Istanbul: 30 Verhaftungen in HDK-Verfahren

In Istanbul sind 30 Menschen wegen des vermeintlichen Verdachts der Mitgliedschaft in einer „Terrororganisation“ inhaftiert worden. Unter ihnen sind Journalist:innen, Aktivist:innen und Künstler:innen.

Angeblicher Terrorverdacht

In Istanbul sind 30 Menschen wegen des vermeintlichen Verdachts der Mitgliedschaft in einer „Terrororganisation“ inhaftiert worden, darunter Journalist:innen, Aktivist:innen und Künstler:innen. Die Verhaftungen stehen im Zusammenhang mit einem neuen Ermittlungsverfahren gegen den Demokratischen Kongress der Völker (HDK). Offiziell obliegt die Leitung des Verfahrens bei der Istanbuler Generalstaatsanwaltschaft. Der HDK vermutet jedoch, dass die Ermittlungen vom Innenministerium in Ankara orchestriert werden.

Mehr als 50 Menschen waren am Dienstag bei Razzien in zehn Provinzen des Landes festgenommen und in das als Folterzentrum berüchtigte Istanbuler Polizeipräsidium Vatan gebracht worden. Sie werden beschuldigt, an Aktivitäten und in Strukturen des HDK mitgewirkt zu haben. Bei dem Gremium, das in der Türkei als legaler Verein agiert, handelt es sich um eine Dachorganisation kurdischer, linker und sozialistischer Parteien sowie gesellschaftlicher Initiativen in der gesamten Türkei, die 2011 auf Initiative kurdischer Parteien gegründet wurde.

Der oberste Ankläger Istanbuls, Generalstaatsanwalt Akın Gürlek, dem die Opposition wegen seines repressiven Vorgehens gegen Andersdenkende den Spitznahmen „mobile Guillotine“ gab, kommt zu einem anderen Ergebnis. Seinen Ermittlungen zufolge stelle der HDK eine „legal anmutende Frontorganisation“ der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und eine „Alternativversammlung“ zum türkischen Parlament dar, Geistesvater sei PKK-Begründer Abdullah Öcalan. Ein inzwischen rechtskräftiges Urteil der 20. Großen Strafkammer zu Izmir, die feststellte, dass der HDK eine völlig legale Organisation sei und eine Betätigung für ihn kein Beweis für die Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung“ sein könne, ignoriert die mobile Guillotine.

Die DEM, deren Vorgängerin HDP aus dem HDK hervorgegangen ist, stellt das Vorgehen gegen den Dachverband in Zusammenhang mit der sich jüngst eröffnenden Möglichkeit eines Friedensprozesses zwischen der türkischen Regierung und der PKK zur Lösung der kurdischen Frage. „Es ist offensichtlich, dass die Aussicht auf eine Lösung und auf Frieden einigen den Schlaf raubt“, teilte die DEM nach der Festnahmewelle mit Blick auf mögliche Verhandlungen mit. Jeden Tag werde gegen die vorgegangen, die Frieden wollten.

Sängerin Pınar Aydınlar ebenfalls verhaftet

Unter den 30 von insgesamt 60 „Beschuldigten“ des Verfahrens, gegen die in der Nacht zum Samstag in Istanbul Haftbefehl erteilt wurde, befinden sich viele bekannte Persönlichkeiten aus Politik, Medien, Zivilgesellschaft und anderen Disziplinen. Darunter sind die Journalist:innen Elif Akgül, Ercüment Akdeniz und Yıldız Tar, die Sängerin Pınar Aydınlar – die in Gewahrsam einen Hungerstreik startete, weil sie und ihre Kinder während ihrer Festnahme Opfer von Polizeigewalt geworden seien, die Istanbuler EMEP-Vorsitzende Sema Barbaros Durmuş und die frühere HDK-Sprecherin Esengül Demir.

Hausarrest und Meldeauflagen gegen 20 Personen

Gegen 13 weitere vermeintliche Verdächtige ordnete das Gericht Hausarrest an. Unter den Betroffenen sind unter anderem der Journalist Ender Imrek, der Maler Taner Güven und die Rechtsanwältin Nurcan Kaya. In sieben weiteren Fällen verhängte die Justiz juristische Meldeauflagen sowie ein Ausreiseverbot. Diese als „Präventivmaßnahme“ verbrämten Mechanismen gelten als Alternative zur Haft und werden von der türkischen Justiz exzessiv ausgeschöpft, um unliebsame Personen unter Kontrolle zu halten. Die Rechtsbeistände der Betroffenen wollen die Entscheidung in der kommenden Woche anfechten, ebenso wollen sie die Aufhebung der Haftbefehle erwirken.