Das türkische Parlament hat einen Antrag der Demokratischen Partei der Völker (HDP) auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der Kobanê-Proteste im Oktober 2014 abgelehnt. Die Abgeordneten von der islamistisch-konservativen Regierungspartei AKP und dem ultranationalistischen Koalitionspartner MHP stimmten am Donnerstag in Ankara gegen den Antrag. Damit rückt die lückenlose Aufarbeitung der sogenannten „Kobanê-Unruhen“ auf politischer und juristischer Ebene in die Ferne.
Am Abend des 6. Oktober 2014 war es der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) nach 21 Tagen Widerstand der Verteidigungseinheiten YPG/YPJ sowie der Bevölkerung von Kobanê gelungen, ins Zentrum der westkurdischen Stadt einzudringen. Angesichts der kritischen Situation hatte die HDP die Öffentlichkeit zu einem unbefristeten Protest gegen die türkische Regierung aufgerufen, da diese ihre Unterstützung für den IS nicht beendete.
Im Zuge dessen kam es in vielen Städten zu regelrechten Straßenschlachten zwischen Sicherheitskräften sowie paramilitärischen Verbänden wie Dorfschützern und Anhängern der radikalislamistischen türkisch-kurdischen Hisbollah (Hizbullah) und den Demonstranten. Die Zahl der dabei getöteten Personen, bei denen es sich größtenteils um Teilnehmende des Aufstands handelte, schwankt zwischen 46 (IHD) und 53. Die Regierung spricht lediglich von 37 Toten. Laut einem Bericht des Menschenrechtsvereins IHD wurden 682 Menschen bei den Protesten verletzt. Mindestens 323 Personen wurden verhaftet. Im Verlauf des Aufstands kam es zudem zu Brandanschlägen auf Geschäfte sowie öffentliche Einrichtungen.
Vor zwei Wochen ist in der Türkei Untersuchungshaft gegen siebzehn hochrangige HDP-Vertreter, darunter ehemalige Abgeordnete und Bürgermeister, angeordnet worden. Ihnen wird die versuchte Zerstörung der Einheit und Integrität des Staates, Körperverletzung in hunderten Fällen, Mord, Plünderung, Anstachelung zur Gewalt und Freiheitsberaubung vorgeworfen. Hintergrund ist ihre vermeintliche Beteiligung an den Demonstrationen Herbst 2014.
„Es ist mehr als sonderbar, dass sich die Justiz trotz dieses beachtlichen gesellschaftlichen Ereignisses nicht einschaltete. Auch ist es mehr als verwunderlich, dass Ermittlungen nur im Zusammenhang mit fünf Todesfällen aufgenommen worden sind, während lediglich drei dieser Fälle vor Gericht kamen“, heißt es im Antrag der HDP für einen Untersuchungsausschuss in der Causa Kobanê-Proteste. Bereits die ehemaligen HDP-Vorsitzenden Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş waren wegen demselben Vorwurf verhaftet worden.