Der akut von einer Ausweisung in die Türkei bedrohte Kurde Muhammed Tunç aus Ulm sitzt weiterhin in der Abschiebungshafteinrichtung Pforzheim. Nachdem der 32-Jährige am Mittwoch in einem Flugzeug am Stuttgarter Flughafen auf seine Abschiebung aufmerksam gemacht hatte und sich das Personal daraufhin weigerte, ihn an Bord zu behalten, hat auch die für diesen Donnerstag angesetzte Abschiebung nicht stattgefunden. Die Maschine der Fluggesellschaft Turkish Airlines mit dem Ziel Istanbul hob in Stuttgart ohne Tunç ab. Laut dem Regierungspräsidium Karlsruhe ist seine Ausweisung aber weiterhin vorgesehen.
Tunç: Mein Name ist türkischen Behörden als „Feind“ ein Begriff
Muhammed Tunç ist 1989 in Ulm geboren und aufgewachsen und besitzt die türkische Staatsbürgerschaft. In der Türkei ist er aufgrund seines pro-kurdischen Engagements in Deutschland der Gefahr politischer Verfolgung, Haft und Folter ausgesetzt. Das will das baden-württembergische Justizministerium jedoch nicht eingestehen. Die Behörde hält die Abschiebung für vertretbar und rechtfertigt die Entscheidung mit einer „Straffälligkeit“ im Zusammenhang mit zwei Gerichtsurteilen gegen den Kurden wegen gefährlicher Körperverletzung. Die Verurteilungen erfolgten nach Auseinandersetzungen mit türkischen Nationalisten beziehungsweise Mitgliedern der rockerähnlichen Gruppierung „Osmanen Germania“, die in Verbindung zur türkischen Regierungspartei AKP und zum Umfeld des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan steht und 2018 in Deutschland verboten wurde. Laut Tunç ist sein Name den Behörden in der Türkei daher definitiv als „Feind“ ein Begriff.
Drohung von Jitem
Dass die grün-schwarze Landesregierung dennoch die Gefahr einer politischen Verfolgung von Muhammed Tunç in der Türkei leugnet, stellt eine neue Dimension der antikurdischen Abschiebepraxis dar. Mittlerweile befindet sich der Ulmer Aktivist sogar im Visier von „Jitem“, einer informellen paramilitärischen Untergrundorganisation in der Türkei, der zahlreiche „Morde unbekannter Täter“ und andere Gewaltakte an Kurdinnen und Kurden und Linken zugeschrieben werden. In einer offenen Drohung gegen Tunç im Online-Netzwerk Instagram heißt es: „Ich warte auf Muhammed Tunç, der heute mit dem Flug TK1702 abgeschoben werden soll“. Der Verfasser, dessen Accountname „kod_adm_yesil“ und das dazugehörige Profilbild eine Anspielung auf den Jitem-Attentäter Mahmut Yıldırım und dessen Decknamen „Grün“ sind, ist kein Unbekannter. Betroffen von seinen Drohungen, die aus der zentralanatolischen Provinz Kayseri abgesetzt werden, waren hierzulande unter anderem schon die linke Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut, die Ko-Vorsitzende der Hamburger Bürgerschaft, Cansu Özdemir, der Essener Linke-Politiker Civan Akbulut und der Münchner Kommunikationswissenschaftler Kerem Schamberger.
Screenshot/Instagram via Kerem Schamberger
Jiyan: Aschiebung bedeutet wissentliche Beihilfe zur Verfolgung
Engin Jiyan, die Pressesprecherin des Demokratischen Kurdischen Gesellschaftszentrums Stuttgart e.V., zeigte sich schockiert angesichts des Beharrens der Behörden auf die Abschiebung im Fall Muhammed Tunç. „Seine Ausweisung ist ein schwerer Missstand und unbedingt zu stoppen. Die Türkei hat der Demokratie und den Menschenrechten den Rücken gekehrt. Es ist kein sicheres Land mehr“, so Jiyan. Einen Oppositionellen in die Türkei abzuschieben sei wissentliche Beihilfe zu seiner Verfolgung. Gerade die offene Drohung gegen Tunç, die offensichtlich aus staatlichen türkischen Kreisen komme, verdeutliche, was dem Ulmer bei einer Abschiebung in die Türkei droht.
Ausweisung vorerst hinausgezögert
Nach Informationen von Radio Free FM konnte die Abschiebung von Muhammed Tunç vorerst hinausgezögert werden, allerdings nur bis zum 22. Februar. „Wir werden bis zur letzten Sekunde versuchen, Tunçs Abschiebung zu stoppen und gegebenenfalls seine Rückkehr rechtlich durchzusetzen“, sagt Engin Jiyan. Die Öffentlichkeit sei zur Solidarität aufgerufen.