahlbündnis Linke Liste als Kandidat des kurdischen Gesellschaftszentrums aufgestellt. Wir haben mit ihm über seine Arbeit gesprochen.

Bei den Kommunalwahlen in Nürnberg am 15. März tritt das Medya Volkshaus e.V. im Wahlbündnis Linke Liste mit einem eigenen Kandidaten an. Erkan Dinar kämpft auf Listenplatz 3 um den Einzug in den Nürnberger Stadtrat. Derzeit ist der gelernte Kaufmann und jetzige Schichtarbeiter in der Keramikindustrie noch Stadt- und Kreisrat der Partei der Linken in Weißenburg. Nach seinem Umzug nach Nürnberg will er seine kommunalpolitische Arbeit fortführen und sich als Vertreter des Medya Volkshauses für die Interessen der über 10.000 Kurdinnen und Kurden in der Metropolregion einsetzen.

ANF fragte Erkan Dinar nach seinen Vorhaben, Zielen und Erfahrungen.

Seit wann sind Sie aktiv in der Kommunalpolitik und was war der Auslöser für Ihr politischen Engagement?

Ich bin seit meinem 18. Lebensjahr kommunalpolitisch aktiv. Anlass war, dass ich mit 17 Jahren auf einer Bürgerversammlung eine Frage stellen wollte, zu einer Ausweitung der Öffnungszeiten vom CVJM-Jugendzentrum. Ich wurde vor Fragestellung darüber belehrt, das nur EU-Bürger ein Fragerecht auf bayerischen Bürgerversammlungen haben. Daraufhin wurde gönnerhaft trotzdem eine Abstimmung durchgeführt und ich durfte meine Frage stellen. Niemand sonst wurde zu seiner Staatsangehörigkeit befragt. Später habe ich für mich selber realisiert, dass das nicht in Ordnung war, dass meine Hautfarbe den Ausschlag gab für die Belehrung des Oberbürgermeisters.

Welche Vorhaben, die Sie angestoßen haben, waren Ihnen besonders wichtig?

Als Stadtrat habe ich mir selber drei Schwerpunkte gegeben, welche ich in den letzten sechs Jahren immer wieder mit Anträgen ins Stadtparlament eingebracht habe. Das war die Forderung nach einem kommunalen und sozialen Wohnungsbau, die Schaffung von Infrastruktur für Radfahrer*innen sowie der Schutz von Bäumen.

Sie sprechen mit Ihren Botschaften speziell junge Menschen an. Auch auf Kundgebungen von ‚Fridays for Future‘ konnte man Sie schon reden hören. Was haben Sie in Ihrem Wahlprogramm für die Jugend zu bieten?

Ich war lange Jahre ehrenamtlich in der Jugendarbeit aktiv: Viele Jahre als stellvertretender Vorsitzender beim Kreisjugendring Weißenburg-Gunzenhausen zur Förderung der Vereinsarbeit im Zusammenhang mit Jugendlichen, bei der DGB Jugend zur Organisierung von Auszubildenden in Betrieben, bei den Falken zur Integration von Kindern und Jugendlichen mit Flüchtlingsstatus, als Vorsitzender eines selbstverwalteten Jugendzentrums zur Organisierung von Konzerten sowie Kulturarbeit. In all der Zeit war es für mich wichtig, die Jugendlichen dazu zu bringen, für ihre Rechte einzustehen. Sie sollen lernen, selber anzupacken und sich für ihre Interesse einzusetzen.

Ganz oben auf der Agenda steht deshalb erst einmal die Jugendlichen zu organisieren. Wir schlagen dazu die Einrichtung eines Jugendparlaments für Nürnberg vor. Dafür müssen Gelder und Räume bereit gestellt werden. Das Jugendparlament muss die Aufgabe haben, die Interessen der Jugendlichen zu vertreten, aber auch ganz konkret Gelder für Projekte einteilen können. Man sollte nicht bei jedem kleinen Projekt zur Stadtverwaltung rennen müssen.

Sie sind Türke und Kandidat des kurdischen Vereins Medya Volkshaus e.V. Auch in Weißenburg hatten Sie Kontakte zu Kurd*innen. Wie kam es dazu?

Meine Eltern kommen aus der Provinz Kırşehir. Meine erste Erfahrung mit Kurd*innen hatte ich mit 16 Jahren, als unser Ethiklehrer seine Klasse zur kurdischen Familie Yıldız mitnahm. Sie waren in Weißenburg im Kirchenasyl. Ich kam dort damals mit einer Anti-Stimmung an. Seitdem hat sich meine Sicht um 180 Grad geändert.

Trotzdem wollte ich mich über viele Jahre hinweg nicht zur Politik in der Türkei äußern. Dann kam jedoch der Gezi-Park-Protest und ich nahm als Blogger an den Auseinandersetzungen teil. An vorderster Linie der Barrikaden standen immer die Kurdinnen und Kurden. Sie schützten mit ihren Körpern über viele Wochen hinweg die Menschen im Park. In dieser Zeit habe ich mir selber das Versprechen gegeben, auch öffentlich an der Seite der kurdischen Bewegung stehen zu wollen. Zurück in Weißenburg habe ich dann die Kurdisch-Deutsche Freundschaftsgesellschaft gegründet. Seit 2014 trete ich auch öffentlich als selbst ernannter Lobbyist für die kurdische Bürgerrechts-, Demokratie- sowie Freiheitsbewegung auf Podiumsveranstaltungen, Kundgebungen und Versammlungen auf.

Die Freiheitsbewegung fußt auf den Pfeilern Basisdemokratie, Ökologie, Frauenbefreiung. Wie setzen Sie diese Paradigmen in ihrer politischen Arbeit um?

Bereits meine ersten Stadtratsanträge waren darauf ausgerichtet, die Bevölkerung transparent über die Politik der Stadtverwaltung zu informieren. Ich wollte die Online-Übertragung von Stadtratssitzungen, die Veröffentlichung von Stadtratsprotokollen im Internet sowie die Einrichtung einer Bürgerfragestunde direkt am Anfang einer Stadtratssitzung. Ziel war es, durch allen zugängliche Information mehr öffentliche Diskussionen anzufachen und zu strittigen Punkten auch die Gründung von Bürgerinitiativen zu initiieren. Die Leute sollten sich einmischen.

Im Stadtrat von Weißenburg mache ich grünere Politik als die Grünen. Ständig habe ich ökologische Anträge gestellt für eine Baumschutzverordnung, für ein Integriertes Klimaschutzkonzept, für Blühwiesen auf öffentlichen Flächen, für Artenschutzversammlungen, für die Förderung von Lastenfahrrädern oder auch für den Schutz vom Stadtwald vor Steinabbau.

Als einziger Stadtrat fordere ich bei der Stadtverwaltung die Einsetzung einer Gleichstellungsbeauftragten, denn für die anderen Parteien spielen die Gleichstellung von Mann und Frau in der Stadtverwaltung keine Rolle. In meinen Augen ein falsches Signal vor allem an die Kolleginnen.

In Nürnberg waren in der letzten Zeit des Öfteren Schlagzeilen von Repressionen gegenüber Kurd*innen zu lesen. Es gab Prozesse wegen des Verbots von YPG und YPJ-Fahnen. Der Kurde Murat Akgül wurde abgeschoben. Das Nürnberger Ausländeramt ist bekannt für seine restriktiven Entscheidungen, wenn es um Kurd*innen geht. Wie werden Sie damit umgehen, wenn Sie gewählt werden?

Das Aufenthaltsrecht für Migrant*innen wird immer weiter verschärft. Gewiss die Gesetze werden an anderer Stelle beschlossen, aber jede Behörde hat auch Auslegungskompetenzen. Und diese werden derzeit gerade im Bezug auf die Kurdinnen und Kurden nicht angewandt. Ich möchte also wissen, inwiefern hier der lange Arm des Erdoğan-Regimes bis in die Behörden von Nürnberg reicht. Institutionellen Rassismus darf es nicht mehr geben. Schon gar nicht bei einer Stadt der Menschenrechte mit einem Anteil von über 40 Prozent an Migrant*innen an der Gesamtbevölkerung.

Nürnberger*innen wurden bzw. werden in der Türkei mit Ausreisesperren festgehalten. Sehen Sie auf kommunaler Ebene eine Möglichkeit der Intervention?

Es ist schon ein Unterschied, wenn Familienmitglieder die politische Geiselhaft von Nürnbergerinnen und Nürnberger in der Türkei öffentlich anklagen oder ein Oberbürgermeister sowie ein Stadtrat als Gesamtgremium. Das türkische Konsulat in Nürnberg liest alles im Zusammenhang mit der Türkei genau mit. Die Stadtführung und auch die Stadtbevölkerung muss zusammenhalten, wenn einer seiner Bürger*innen nicht wieder zurückkehren darf.

Sie sind auch aktiv in Bündnissen gegen rechts. Im Fokus sind dort deutsche Faschisten. Wissen Sie von Aktivitäten türkischer Faschisten oder Nationalisten in Nürnberg? Gibt es dagegen auch eine Zusammenarbeit, an denen Sie beteiligt sind?

Ich war zwölf Jahre lang Sprecher vom Bündnis gegen Rechts im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen. In dieser Zeit habe ich sehr viel aushalten müssen. Angriffe auf mein Haus, Morddrohungen, Einschüchterungen bis hin zu Stalking durch Rechtsradikale. Ich war froh, diese wichtige Arbeit vor drei Jahren abgegeben zu haben, denn es geht einem schon sehr an die Substanz. Auch da man keinerlei Unterstützung und Schutz von den Sicherheitsbehörden bekommt. In Nürnberg orientiere ich mich neu und muss mich erst einmal in die Stadtgesellschaft einfinden. Ich bin jedoch froh, dass es auch in Nürnberg durch das ‚Bündnis Nazistopp‘ ein aktives zivilgesellschaftliches Netzwerk gegen rechte Umtriebe gibt.

Können Sie zum Schluss drei Ziele nennen, die Sie nach einer Wahl in den Nürnberger Stadtrat am vordringlichsten angehen wollen?

Nach der Wahl werde ich möglichst viele Institutionen und Vereine aufsuchen. Zusätzlich wird es Bürgersprechstunden geben. Ich werde meine Zeit nicht nur in den Ausschüssen und im Stadtrat absitzen, sondern direkt mit den Ohren bei den Problemen der Menschen sein. Darauf aufbauend wird es dann Antragsinitiativen geben. Und natürlich werde ich meine drei bisherigen Schwerpunkte, sprich den sozialen und kommunalen Wohnungsbau, die Schaffung von Infrastruktur für Radfahrer*innen sowie den Baumschutz auch im Stadtrat von Nürnberg weiter einbringen.

Herr Dinar, wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei der Wahl und für Ihre weitere politische Arbeit.