Gergerlioğlu: Der Widerstand geht weiter

„Ich bin kein Kurde. Ich habe mein Mandat verloren, weil ich mich für eine Lösung der kurdischen Frage eingesetzt habe“, erklärte der abgesetzte HDP-Abgeordnete Ömer Faruk Gergerlioğlu in Ankara. Morgen soll er eine zweieinhalbjährige Haftstrafe antreten.

Der HDP-Politiker Ömer Faruk Gergerlioğlu soll am Donnerstag eine zweieinhalbjährige Haftstrafe antreten. Die Klage der HDP gegen den Entzug seines Abgeordnetenmandats ist vom Verfassungsgericht zurückgewiesen worden. Seine persönliche Klage vor dem höchsten Gericht der Türkei gegen seine Verurteilung ist weiterhin anhängig.

Gergerlioğlu kündigte heute auf einer Pressekonferenz in der HDP-Zentrale in Ankara an, vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen. Der Entzug seines parlamentarischen Mandats sei rechtswidrig, daher befinde er sich seit zwei Wochen „im zivilen Widerstand“, sagte der Politiker im Beisein von weiteren HDP-Abgeordneten und Unterstützer*innen. In dieser Zeit habe er von breiten Kreisen im In- und Ausland Unterstützung erfahren. „Daher bin ich gar nicht sehr hoffnungslos und pessimistisch“, sagte Gergerlioğlu. Sollte er ins Gefängnis kommen, werde sein Kampf von anderen fortgesetzt.

In der Türkei seien zahllose HDP-Mitglieder verhaftet worden, auch Leyla Güven und Musa Farisoğlulları sei der Abgeordnetenstatus entzogen worden, führte Gergerlioğlu weiter aus: „Auch das hat die kurdische Frage nicht gelöst. Ich möchte dem türkischen Volk etwas sagen: Die kurdische Frage ist nicht vom kurdischen Volk ausgelöst worden, sondern durch das staatliche Vorgehen. Es sind die anderen Völker und nicht das kurdische Volk, die dieses Problem lösen müssen. Ich appelliere an die gesamte Gesellschaft der Türkei: Ich bin kein Kurde. Ich habe meine Arbeit verloren, weil ich mich für eine Lösung der kurdischen Frage eingesetzt habe. Wir müssen das Problem gemeinsam lösen. Es sind die Kinder von uns allen, die sterben. Ich kann jetzt ins Gefängnis geworfen werden, dort sind bereits viele unserer Kolleginnen und Kollegen. Gelöst wird damit jedoch gar nichts.“

Wäre es nicht besser, wenn niemand sterben müsste?“

Gergerlioğlu war vor zwei Wochen das Abgeordnetenmandat aufgrund eines rechtskräftigen Urteils wegen Terrorvorwürfen entzogen worden. Im Februar hatte der türkische Kassationshof eine zweieinhalbjährige Haftstrafe gegen den 55-Jährigen wegen seiner sowohl an den türkischen Staat als auch die kurdische Bewegung gerichteten Friedensappelle bestätigt. Von der Justiz wird der Einsatz für Frieden – im konkreten Fall in Form eines Retweets aus dem Jahr 2016 – als Terrorpropaganda ausgelegt.

Grundlage der Anklage gegen Gergerlioğlu war zunächst eine Friedensbotschaft. Der Politiker, der von Beruf eigentlich Arzt und Spezialist für Lungenkrankheiten ist, engagierte sich nach den einseitig von der türkischen Regierung beendeten Friedensverhandlungen mit der kurdischen Bewegung im Jahr 2015 für die Friedensplattform in Kocaeli. Bei den Social-Media-Konten der Initiative veröffentlichte Gergerlioğlu nahezu täglich Friedensbotschaften, so auch am 9. Oktober 2016. An diesem Tag postete er ein Foto, das eine gestellte Szene während einer Veranstaltung zum Weltfriedenstag 2015 zeigte: zu sehen sind mehrere Frauen und im Vordergrund zwei Särge. Im einen ein türkischer Soldat, im anderen ein PKK-Kämpfer, die durch entsprechende Fahnen auf den Särgen zu erkennen sind. Unter das Bild schrieb Gergerlioğlu: „Dieser Krieg erschöpft die Gesellschaft. Ein Kind geht zur Armee, ein anderes zur PKK, beide sterben. Wäre es nicht besser, die beiden würden nicht als Leichen nebeneinander liegen, sondern gleichberechtigt leben, Schulter an Schulter?“