Nach den Angriffen von türkischen Nationalisten auf mehrere Demonstrationen kurdischer und linker Aktivist*innen in Wien-Favoriten zog Österreichs Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) am Freitag eine erste Zwischenbilanz. Demnach wurde die Identität von vier „Rädelsführern” ermittelt, die um die 30 Jahre alt seien. Zudem sei es zu 30 Anzeigen gegen unbekannte Täter gekommen, von denen zehn inzwischen namentlich bekannt wären. Ihnen werde ein Verstoß gegen das Symbolgesetz vorgeworfen.
„Eine Vermummung schützt nicht vor Strafe”, sagte Nehammer bei einer Pressekonferenz im Kanzleramt. Einer der sogenannten Rädelsführer - ein türkischstämmiger Österreicher - sei ein Gewalttäter gewesen, der mit einem Messer Menschen bedroht habe. Er habe sich der Festnahme durch die Polizei entzogen und sei geflüchtet, später jedoch ermittelt worden. Bei den anderen drei Rädelsführern könnte ein Mitglied der „Grauen Wölfe” vertreten sein.
In Wien ist es in den letzten Wochen immer wieder zu Angriffen faschistischer „Grauer Wölfe“ auf Protestdemonstrationen gegen das Erdoğan-Regime und linke Projekte wie das Ernst-Kirchweger-Haus (EKH) gekommen. Nach dem gezielten Mord an drei Aktivistinnen der kurdischen Frauenbewegung im nordsyrischen Kobanê am 23. Juni hatten einen Tag später mehr als hundert Faschisten aus dem Lager der ultranationalistischen „Grauen Wölfe“ eine von kurdischen und türkischen Frauenorganisationen initiierte Kundgebung angegriffen. Auch in den folgenden Tagen kam es zu massiven Angriffen türkischer Nationalisten auf Feministinnen und linke Strukturen. Dabei wurde ein kurdischer Journalist krankenhausreif geprügelt. Auch mehrere Polizisten und ein Diensthund wurden von türkischen Faschisten angegriffen und verletzt. Die österreichische Regierung hat Anhaltspunkte für eine Involvierung des türkischen Geheimdienstes MIT. Bei den Kundgebungen hatte der Verfassungsschutz „Dokumentationsteams” beobachtet, die ihre Kameras ausschließlich auf die Versammlungen von Kurden und Linksaktivisten gerichtet haben sollen.
Auffällig in diesem Zusammenhang sei auch die rasche Mobilisierung von gewalttätigen Angreifern. Nehammer und der stellvertretende Wiener Polizeipräsident Franz Eigner kündigten daher im Vorfeld der für den heutigen Freitagabend in Wien-Favoriten geplanten Kundgebung massive Polizeipräsenz an. „Die Versammlungsfreiheit ist für uns ein wichtiges Gut”, deswegen werde man diese auch mit allen Mitteln schützen, sagte Nehammer. „Wir tolerieren keine Gefährdung.” Rund 500 Polizeibeamte sollen vor Ort sein, der Einsatz dürfe auch ruhig „etwas kosten”.
Am Freitag sollte eigentlich auf Einladung der österreichischen Integrationsministerin Susanne Raab bei einem Krisengipfel zwischen kurdischen und türkischen Vereinen im Kanzleramt über die „Konfliktsituationen” im Wiener Multikultibezirk Favoriten gesprochen werden. Die Betroffenenvereine – insgesamt 33 Mitgliedsorganisationen des antifaschistischen Solidaritätsbündnisses – hatten die Einladung jedoch zurückgewiesen und erklärt, „unter keiner Bedingung mit Faschisten und ihren Unterstützern” an einem Tisch zu sitzen. Die Regierung hat nun einen zweiten Versuch angekündigt und will beide Seiten in den nächsten Tagen ins Innenministerium einladen. Die von den Angriffen betroffenen Gruppen haben sich dazu noch nicht geäußert.