Istanbul: „Kein Fußbreit den Zwangsverwaltern“
Unter dem Motto „Kein Fußbreit den Zwangsverwaltern“ haben zehntausende Menschen in Istanbul gegen die Amtsenthebung und Verhaftung des Bürgermeisters von Colemêrg protestiert.
Unter dem Motto „Kein Fußbreit den Zwangsverwaltern“ haben zehntausende Menschen in Istanbul gegen die Amtsenthebung und Verhaftung des Bürgermeisters von Colemêrg protestiert.
Unter dem Motto „Kein Fußbreit den Zwangsverwaltern“ haben zehntausende Menschen in Istanbul am Sonnabend gegen die Amtsenthebung und Verhaftung des Bürgermeisters der kurdischen Stadt Colemêrg (tr. Hakkari) protestiert. „Wir bekräftigen unsere Selbstverpflichtung, überall im Land gegen antidemokratische, autoritäre und faschistische Einstellungen und Verhaltensweisen einzutreten und unsere Rechte und Freiheiten zu verteidigen“, betonte Günnü Ertaş Ince in einer Erklärung im Namen der Kräfte für Arbeit, Frieden und Demokratie, die zu der Kundgebung auf dem Kartal Meydanı aufgerufen hatten. Dem Bündnis gehören diverse Parteien, Bewegungen und Initiativen an, darunter auch die DEM-Partei und die kurdische Frauenbewegung TJA.
„Der Kampf gegen die Zwangsverwaltung ist ein Kampf gegen das System a la Erdogan“, sagte Ince. Er könne nur gewonnen werden, indem alle freiheitlichen und progressiven Kräfte an einem Strang ziehen. „Deshalb freuen wir uns über den großen Rückenwind für dieses Vorhaben“, erklärte die Aktivistin mit Blick auf die Menschenmenge auf dem Platz in Kartal, der förmlich aus allen Nähten platzte. Gemeinsam und Schulter an Schulter werde der Widerstand gegen den „obersten Zwangsverwalter“ und seine faschistische Denkweise erfolgreich sein. Eine andere Option gäbe es nicht.
Im Vorfeld der Kundgebung gab es noch eine Demo auf den Kartal Meydanı
„Seit das Regime einen mutmaßlichen Putsch nutzte, auf den es mit der Ausrufung von Ausnahmezustand, Repression und Verfolgung der Opposition antwortete, um endgültig eine faschistische Diktatur zu errichten, wird die Bevölkerung zusehends mit Gewalt entrechtet“, so Ince. „Gleichzeitig findet eine nationalistische Mobilisierung statt, um zu polarisieren und die Zersplitterung der Gesellschaft zu vertiefen. Alle werden ihrer Rechte beraubt; das kurdische Volk, Frauen, junge Menschen, Ältere, Werktätige, LGBTIQ+, Tiere, unsere Natur. Linke, sozialistische und radikal-demokratische Sektoren; politische Parteien, Gewerkschaften, Berufsverbände, Frauenorganisationen, Studierendenvereinigungen, Klimabewegungen – praktisch die gesamte Zivilgesellschaft – werden durch Terror ausgeschaltet. Denn nur auf diese Weise kann das AKP/MHP-Regime seine Existenz garantieren. Für die Freiheit aller, für die Überwindung dieser Krisen, für das Ende des Krieges müssen wir gemeinsam kämpfen.“
Der DEM-Politiker Mehmet Sıddık Akış, der bei der Kommunalwahl im März zum Ko-Bürgermeister von Colemêrg gewählt worden war und Anfang Juni inhaftiert und abgesetzt wurde, sandte eine Botschaft an die Kundgebung. Darin bedankte er sich bei allen Menschen, die den „Willen des Volkes“ auf der Straße verteidigten und bei den Protesten gegen die Zwangsverwaltung in Colemêrg ihre eigene Freiheit aufs Spiel setzten. „Ich habe zeit meines Lebens für Frieden, Freiheit und Geschwisterlichkeit in diesem Land gekämpft. Diesen Widerstand bin ich bereit auch hinter den Gefängnismauern auszutragen. Ich bereue nichts.“ Bei der Verlesung des Briefs gab es aufgrund heftiger Parolen wie „Tayyip tritt zurück“, „Zwangsverwalter verschwinde“, Freiheit für Abdullah Öcalan“ und „Jin Jiyan Azadî“ immer wieder Unterbrechungen.
Zwei weitere Botschaften aus dem Gefängnis kamen von der ehemaligen HDP-Vorsitzenden Figen Yüksekdağ, die im Kobanê-Verfahren zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, und dem Rechtsanwalt Can Atalay, der zu den sogenannten Gezi-Gefangenen gehört. Beide verurteilten die Einsetzung eines Zwangsverwalters in Colemêrg anstelle des rechtmäßig gewählten Bürgermeisters und forderten seine Freilassung. Viyan Tekçe, die andere Ko-Bürgermeisterin der kurdischen Stadt, betonte: „Das Treuhänderregime ist ein Problem aller in diesem Land, nicht nur für die Menschen in Colemêrg. Wenn der Volkswille von dieser Regierung nicht respektiert wird, müssen sich alle erheben und die Feinde der Demokratie zurechtweisen.“ Am heutigen Sonntag startet ein mehrtägiger Sternmarsch gegen die Zwangsverwaltung nach Colemêrg. Einige Etappenziele sind Dîlok, Meletî, Mereş, Semsûr, Riha, Êlih, Amed, Sêrt, Çewlîg, Dersim, Xarpêt, Mêrdîn, Şirnex, Qers, Erdexan, Reşqelas, Erzirom, Agirî, Bedlîs und Mûş.