Gergerlioğlu: Die kurdische Frage soll begraben werden

Seit dem Entzug seines Abgeordnetensitzes im Parlament in Ankara hält der HDP-Politiker Ömer Faruk Gergerlioğlu eine Gerechtigkeitswache ab. Am Donnerstag läuft die Frist für seinen Haftantritt ab.

Der HDP-Abgeordnete Ömer Faruk Gergerlioğlu hält seit dem Entzug seines parlamentarischen Mandats am 17. März eine Gerechtigkeitswache ab. Die Wache begann im bereits Plenarsaal des türkischen Parlaments, als der Verlust seines Abgeordnetensitzes bestätigt wurde. In der Nacht zog der bekannte Menschenrechtler mit weiteren Abgeordneten in die Fraktionsräume im Parlament um, wo er am 21. März in Pyjama und Hausschuhen von einem Großaufgebot der Polizei gewaltsam festgenommen wurde. Nach seiner Freilassung am selben Abend setzte er die Gerechtigkeitswache in der HDP-Zentrale in Ankara fort. Das Verfassungsgericht wird am 31. März über die Klage gegen den Mandatsentzug beraten. Am selben Tag steht auch das Verbotsverfahren gegen die HDP auf der Tagesordnung des höchsten Gerichts in der Türkei.

Gergerlioğlu hat sich gegenüber ANF zu den Hintergründen und den voraussichtlichen weiteren Entwicklungen geäußert. Er weist darauf hin, dass der Mandatsentzug eine politische Entscheidung war, die im Ad-Hoc-Verfahren durchgezogen worden: „Sie hat keine juristische Grundlage, weil mein juristischer Prozess noch nicht abgeschlossen ist. Ich bin Mitglied im parlamentarischen Menschenrechtsausschuss und betreibe effektive Opposition. Das soll durch Strafanzeigen, Ermittlungsverfahren und Prozesse unterbunden werden. Durch die Entscheidung bin ich aus dem Parlament ausgeschlossen worden und werde in Kürze ins Gefängnis kommen. Dass das politische Gründe hat, ist der Öffentlichkeit in der Türkei bekannt. Kein einziger Mensch und vor allem kein Jurist kann diese Entscheidung verteidigen. Ich weise den Beschluss zurück und betrachte mich weiterhin als gewählter Vertreter des Volkes. Meinen Kampf setze ich momentan in der HDP-Zentrale fort. Ich lasse mich nicht einschüchtern und ziehe mich nicht zurück. Ich verteidige die Rechte der Bevölkerung mit großer Überzeugung und Leidenschaft. Die Menschen, die mich gewählt haben, haben mir einen Auftrag erteilt, den ich zu erfüllen habe.“

Neoosmanische Illusionen“

Seine Verurteilung und das Verbotsverfahren gegen die HDP sind laut Gergerlioğlu nur ein Aspekt zur Vorbereitung der Wahlen im Jahr 2023. Die Regierungskoalition unter Erdogan und Bahçeli wolle eine „neue Türkei“ hervorbringen, in der es keine Parteien mehr gibt, die die kurdische Frage zur Sprache bringen. „Es geht um mehr als nur Wahlen. Bahçeli und Erdoğan wollen die kurdische Frage begraben und mit einem neuen Verständnis in das Jahr 2023 einziehen. Wir wissen, dass das eine Illusion aber, aber das geht in ihren Köpfen vor. Mit ihrer neoosmanischen Politik wollen sie Rache für die vergangenen hundert Jahre üben. Wir hingegen sagen: Lasst uns einen neuen demokratischen Rechtsstaat gründen und dieses Land demokratisieren. Darum geht es uns.“

Pressekonferenz am Mittwoch

Gergerlioğlu erfährt breite Unterstützung in der Öffentlichkeit, seine Gerechtigkeitswache wird jeden Tag von Menschen aus verschiedenen Zusammenhängen besucht. Spätestens am Donnerstag soll er seine zweieinhalbjährige Haftstrafe antreten Zu seinem weiteren Vorgehen erklärt er: „Laut Anordnung läuft am Donnerstag die Frist ab. Am Mittwoch werde ich eine letzte Pressekonferenz in der HDP-Zentrale abhalten. Danach werde ich mit meiner Familie zu Hause abwarten. Ich werde keinen Widerstand leisten, sie können mich in meiner Wohnung abholen. Der Zweck meines bisherigen Widerstands war die Betonung von Gerechtigkeit. Auch wenn ich ins Gefängnis komme, werde ich meine Gerechtigkeitswache fortsetzen.“

Appell an die Gesellschaft

An die Gesellschaft appelliert Ömer Faruk Gergerlioğlu, seine Methode der Forderung nach Gerechtigkeit weiterzuführen: „Das kann in der eigenen Wohnung oder in sozialen Netzwerken stattfinden. Die Menschen können den Begriff ,Gerechtigkeitswache' an ihre Fenster schreiben oder in ihren Social-Media-Accounts verwenden. Momentan haben die Menschen Angst, auf die Straße zu gehen, öffentliche Erklärungen abzugeben oder zu protestieren. Sie werden vom Staat sofort als Terroristen gebrandmarkt, verlieren ihren Arbeitsplatz oder ihre Freiheit. Deshalb schlage ich eine einfache und zivile Methode vor. Das gilt sowohl für die Gesellschaft als auch für die Politik.“