Immer wieder werden Aktivist*innen aus der Türkei und Kurdistan, die beispielsweise in Deutschland im Exil leben, aufgrund von internationalen Haftbefehlen der Türkei bei Auslandsreisen festgenommen und in Auslieferungshaft verbracht. So wurden bekannte Oppositionelle wie Ismet Kilic oder der Schriftsteller Dogan Akhanli aufgrund von Ausschreibungen per Rotecke via Interpol in Auslieferungshaft genommen. Am 26. Juli 2019 hatte die slowenische Polizei den Duisburger Gewerkschafter Kilic festgenommen und in der Hafenstadt Kaper zunächst in Untersuchungshaft und anschließend in Auslieferungshaft genommen. Grundlage war ein Interpol-Ersuchen zur Festnahme und Auslieferung der Türkei. Zu den Vorwürfen gegen Kilic gehörte, dass er in den neunziger Jahren eine Gewerkschaft gegründet habe und Mitglied einer „linksextremistischen Organisation“ sei. Wegen der türkischen Verfolgung hatte der Menschenrechtsaktivist in Deutschland im Jahr 1997 Asyl und 2008 die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Seine Anerkennung als politisch Verfolgter erfolgte unter anderem wegen seiner Verurteilung durch ein Staatssicherheitsgericht der Türkei. Interpol musste schließlich das Ersuchen am 5. September 2019 als politisch motiviert und damit als Verstoß gegen Artikel 3 seiner Statuten zurückziehen. Alle Interpol-Mitgliedstaaten wurden um eine Entfernung ersucht. Erst am 16. Oktober wurde Ismet Kilic wieder aus der Haft entlassen. Hier wird deutlich, dass auch wenn die Auslieferungsersuchen der Türkei meist nicht erfolgreich sind, Interpol als Mittel der Repression und Einschüchterung vom AKP-Regime genutzt wird. Doch nicht nur das, auch sogenannte Blauecken, also Aufenthaltsermittlungsersuche bei Interpol, werden von der Türkei genutzt, um den Aufenthaltsort oppositioneller oder „Gegner“ festzustellen und gegen diese vorzugehen. Eine eingeführte Prüfung auf politischen Vorbehalt wurde bis jetzt nur bei Auslieferungsersuchen, nicht aber auf Aufenthaltsermittlungsersuchen angewandt.
Interpol wird weiterhin zur politischen Verfolgung genutzt
Der europapolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Andrej Hunko, fragte bei der Bundesregierung nach der Nutzung von Interpol als Mittel der politischen Repression nach. Die Antwort war ernüchternd. Hunko stellte fest: „Viele Staaten nutzen Interpol weiterhin zur politischen Verfolgung. Entsprechende Schutzmechanismen erweisen sich als wirkungslos, auch die versprochene Überprüfung älterer Ausschreibungen tritt auf der Stelle. Besonders absurd: Das Bundesinnenministerium beteiligt sich zwar an der Aufarbeitung bei Interpol, weiß aber über die Arbeit seiner Bediensteten nicht Bescheid.“
Gesamtes System der Interpolausschreibungen gehört auf den Prüfstand
Interpol hat eine Taskforce zur Untersuchung missbräuchlicher Ersuchen zur Festnahme (NDTF) eingerichtet, zu der auch Bundesbehörden Personal entsandt haben. Die Bundesregierung ist aber dennoch nicht in der Lage zu beantworten, wie viele Fahndungsersuchen aus welchen Ländern die NDTF als Instrumentalisierung zur politischen Verfolgung eingestuft hat. Hunko fordert daher eine Berichtspflicht: „Interpol muss dokumentieren, wie viele überprüfte Fahndungsersuchen als Instrumentalisierung zur politischen Verfolgung eingestuft wurden und aus welchen Ländern diese stammten.“
Der Linkspolitiker kommt daher zu dem Schluss, die NDTF sei nicht arbeitsfähig und fordert: „Das gesamte System der Interpol-Ausschreibungen gehört auf den Prüfstand. Das betrifft auch die Arbeit der NDTF, die offenbar nicht arbeitsfähig ist. Es braucht Kriterien, nach denen ältere Haftbefehle auf eine politische Verfolgung überprüft werden. Interpol muss hierzu mit Menschenrechtsorganisationen zusammenarbeiten, die über Erfahrung auf dem Gebiet der politischen Verfolgung verfügen.“
Weiterhin kritisiert Hunko, dass die Bundesregierung, das Bundeskriminalamt und das Justizministerium Interpol offensichtlich nicht mitteilen, wenn eine Person Asyl erhalten hat und damit ein entsprechender internationaler Haftbefehl hinfällig wird.