Nürnberg: Seebrücke statt Seehofer

Die Initiative Seebrücke fordert den Stadtrat in Nürnberg auf, sich für die Evakuierung von Geflüchteten einzusetzen. Die Ablehnung kommunaler Initiativen zur Rettung von Menschenleben durch Innenminister Seehofer dürfe nicht hingenommen werden.

Im Juli 2019 ist die Stadt Nürnberg dem Bündnis „Sichere Häfen" beigetreten und hat sich damit als eine von mittlerweile 169 Städten bereit erklärt, aus Seenot gerettete Menschen aufzunehmen.

Außer diesem Lippenbekenntnis ist seitdem nichts passiert. Jetzt fordert die Seebrücke Nürnberg den Stadtrat in einem Offenen Brief auf, tätig zu werden und sich pro-aktiv für die Evakuierung Geflüchteter einzusetzen. Dies soll auch als Test gelten, ob die neue CSU-Mehrheit im Stadtrat die Linie des mittlerweile aus dem Amt geschiedenen Oberbürgermeisters Dr. Ulrich Maly (SPD) fortsetzen wird. Der setzte sich noch im Juni 2019 mit elf weiteren Oberbürgermeistern für die zusätzliche Aufnahme von Geflüchteten in Deutschland ein. In einem an den neuen CSU-Oberbürgermeister gerichteten Appell heißt es: „Wir erwarten von Ihnen, Herrn König, ein eindringliches politisches Signal Richtung München zu senden, dass Nürnberg bereit ist, aus Seenot gerettete Geflüchtete und Menschen aus den griechischen Lagern aufzunehmen.“

Seehofer verweigert Zustimmung

Wenn Bundesländer oder Städte aus eigener Initiative hin Geflüchtete aufnehmen wollen, bedarf dies derzeit immer noch der Zustimmung des Bundesinnenministeriums. Die Länder Berlin und Thüringen wollten ein eigenes Landesaufnahmeprogramm starten und Geflüchteten aus griechischen Lagern humanitären Schutz gewähren. Bundesinnenminister Horst Seehofer verweigerte bislang seine Zustimmung. Die Länder erwägen jetzt juristisch gegen diese Ablehnung vorzugehen. Da eine Klage aber viel zu lange dauert und die Lage der Schutzsuchenden an den Außengrenzen der Europäischen Union sich dramatisch zuspitzt, schlägt Nordrhein-Westfalen vor, zeitnah eine Bund-Länder-Konferenz einzuberufen. Ziel ist eine größere Eigenverantwortung der Bundesländer bei der Aufnahme von Geflüchteten und lediglich eine Informationspflicht gegenüber dem Innenministerium.

Die Aktivist*innen der Seebrücke rufen jetzt die Räte in Nürnberg auf, darauf hinzuwirken, dass die bayrische Landesregierung die Initiative im Bundesrat unterstützt und ein eigenes Aufnahmeprogramm auflegt.

Niemand darf zurückgelassen werden

Unter dem Hashtag #LeaveNoOneBehind (Niemand darf zurückgelassen werden) setzt sich das zivilgesellschaftliche Bündnis Seebrücke seit langem für Schutzprogramme für Geflüchtete in der EU und an deren Außengrenzen ein. Anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft forderte die Initiative von Kanzlerin Angela Merkel die Aufnahme eines staatlichen Seenotrettungsprogramms, die Schaffung legaler Fluchtwege nach Europa, Auflösung der Flüchtlingslager auf den ägäischen Inseln sowie die Sanktionierung illegaler Push-Backs auf dem Mittelmeer. Die deutsche Beteiligung an Menschen gefährdenden Aktivitäten im Rahmen der Frontex-Einsatzes müsse eingestellt sowie die Aufnahme von Geflüchteten in Deutschland ausgebaut werden.

Aufschrei der Verzweifelten

Wie desperat die Lage der Schutzsuchenden in den griechischen Camps ist, konnte Anfang August auch der CDU-Ministerpräsident aus Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, erfahren, als er medienwirksam dem überfüllten Flüchtlingslager Moria einen Besuch abstattete. Dort empfingen ihn die Schutzsuchenden mit Sprechchören „Free Moria" und rüttelten an den Zäunen. Laschet musste „in Sicherheit“ gebracht werden. Die Menschen blieben zurück in ihrem Leben fernab jeder Sicherheit. Nach diesem misslungenen Auftritt meinte der Ministerpräsident, er habe „den Aufschrei der Verzweifelten erlebt."

Der bundesdeutschen Außenpolitik geschuldet

Dass sich auf EU-Ebene in der Flüchtlingspolitik nichts bewegt, hat nicht nur Gründe in der Blockade der einem völkischem Nationalismus verpflichteten Länder wie etwa Polen oder Ungarn, sondern ist insbesondere der Außenpolitik der Bundesregierung geschuldet, die eine gnadenlose Austeritätspolitik der EU vor allem gegenüber Griechenland voran trieb. Die soziale Versorgung der Gesellschaft wurde zerstört, und darunter leiden die Schwächsten, zumeist die Geflüchteten, die in Elendslagern eingesperrt werden. Auch der sogenannte EU-Türkei-Deal kam in erster Linie auf Betreiben der Bundesregierung zustande. Ausgerechnet einem Despoten wie Recep Tayyip Erdoğan wurde bei der Abwehr von Geflüchteten die Rolle des Türstehers zugewiesen. Mit der Drohung, das Abkommen platzen zu lassen, erpresste das AKP/MHP-Regime nicht nur immer mehr Gelder, sondern erkaufte sich das Schweigen der EU zur türkischen Expansionspolitik. Die europäische Union nimmt hin, dass Ankara die Schutzsuchenden für seine Kriegspolitik instrumentalisiert. Hinzu kommt in Deutschland, dass die Regierungsparteien getrieben sind von der Angst, Wählerstimmen an rechte und faschistische Parteien zu verlieren und sich deshalb in ihrer Asyl- und Ausländerpolitik durch immer härtere Maßnahmen gegen Schutzsuchende übertrumpfen wollen.

Nach Lust und Laune über Menschenleben entscheiden

Gegen diese inhumane Politik setzt sich die breite zivilgesellschaftliche Bewegung „Seebrücke“ ein. Sie hat die europäische Abschottungspolitik und den schmutzigen Deal mit der Türkei immer wieder verurteilt und fordert sichere Fluchtwege, eine zivile Seenotrettung und eine dauerhafte Aufnahme von geflüchteten Menschen. Bei den derzeitigen bundesweiten Aktionen der Bewegung geht es nach Sebastian Koch von der Seebrücke darum, Berlin und Thüringen bei ihren Aufnahmeprogrammen zu unterstützen und zumindest einige Hundert Schutzsuchende aus den menschenunwürdigen Camps wie Moria zu evakuieren. „Mit der Ablehnung verhindert der Innenminister ganz konkret, dass Menschenleben gerettet werden, und stellt sich gegen den demokratischen Willen der Länder und hunderter Kommunen”, so Koch. Liza Pflaum, eine Sprecherin der Seebrücke, fügt hinzu: „Seehofer darf nicht nach Lust und Laune über das Leben hunderter Menschen entscheiden.”

Kundgebung in Nürnberg

Die heutige Kundgebung der Seebrücke in Nürnberg vor der „Straße der Menschenrechte“ stieß bei der Bevölkerung auf reges Interesse. Sich vollmundig als „Stadt des Friedens und der Menschenrechte“ zu präsentieren und die CSU-Linie rassistischer Abschottung eines Horst Seehofers zu tolerieren, passe nicht zusammen, so der einstimmige Tenor der Redner*innen. Eine Stadt, die sich um den Titel „Kulturhauptstadt 2025" bewirbt und in Hochglanzbroschüren zur „Weltoffenheit“ bekennt, dürfe weder einen Abschiebeflughafen dulden noch eine Ausländerbehörde, die Asylsuchende drangsaliert. Der Mitgliedschaft Nürnbergs im Städtebündnis der Seebrücke müssten jetzt Taten folgen, die der Rettung von Schutzsuchenden oberste Priorität einräumen.

An der Kundgebung nahmen unter anderem teil Vertreter*innen der Interventionistischen Linken (iL), Fridays For Future, Come.Fight.Stay.Together, dem Bayrischen Flüchtlingsrat, der PdL und dem Medya Volkshaus.