Eine Delegation aus der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien hat am Mittwoch das Büro des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) in Genf besucht und die Forderung von Millionen Menschen nach Freilassung und Aufhebung der Isolation von Abdullah Öcalan übermittelt. Bei dem Gespräch wurden auch die Angriffe der Türkei auf Nordostsyrien thematisiert.
Die Delegation vertritt die Volksinitiative „Freiheit für Abdullah Öcalan“, die zu Beginn des Jahres eine länderübergreifende Unterschriftenkampagne für den auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftierten kurdischen Vordenker gestartet hat. Abdullah Öcalan gilt als Schlüsselfigur für eine Lösung der kurdischen Frage. Der Umgang mit ihm ist der Gradmesser für eine Lösungsperspektive in dem seit Jahrzehnten andauernden Krieg gegen das kurdische Volk, der weit über die Grenzen der Türkei hinaus geführt wird. Die Kampagne wurde nicht nur in der nordostsyrischen Autonomieregion, sondern auch in den vom Regime kontrollierten Gebieten Syriens, der Kurdistan-Region Irak (Südkurdistan) und im Libanon geführt.
2.646.211 Unterschriften übergeben
Bereits am Dienstag fand ein Gespräch der Delegation mit dem Komitee des Europarats zur Verhütung von Folter (CPT) in Straßburg statt, um die innerhalb von drei Monaten für die Freiheit von Abdullah Öcalan gesammelten 2.646.211 Unterschriften übergeben. Dasselbe Dossier überreichten Îdrîs Saîd als Ko-Sprecher der Initiative und Xanim Eyo vom Verband der Anwältinnen und Anwälte Nordostsyriens auch im Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte.
Sit-In vor dem Genfer UN-Sitz
Nach dem Gespräch nahm die Delegation an dem Sit-In teil, der von der Demokratischen Kurdischen Gemeinde in der Schweiz (CDK-S) im Rahmen der Kampagne „Zeit für Freiheit“ (Dem dema azadiyê ye) seit Januar 2021 jeden Mittwoch vor dem UN-Sitz in Genf durchgeführt wird. Mit der Aktion werden die Vereinten Nationen an ihre Verantwortung gegenüber dem kurdischen Volk erinnert, zentrale Forderung ist die physische Freiheit von Öcalan. Der seit 1999 in der Türkei inhaftierte PKK-Begründer ist weiterhin der Repräsentant der kurdischen Freiheitsbewegung und wird auf der Gefängnisinsel Imrali vollständig isoliert. Bei dem Sit-In der kurdischen Gemeinde in Genf werden jeden Mittwoch aktuelle Ereignisse zur Sprache gebracht, meistens geht es um Massaker und Repression in Kurdistan.
Selma Sürer: „Seit 29 Monaten kein Lebenszeichen“
Eingeleitet wurde die Mahnwache mit einer Gedenkminute für die Gefallenen des kurdischen Befreiungskampfes. Danach hielt Selma Sürer, Ko-Vorsitzende der CDK-S, eine Ansprache, in der sie darauf hinwies, dass es von Abdullah Öcalan und seinen drei Mitgefangenen seit 29 Monaten kein Lebenszeichen mehr gibt. Der letzte Kontakt war ein aus unbekannten Gründen nach wenigen Minuten unterbrochenes Telefonat mit seinem Bruder Mehmet Öcalan im März 2021. Das Anwaltsteam vom Rechtsbüro Asrin hat seinen Mandanten seit vier Jahren nicht gesehen, auch eine schriftliche Kommunikation besteht nicht.
„Wir kämpfen auch in der Diaspora weiter“
„Das kurdische Volk weicht angesichts der auf allen Ebenen herrschenden Unterdrückung keinen Schritt zurück und hält an seinem Widerstand fest. Wir sind aus unserer Heimat vertrieben worden, aber unseren Kampf setzen wir auch in der Diaspora fort“, sagte Selma Sürer. „Der türkische Staat benutzt die Isolation als Druckmittel, und auf derselben Grundlage werden die Besatzungsangriffe verstärkt fortgesetzt. Wir kämpfen weiter für eine Nachricht von Abdullah Öcalan und für seine Freiheit.“
Isolationsfolter
Im Anschluss berichtete Îdrîs Saîd über den Besuch beim OHCHR, dass über die gegen Öcalan angewandte Isolationsfolter gesprochen wurde. Die Haftbedingungen auf Imrali und das Verbot von Anwaltsbesuchen verstoßen gegen die 2015 aktualisierten Standard-Mindestregeln der UN für die Behandlung von Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln), gegen die Empfehlungen des europäischen Antifolterkomitees CPT und selbst gegen das türkische Vollzugsgesetz. „Abdullah Öcalan ist seit zwei Jahren und fünf Monaten vollständig isoliert. Wir haben am Dienstag dem CPT und jetzt dem UN-Hochkommissar mehr als zweieinhalb Millionen Unterschriften für seine Freilassung übergeben“, sagte Saîd.
Angriffe auf Rojava: „Diese Tragödie muss aufhören“
Die Rechtsanwältin Xanim Eyo berichtete, dass es in dem Gespräch auch um die Situation in Nord- und Ostsyrien ging. Der türkische Staat begehe in den mit Söldnertruppen besetzten Gebieten um Efrîn, Serêkaniyê (Ras al-Ain) und Girê Spî (Tall Abyad) weiterhin Kriegsverbrechen und vertreibe die ursprüngliche Bevölkerung, erklärte Eyo: „Wir fordern, dass die Unterstützung für den türkischen Staat und die von ihm kontrollierten Banden eingestellt wird. Unsere Region wird ununterbrochen angegriffen. Immer mehr Menschen sterben durch Drohnenangriffe. In dem Gespräch haben wir gefordert, dass diese Tragödie aufhört.“